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Damit du groß und stark wirst

Die großen Verlage werden immer größer. Das ist gefährlich. Bücher, die sich immer weniger voneinander unterscheiden, gehen einher mit Lesern, die sich immer weniger voneinander unterscheiden – unsere Buchkultur ist auf dem Weg in die Monokultur. Was die Großen von den Kleinen lernen können und warum Wachstum nicht alles ist.

Von Daniela Lottmann

In der Debatte um die Vor- und Nachteile von E-Books und E-Reader stößt man immer wieder auf das Argument der schieren Masse an elektronischen Büchern, die auf solch ein Gerät passen. Dabei braucht vermutlich kein Mensch solche Unmengen an Texten. Doch es zeigt sehr eindringlich das Bild, das der Buchmarkt von uns zeichnet: Wir Leser, die gierigen Sammler.

»Da passen 20.000 Bücher drauf«

Die Funktionen, die Bücher übernehmen, sind vielfältig – vom Bildungsgut, schierem Unterhaltungsmedium oder Prestige- und Selbstdarstellungsobjekt, wie die Plastik-Buchattrappen im Billy-Regal bei Ikea und 40 kg schwere Sonderauflagen, die sich in keiner Position entspannt lesen lassen, beweisen. Welche Art Mensch, welche Weltanschauung oder welcher Humor hinter dem Leser steckt, verrät auch sein Bücherregal. Wie dick sein Geldbeutel ist, im Übrigen auch.

Die Anzahl an Neuerscheinungen auf dem deutschen Buchmarkt umfasst ca. 90.000 Titel im Jahr, die ein immer schwieriger zu durchdringendes Gewimmel ergeben. Das Feuilleton verliert schon seit mehr als zehn Jahren an Bedeutung, das Rezensionsgebaren der Laien im Internet ist so weit verschachtelt, dass sich schwerlich klare Meinungsrichtungen ausmachen lassen, und kaum mehr jemand nimmt die Unbequemlichkeit auf sich, den Buchhändler an der Ecke um Rat zu fragen.

Wachstumsschmerz

Der allgemeine Wirrwarr wird von den großen Verlagen selbst befeuert, indem sie immer üppigere Programme produzieren, immer mehr Bücher herausbringen, sich vergrößern, und so scheinbar immer weniger als Gatekeeper, statt als Gateopener agieren. Sie verpflichten sich dem Leitgedanken des Wachstums, der als Grundsatz unserer Wirtschaftspolitik als einzig heilbringende Lösung proklamiert wird. »Wachstum bleibt das erklärte Ziel dieser Koalition«, polterte der zuständige Minister Philipp Rösler und zeichnet ein Bild, in dem Wachstum gleich Aufblühen bedeutet. Aber ein florierender Markt, eine sich entfaltende Wirtschaft ist kein unbegrenztes Idyll. Es stößt an seine Grenzen.

Große Verlage führen Genre-Kategorien ein, die eine feste Anzahl an Neuerscheinungen pro Saison vorschreiben. Deswegen machen sie zehn lustige Frauenbücher – obwohl nur vier von ihnen wirklich gut sind. Die nach Größe strebenden Publikumsverlage richten sich dabei an ein unkompliziertes Mainstream-Publikum, sodass ein Mehr an Büchern leider kein Plus an Titeln der Nischensegmente bedeutet. Es besagt vielmehr eine Überproduktion an immer gleichartigeren Texten. Homogenisierte Literatur: bitte kaufen.

Der Konsument als idealer Mensch

Damit sich unsere wachstumsgetriebene Wirtschaft erhalten kann, ist es unsere erste Bürgerpflicht zu konsumieren: kaufen, damit es uns besser geht. Dabei beschränkt sich der Buchhandel längst nicht mehr nur auf Bücher, sondern bietet mit speziellen Haltekissen, Klemmlampen, Lesezeichen oder Badewannenablagen auch immer mehr Ausrüstung rund ums Lesen, sodass dieser Vorgang wie bei einem Bandarbeiter auf das Höchste optimiert werden kann. Eine wesentliche Voraussetzung für das Lesen lässt sich aber leider nicht kaufen: Zeit.

Selbst wenn wir alle mehr lesen wollten, fehlt uns, obwohl sich ironischerweise Ratgeberbücher zum Zeitmanagement zu wahren Verkaufsmagneten mausern, schlichtweg die Zeit dazu. Die Aufmerksamkeit, die sich dem Lesen schenken lässt, ist damit natürlich begrenzt, was dazu führt, dass zwar immer mehr Bücher gekauft, diese aber oft nicht gelesen werden. Auf Youtube lässt sich dieser Trend mittels Videos, in denen Leser ihre Büchersammlungen vorstellen, eindrucksvoll beobachten. Häufiger werden die Bücher mit »habe ich abgebrochen« kommentiert und das Arsenal noch gänzlich unberührter Titel nimmt einen so festen Platz im Dasein eines Lesers ein, dass sich dafür eine allgemeinverständliche Abkürzung etabliert hat: SuB – der Stapel ungelesener Bücher. Zum Teil erschreckend groß.

Unsere Bücher werden immer mehr zu ganz normalen Waren. Wir guten Bürger haben 20 Paar Sneaker in unseren Schränken oder besser noch gut ausgeleuchtet im Eingangsbereich stehen. Wir Raffgierige. Und wie wir jedes Jahr 80 kg Lebensmittel in den Müll schmeißen, werden auch immer mehr Bücher zum Versauern ins Regal gestellt. Ungelesen, vorschnell abgebrochen, nur gekauft, weil das Cover so ansprechend ist. Weil schöne Bilder drin sind. Weil die Katzenberger vorne darauf ist.

Dass wir diese Degradierung aber eigentlich nicht wollen, sieht man daran, dass selbst nur kurz angelesene und für unpassend befundene Bücher nicht weggeschmissen werden. Was hält uns daran, wenn nicht die Tatsache, dass ein Buch eben doch etwas Besonderes ist?

Hin zur ausgewählten Qualität

Ein Buch wirkt durch sein Lesen, nicht durch seinen Kauf und auch das schönste Cover ist doch nur die Kirsche auf einen Haufen Hundescheiße, wenn die Geschichte zwischen den Buchdeckeln nicht gut ist. Wir sollten Bücher zum Lesen kaufen, nicht zum Angucken. Bücher mit guten Geschichten statt gutem Marketing.

Dafür müssen Verlage besser auswählen und weniger 0815-Titel herausbringen. Weniger Spam. Geschichten voller Unvorhersehbarkeit, in denen der Gärtner nicht der Mörder ist. Mehr kleine, unveröffentlichte Autoren mit guten Ideen und voller Kreativität und weniger blind gekaufte Massentitel aus den USA. Weniger Vampire, weniger Pseudo-SM-Nackenbeißer.

Kauf das nicht!

Aber das Massenpublikum steht auf Massenliteratur. Man muss vielleicht beim Leser ansetzten und ihn auffordern: Kauf das nicht! Kauft nicht zehn verschiedene Bücher, die alle nahezu Identisches erzählen, kauft keine schlechten Geschichten, kauft nur die wirklich guten Sachen. Aber anderes als dem Sneaker, sieht man dem Buch die Qualität seiner Geschichte nicht von vornherein an, man ist gezwungen, blind zu kaufen. Es gibt kein Rückgaberecht, wenn ein Buch sein Versprechen nicht hält.

Hilfreich kann dem Leser die Orientierung an den kleinen Verlagen sein, die anlässlich des Indiebookdays am 25. März viel Aufmerksamkeit generieren konnten. Sie können es sich nicht leisten, schlechte Bücher zu machen, sie können sich manchmal nicht mal die guten leisten. Die Indieverlage müssen daher sehr sorgsam vorgehen und sich viel Mühe geben, in der Hoffnung, dass sich gute Qualität auch ohne große Werbung durchsetzen kann.

Es bliebe zu wünschen, dass sich die großen Verlage an die Arbeit der Indies orientieren und nur noch die wirklich guten Titel herausbringen. Das Argument, dadurch würden Arbeitsplätze in Gefahr gebracht werden, kann man nicht gelten lassen, wenn einem bewusst wird, dass schon einige aus Kostengründen auf das Korrektorat verzichten. Es zeigt sehr eindringlich, wie schlurrig mit den Texten umgegangen wird, indem man sie lieber fehlerhaft belässt anstatt Zeit, Energie oder gar Mittel hineinzustecken. Ein Weniger an Büchern sollte ein Mehr an Qualität bedeuten.



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 Autor*in:
 Veröffentlicht am 8. Juli 2013
 Kategorie: Misc.
 Zeichnung »Big Fish Eat Little Fish« von Pieter Bruegel the Elder via Wikimedia Commons.
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Kommentare
 Roman
 8. Juli 2013, 10:24 Uhr

1.) “Aber das Massenpublikum steht auf Massenliteratur”. Das stimmt leider nicht, denn das “Massenpublikum” interessiert sich nämlich überhaupt nicht für Bücher. Statistisch gesehen sind die Nicht-Buchkäufer in der Mehrheit.
2.) Verlage sind Wirtschaftsunternehmen und als solche auf Gewinne angewiesen, und das übrigens unabhängig davon, ob dort 100 Leute oder nur 2 arbeiten oder ob dort Katzenberger oder Kafka verlegt wird. Das ist nichts Anstößiges, sondern Grundprinzip aller Buchmärkte in kapitalistischen Wirtschaftssystemen.
3.) Gerade die großen Verlage, die hier in der Kritik stehen, denken bei der Programmpolitik offenbar um. Allein mit Titelvielfalt macht man heute keine Umsätze mehr; die großen Verlage haben dieses Jahr ihre Programme um fast 25% zurückgefahren: http://www.buchreport.de/nachrichten/verlage/verlage_nachricht/datum/2013/06/11/ein-drittel-weniger-neuerscheinungen.htm?utm_source=twitterfeed&utm_medium=twitter

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