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Wallstein-Jubiläum
Dionysos, Bestattungshelfer

Kopfsteinpflaster spiegelt sich im Lack einer dunklen, alten Karosserie, dahinter eine Häuserreihe, verschwommen und irgendwie in weiter Ferne. Ein Hund hebt sein Bein. Ein Strahl trifft den Reifen des schwarzen Leichenwagens. Der Hund blickt dabei unvermittelt direkt in die Kamera. Ganz schön frech! Die Covergestaltung ist auch in Zeiten der e-books eine Kunst für sich. Die absurde Komik des Romans Applaus für Bronikowski mit nur einem Eindruck zu vermitteln eine wahre Herausforderung. Mit diesem pinkelnden Hund hat der Wallstein Verlag alles richtig gemacht. Aber nicht nur der, sondern auch der Autor Kai Weyand. Es ist der dritte Roman des Freiburgers, der 2015 im Göttingen erscheint.

Von Birthe Schmitt

»Man muss ja nicht gleich weitergehen, dachte er, nur weil andere Menschen weitergehen. Einfach mal stehen bleiben«, so denkt der Protagonist Nies häufig. Einfach mal was anderes, das dachte sich Kai Weyand vermutlich auch, als er den dreibeinigen Hund November in seine Geschichte einführt und seine Romanfigur sich fragen lässt, »was passieren würde, wenn der Hund November ein Bein hob, um sich zu erleichtern. Hoffentlich fällt er nicht jedes Mal um. Ihm tat der Hund leid.« Nun erinnern ein Hund und ein junger Mann, der etwas ziellos durch die Straße läuft doch stark an Sven Regeners Beginn von Herr Lehmann. Und tatsächlich fallen einige Ähnlichkeiten ins Auge, nicht zuletzte die Beleuchtung einer vermeintlichen Looser-Existenz, im falschen Alter, im falschen System.

Buch-Info


Kai Weyand
Applaus für Bronikowski
Wallstein Verlag, Göttingen, 2015
188 Seiten, 19,90 €

 

Jubiläum

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2015 feiert das von Thorsten Ahrend verantwortete Literaturprogramm des Wallstein Verlags sein 10-jähriges Jubiläum. Das belletristische Programm steht für anspruchsvolle und preisgekrönte Literatur aus den Bereichen Prosa, Lyrik, Dramatik und Essayistik. Ständig wird es durch zeitgenössische Autorinnen und Autoren erweitert: Bücher von Lukas Bärfuss, Daniela Danz, Ralph Dutli, Dorothea Grünzweig, Maja Haderlap, Harald Hartung, Dea Loher, Sabine Peters, Teresa Präauer, Patrick Roth, Hendrik Rost, Gregor Sander, Ron Segal, Kai Weyand und Matthias Zschokke u.v.m. setzen deutliche Akzente auf die Gegenwartsliteratur. Im August und September gratuliert Litlog, indem es seinen Fokus auf aufgewählte Bücher des Literaturprogramms legt.

 
 

Lediglich der überhöhte Alkoholkonsum im Berliner Roman findet sich nicht bei Weyand wieder, obwohl Nies einmal eine Grabbeigabe leer trinkt. Nies, eine Abkürzung von Dionysos, dem griechichen Gott des Weines, hat als Jugendlicher seinen Namen abgelegt und lässt sich von allen NC nennen, wobei das C englisch ausgesprochen wird. Eine Reaktion und ständige Erinnerung an seine Eltern, die ihren Lebenstraum erfüllten und nach Kanada auswanderten. NC steht für No Canadian. Er und sein älterer, karriereorientierter Bruder Bernd waren nicht Teil der Selbstverwirklichung der Eltern. Und entgegen deren Erwartung hat sich kein Band tiefster Bruderschaft zwischen ihren Söhnen entwickelt. So erklimmt Bernd die Karriereleiter in London und NC lebt arbeitslos in den Tag hinein, irgendwo in Deutschland. Rückblendend werden die familiären Verhältnisse dargelegt. Auslöser ist ein Anruf Bernds zu NCs 31. Geburtstag. Dieser Anstandsanruf verdeutlicht den Kontrast zwischen den Brüdern.

Du sollst endlich erwachsen werden. Freundin verloren, Job verloren, da ist ja nicht mehr so viel Luft nach unten. Mal ehrlich, Hausmeister, das ist nichts, was man wird, sondern das, was einem bleibt, wenn man nichts geworden ist. Und selbst den Job hast du verloren.

Herrliche Geburtstagsgrüße von einem, der sich in der kapitalistischen Welt wohlfühlt und sein Glück an Geld, Macht und Beziehungsstatus festmacht. Im Gegensatz zu NC, der sich dem Vokabular seines Bruders bedient: »Börsennotiert wäre der Kurs seiner Lebensaktie wohl wirklich auf Ramschniveau gesunken. Aber: Er glaubte nicht an Aktien, und er wollte heute nicht damit anfangen.« Bernd kann keinerlei Verständnis für seinen kleinen Bruder und dessen Einstellung zum Leben aufbringen. Mit solch einer Familiengeschichte füllt manch angesehener Autor ein ganzes Buch, bei Kai Weyand sind dies lediglich die ersten zwanzig Seiten. In diesen gehen Ernst und Spaß unmerklich ineinander über. So ist es einerseits lustig, dass der Jugendliche NC seine zwei Ratten Mama und Papa nennt und gleichzeitig tragisch, da er damit den Verlust seiner Eltern zu kompensieren versucht. Tierschützer wird das Schicksal der Ratten bestürzen, da sie nach der Ankunft einer Postkarte (Motiv: Yukon River) kurzerhand den Flug aus dem Fenster erlernen und am nächsten Morgen nur noch ein Blutfleck auf dem Gehweg an ihre Existenz erinnert.
Ein schräger Vogel ist dieser NC; ein neugieriger Mann, der sehr aufmerksam und mit wachem Blick durch sein Leben geht und sich sehr gerne über die Bedeutung von Wörtern Gedanken macht. Auf einem Spaziergang entdeckt er neben dem Hund November und einer Bäckerei auch ein Beerdigungsinstitut. Aus Neugier und Interesse fragt er nach, was wohl hinter den Türen eines Bestattungsinstituts vor sich geht. Ohne einen perfekten Lebenslauf mit Auslandsaufenthalten, Bestnoten und passend ausgesuchten Ehrenämtern vorzulegen, sondern lediglich aufgrund seiner Bereitschaft Neues zu erlernen, wird NC eingestellt. Nun ist er Bestattungshelfer.

Fortsetzung folgt?

Dabei lernt NC Verantwortung zu übernehmen und die abwechslungsreichen Arbeitsschritte eines Bestatters kennen. Ganz nah und doch völlig fremd ist man dem Protagonisten, der ernsthaft einen Sarg flutet um eine würdevolle Bestattung zu gewährleisten. Nicht nur in dieser Situation ruft er unterschiedliche Gefühle hervor, sondern auch, wenn er nachts mit einer Steinschleuder Eier – wohlgemerkt aus Bodenhaltung – gegen Hauswände wirft und ihn danach ein leichtes Gefühl der Scham befällt. Nach einem kurzen Gespräch mit einem Mann, der sich über den Dreck an der Hauswand echauffiert, wechselt er zu Tomaten. Dieser NC wächst einem irgendwie ans Herz, während der Erzähler seinen Alltag begleitet.

Kai Weyand meistert den Balanceakt zwischen schelmischem und respektvollem Erzählen vom Tod. Einen ausgeprägten Sinn für schwarzen Humor sollte man auf jeden Fall mitbringen. Wer Bronikowski ist und warum ihm der durch den Titel angekündigte Applaus gebührt, erfährt der Leser erst gegen Ende des Buches. Allzu viel Geduld muss er dafür allerdings nicht aufbringen, da Weyand selten ein Wort zuviel verliert und mit 188 Seiten eine knackig kurze Sommerlektüre vorlegt, die ehrlich, durchdringend und komisch ist. Vielleicht darf man sich auf einen Folgeroman freuen, das Ende bietet zumindest genügend Aussicht darauf.



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 Veröffentlicht am 15. August 2015
 Kategorie: Belletristik
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