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»Ein Bugatti für Damiano«

Dea Loher baut ihren ersten Roman um die Geschichte des zweiundzwanzigjährigen Züricher Studenten Damiano Tamagni auf, der 2008 während der Fastnacht in Locarno von betrunkenen Jugendlichen grundlos zu Tode geprügelt wurde und verwandelt die Ereignisse in eindrücklich bedrückende Fiktion.

Von Magali Gottsmann

Dea Loher wendet sich zum zweiten Mal der Prosa zu: nach dem 2003 veröffentlichten Prosaband Hundskopf ist nun Lohers erster Roman Bugatti taucht auf erschienen.

Dea Loher, als Theaterautorin vielfach ausgezeichnet und häufig gespielt, beschäftigt sich mit dem Thema der Wahrheit und Weltdarstellung in der Fiktion. Ihre monologlastigen Stücke bauen immer auf ganz alltäglichen menschlichen Gefühlen und Bedürfnissen auf und explodieren vom Kleinen, fast Unbedeutsamen in Dialoge über die großen Fragen des Lebens. Dabei schaut Loher genau hin. Sie sagt von sich selbst, sie orientiere sich bei ihrer Arbeit an Gerhard Richters photographischer Malerei, die Motivik und Farbabstufung ihrer realen Vorlage beibehält, aber Schärfe und Größe variiert. Loher hat die Fähigkeit, eine Brücke zwischen Wahrheit und Fiktion zu schlagen, die die reale Welt näher bringt und trotzdem in einen fiktiven Kosmos entführt.

Drei Teile und ein Todesfall

Dies geschieht auch in Bugatti taucht auf. Der Roman ist in drei Teile gegliedert, die sowohl im Stil als auch was die Protagonisten betrifft variieren. Erst am Ende kann der Leser die drei Einzelteile, die strikt durch eine nur mit dem Titel des Buchteils bedruckte Seite getrennt sind, zu einem kohärenten Ganzen zusammenbringen.

Jeder der drei Teile beruht auf wahren Begebenheiten. Für den ersten und letzten Teil beschäftigte sich Loher, wie sie im Nachwort erwähnt, ausführlich mit der Lebens- und Firmengeschichte der Familie Bugatti. Sie entwirft ein breites Bild von der bisweilen tragischen Familiengeschichte von Ettore Bugatti, dem Begründer der Automobilfirma und dessen Bruder Rembrandt, der als freier Künstler Tierfiguren herstellte. Dabei kommen die Bugattis, repräsentiert von Rembrandt im ersten Teil in Form eines fiktiven Tagebuches, selber zu Wort. Im Schlussteil geht der Blick von außen zurück zur Familie Bugatti und skizziert die persönlichen Probleme der Familie, die durch die zusätzliche Belastung der Firma durch zwei Weltkriege schlussendlich zur Auflösung der Familienfirma führen.

Buch-Info


Dea Loher
Bugatti taucht auf
Wallstein: Göttingen 2012
208 Seiten, 19,90€

 
 
Durch den Mittelteil wird der Blick auf die Bugattis zugleich unterbrochen wie auch verbunden. Es wird, aufbauend auf Zeitungsausschnitten und Gesprächen mit der Familie des ermordeten Damiano Tamagni, der im Roman Luca Mezzanotte heißt, die Todesnacht des jungen Mannes rekonstruiert. Erst dieser Tod ist Auslöser dafür, dass Lucas Onkel Jordi im dritten Buchteil einen alten Bugatti aus einem See birgt, da das Auto zu Lebzeiten Lucas Interesse weckte. Im Zuge der Bergung rekonstruiert Jordi die Geschichte des Autos und führt so von Luca Mezzanotte zurück zur Familie Bugatti. Loher zeigt hier eindrucksvoll, wie sich Fakten mit Fiktion vermischen lassen und wird dabei beiden Bereichen gerecht. So ist Lohers Roman ebenso ein »Bugatti für Damiano« wie das reale nach Damianos Tod von seiner Familie für ihre Stiftung gegen Jugendgewalt versteigerte Auto.

Von Fiktion zur Realität

Durch die fiktive Verarbeitung bringt Loher die Ereignisse in Locarno in das Bewusstsein des Lesers und macht es nahezu unmöglich, unberührt und unbeeindruckt das Buch zur Seite zu legen, ohne sich vorher über den realen Hintergrund zu informieren, den Loher im Nachwort kurz umreißt. So gerät man schnell auf die Seite der Stiftung von Damianos Familie. Hier sind Bilder vom Trauermarsch und ein eindrücklicher Brief von Caro Dami, dem Vater Damianos, an seinen toten Sohn zu finden. Neben Wut und Verzweiflung steht der Wunsch im Vordergrund, der Tod möge nicht sinnlos gewesen sein und so publik wie möglich gemacht werden, um derartige Vorfälle in Zukunft verhindern zu können.

Hierzu dürfte Loher ein großes Stück beitragen, nicht nur durch ihre Popularität, sondern auch, weil ihr literarischer »Bugatti für Damiano« auch jenseits von realen Bezügen und den moralischen Fragen, die sie aufwerfen, ein gelungenes, abwechslungsreiches und spannendes Buch ist, welches mit großer Leichtigkeit in Stil und Tonlage variiert und dabei doch immer den richtigen Ton trifft. So sind die Tagebucheinträge Rembrandt Bugattis, welche den ersten Teil des Buches ausmachen, voller Poesie und Sehnsucht und erinnern in ihrer Sprache oft an Das Buch der Unruhe Fernando Pessoas´. Todessehnsucht und Erschöpfung spiegeln sich in den Texten von Lohers Bildhauer:

Ich wäre gerne ein anderer. An manchen Tagen nur Rauschen, lauter, leiser, höher, tiefer, Rauschen. Es wird Meer um mich. (unter Wasser) (…) Es ist, als ob ich mich auflöste.

Die Tragik eines einsamen, von der Liebe enttäuschten Mannes zu Zeiten des ersten Weltkrieges wird fast greifbar durch die poetisch umschriebenen Gefühle und Gedanken des jungen Mannes.

Vom poetischen Mann der Unruhe zu einem schlichten Polizeibericht

Abrupt ändert sich der Stil, in dem Loher erzählt, wenn die Tagebucheinträge enden und der zweite Teil des Romans beginnt, der den Mord beschreibt. Schnörkellos, fast wie ein Polizeibericht, wird die Tatnacht rekonstruiert. Die kühle und distanzierte Sprache verleiht dem Bericht eine subtile Dramatik, ohne diese plakativ durch Formulierungen zu evozieren. Vielmehr entsteht eine bedrückende Spannung, wenn der Leser Stück für Stück nachverfolgen kann, wie sich Täter und Opfer im Laufe des Abends aufeinander zu bewegen, bevor es zum traurigen Höhepunkt, dem Mord an Luca, kommt.

Beschreibungen, die die Zeugenaussagen sowie die Aussagen der Täter nach dem Mord skizzieren, führen den Leser durch die Ereignisse: »Eine andere Zeugin wird sagen, sie sei schockiert gewesen durch das Geräusch, mit dem der Fuß gegen Lucas Kopf geprallt sei (…) Ja, wird Ilija sagen, wir waren drei gegen einen, bis der eine auf den Boden fiel.«

Die nüchterne Sprache und die emotionslosen Aussagen der Täter verhindern jegliche Identifikation mit ihnen und drücken, ohne es direkt sagen zu müssen, die völlige Sinnlosigkeit des Mordes aus. Während die Täter nahezu unbeeindruckt von den Geschehnissen sind, zeigt der dritte Teil des Romans, wie die Familie Lucas versucht, dem Tod ihres Jungen einen Sinn zu geben. Im Mittelpunkt steht der Onkel und Berufstaucher Jordi, der beschließt, einen alten Bugatti aus einem nahe gelegenen See zu bergen, um damit ein Zeichen für Luca zu setzen. Gleichzeitig versucht er die Geschichte des Autos mithilfe des etwas skurrilen Autokenners Bronski zu rekonstruieren. Die Sinnhaftigkeit dieses Unterfangens kann Jordi selbst nur folgendermaßen erklären: »Es bedeutete nicht mehr und nicht weniger, als dass ständig Dinge passierten, die wir nicht verstanden und nie verstehen würden.« Dennoch ist er sich sicher, mit der Bergung des Wagens das Richtige zu tun und dazu beizutragen, dem Tod Lucas eine Bedeutung zu geben. Gerade diese abstrus und unplausibel erscheinende Handlung zeigt den Kampf der Familie Lucas, mit dem Tod ihres Sohnes und Neffen zurechtzukommen.

»Es ist so schwer, deinem Tod einen Sinn zu geben«, schreibt Caro Dami in der Realität an seinen Sohn in einem Brief auf dessen Website. Im Roman übernimmt diese Position Lucas Onkel Jordi, wenn er seinen Lebenstraum aufgibt und aus Venezuela zurückkehrt, um seiner Familie beizustehen und dem Mord einen Sinn abzugewinnen.

Durch Jordis Recherchen fügen sich im letzten Teil des Buches endlich auch alle Erzählstränge zu einem kohärenten Ganzen. Ein junger Künstler, der den Freitod wählt, mit seiner Kunst vorher aber das Logo des später berühmten Autos aus der Produktion seines Bruders, Ettore Bugatti, inspiriert. Ein anderer junger Mann, der leben möchte, aber aus diesem Leben gerissen wird. Und am Ende ein Auto, das die beiden Geschichten zu einer macht und sie ineinander verwebt. Dies alles macht nun Sinn und ist zu einer Geschichte geworden. Ein Buch kurzum, das immer neue Facetten zeigt auf seiner Gratwanderung zwischen Realität und Fiktion, zwischen Nüchternheit und Poesie, zwischen Wortgewalt und Parataxe. Ein in jedem Fall lesenswertes Romandebut!



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 Autor*in:
 Veröffentlicht am 27. August 2012
 Kategorie: Belletristik
 Bild von State Library of New South Wales collection via flickr.
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 Ein Kommentar
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Ein Kommentar
Kommentare
 Yvonne
 10. September 2012, 21:38 Uhr

Ein tolles, sehr berührendes Buch, das ich nur empfehlen kann (was ich hier ausführlicher tue: http://www.leselink.de/buecher/gesellschaftsromane/bugatti-taucht-auf.html). Die verschiedenen Stile der drei Teile sind toll geschrieben, die Geschichte packend, ohne voyeuristisch zu sen.

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