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Literaturherbst 2015
Ein Trakl in jedem von uns

Mit Gedichten wie Grodek wird Georg Trakl vom Individuum zum Symbol, zum Spiegel einer von innen zerfressenen Gesellschaft zu Zeiten des ersten Weltkrieges. Die Lesung Trakl und wir beim Literaturherbst gab einen kurzweiligen Einblick in die Welt des immer noch faszinierenden Dichters.

Von Antonia Lenzen und Florian Pahlke

Georg Trakl. Ein Abend über, nein vielmehr mit Georg Trakl: Kind seiner Zeit, Sinnbild einer tragischen Epoche. Er schrieb aus einer Notwendigkeit heraus: Lyrik als Ventil, als persönliche Verarbeitung, von Schmerz, tiefem Seelenleid, vom Verlust des Sinnes. Auch hundert Jahre nach seinem Tod bleibt das Werk des Dichters nur schwer greifbar und spricht dabei dennoch in einer so klaren Bildersprache zu einem, dass dies alleine – und nicht die Tatsache, dass es Heinrich Detering war, der im Rahmen des Literaturherbstes 2015 geladen hatte – zur fast ausverkauften Veranstaltung mit dem Titel Trakl und wir führte.

Personifizierte Werkschau

Die Diskussionsrunde im Rahmen des Göttinger Literaturherbstes am 15. Oktober 2015, zusammengesetzt aus dem Literaturwissenschaftler Heinrich Detering, dem Herausgeber und Initiator der Anthologie Trakl und wir Mirko Bonné und der Lyrikerin Monika Rinck, wollte nun das Kunststück vollbringen, dem Publikum nicht nur besagte Anthologie näher zubringen, sondern insbesondere Werk und Dichter nachvollziehbar zu machen. Bei kaum einem Dichter zeigen sich hierbei jedoch solche Schwierigkeiten, wie sie bei Trakl aufscheinen und gleichzeitig Grund seines Faszinosums sind: Trakl scheint immer schon die personifizierte Darstellung seines eigenen Werkes zu sein und – zumindest retrospektiv, wie Monicka Rinck anmerkt – vollzieht man genau diese Gleichsetzung, wann immer das Oeuvre Trakls zur Sprache kommt.

Buch


Mirko Bonné und Tom Schulz (Herausgeber)
Trakl und wir. Fünfzig Blicke auf einen Opal.
Lyrik Kabinett, München 2014
196 Seiten, 22,00€

 
 
Anstatt dezidiert zwischen Dichter, Werk und Anthologie zu unterteilen, wurde bald offensichtlich, dass die Anthologie zwar einen stark lesefokussierten Teil zugewiesen bekam, die Diskussion aber die selbst auferlegte Trennung ständig unterwanderte. Trakls Sprache und insbesondere Bildlichkeit zeigte in ihrer subversiven Form nicht minder Wirkung in der Debatte über diese Problematik. Das Narrativ des Abends konnte somit nur darin liegen, zumindest selbstreflexiv auf die damit verbundenen Schwierigkeiten hinzuweisen.

Die Frage »stellt sich das Bild von Trakl selbst zwischen ihn und seine Texte?« wurde daher zum Leitmotiv des Abends. Sie diente nicht nur dem Trio Bonné, Rinck und Detering, sondern auch dem Publikum als sachlicher Referenzpunkt, um sich nicht in den hoch emotionalen Texten zu verlieren. Die Intensität und Bildgewalt überwältigen, überfordern mitunter und können schnell zu einem »zu viel« werden. Für solch intime, persönliche Literatur muss der Rahmen so stimmig sein wie an diesem Abend.

Leserin als Instrument der Schmerzbewältigung

Als sehr gelungen erwies sich die Zusammensetzung der Gäste. Alle drei Diskutanten vereinten nicht nur ein profundes Wissen über Trakl und sein Schreiben, sondern hatten dabei ihre ganz eigene Fokussierung und Vorgehensweise, dies an das Publikum heranzutragen. So war es insbesondere Mirko Bonné, der immer wieder auf die Schwierigkeiten der genauen Rekonstruktion der traklschen Biografie hinwies, und darauf, dass diese alleine noch keine argumentative Schlagkraft gegenüber Einzeldeutungen gewinnen könne.

Und doch war es notwendig, über Trakls Leben mit all seiner Tragik zu sprechen, da er untrennbar mit seinen Texten verbunden, als Person selbst darin enthalten ist. Trotz häufigen Lesens nimmt die stark affektive Resonanz, die Trakl durch seine Worte hervorruft, niemals ab: Jedes Gedicht, jeder Brief scheint ein Moment untragbaren Affektes zu sein; das Schreiben, Mitteilen scheint immer auch als Versuch der Entleerung: Der Leser erkennt nicht nur einen Anteil seiner selbst in Trakls Leid, Trakl scheint seinen Schmerz unmittelbar an den Leser weiterzuleiten, der somit selbst Instrument in Trakls Schmerzbewältigungsprozess zu werden scheint. Es ist demnach nur ein natürlicher Schutzinstinkt, ja vielleicht schon eine Art Psychohygiene, sich in Form von Interpretation der Texte auf eine Meta-Ebene zurückzuziehen und der emotionalen Schwere mit rationaler Strukturierung und Erklärungsversuchen entgegenzuwirken. Die Unauflösbarkeit der Bilder, die oft etwas Albtraumhaftes ergeben, bleiben stets unsicher; Trakl lässt innerhalb weniger Worte Konnotationen kippen und schafft so selbst in impressionistischen Schönheiten noch Ansätze von expressionistischer Zerstörungsaffektivität.

Exemplarisch dafür waren die verschiedenen aus der Anthologie vorgetragenen Beiträge, die den oftmals fast zeitlosen Rahmen, den bedrückenden Stillstand in Trakls Texten aufgriffen. Ganz offenkundig wird dies im Gedicht Gesang zur Nacht, welches sich räumlich über zwölf Strophen erstreckt, zeitlich jedoch stagniert. Einzelne Bildbereiche oder Facetten der Texte griff Monika Rinck an diesem Abend nicht nur in ihrem Antwortgedicht, sondern auch in ihren interpretativen Ansätzen auf, meist dahingehend, dass sie diese gekonnt in gesellschaftliche und psychologische Kontexte einband. Trakl schien hier immer wieder als Lyriker des Zeitgeschehens auf, der seismographisch genaue Beobachtungen in nahezu märchenhaft anmutende Lyrik verwandelte.

Ver-intellektualisiert und ver-menschlicht

Wie sehr sich Trakl trotz eigener Herangehensweise immer wieder durch andere Dichter beeinflusst sah und diese auch selber nachhaltig beeinflusste, wusste Heinrich Detering mittels werkimmanenter Bezüge durch beispielsweise Hölderlin, Whitman oder Rimbaud und Rilke hinzuzufügen. Vor allem an solchen Stellen gewann die Veranstaltung dann auch an literaturwissenschaftlicher Tiefe. So konnte Heinrich Detering anhand weniger Beobachtungen, z. B. zum Reimschema, der Metrik oder zu Anaphern, wunderbar aufzeigen, welchen Reiz das traklsche Werk auch auf dieser Ebene entfalten kann.
Selbst wenn die Gespräche immer wieder zwischen Trakl als Person und seinem Werk oszillierten, warnten die Diskutanten an den entscheidenden Stellen vor einer zu stark autobiografischen Lesart – wenn auch insbesondere die Frage des Inzests gerade durch ihre wiederholte Zurückweisung überproportional präsent blieb.

Der österreichische Lyriker wurde an diesem Abend nicht in erster Linie ver-intellektualisiert, sondern auch ver-menschlicht. Trakl war ein leidender, gebrochener Mann, dessen borderlinige Persönlichkeit sich in einer von Ambivalenz geprägten, bildgewaltigen Sprache spiegelt: Er selbst, wie auch seine Texte, befinden sich im ewigen Spannungsfeld zwischen dem Pol der Sehnsucht nach innerer Ruhe und Idylle sowie seinem Gegenpol, der ausweglosen Verzweiflung, in die seine Texte und er zuletzt immer wieder kippen. Der dadurch verstärkte Kontrast zwischen einem Wunsch und der dunklen Realität, kreiert ein starkes und zugleich verstörendes Bild zweier sich unversöhnlich gegenüberstehenden Welten. Man sieht Trakl praktisch bei dem vergeblichen Versuch zu, seine in Splitter zerfallene Welt wieder zusammenzusetzen. In ihrer Konstellation schafften Rinck, Bonné und Detering genau jene Balance, in der man Trakl und seine Welt für zumindest 75 Minuten mittragen konnte.



Metaebene
 Autor*in:
 Veröffentlicht am 3. November 2015
 Bildrechte wie folgt: Heinrich Detering: Literarisches Zentrum; Mirko Bonné: Sabine Bonné; Monika Rinck: Ute Rinck
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