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Federleichte Kapitalismuskritik

Der Alptraum eines:r jeden Kapitalist:in: Zwangspause vom ständigen Konsum – genau das passiert dem Protagonisten der Komödie Die Liebe Geld. Der Autor Daniel Glattauer webt einen Hauch von Kapitalismuskritik in eine amüsante und unterhaltsame Geschichte voller genialer Dialoge.

Von Joscha Frahm

Konsumieren geht immer. Es braucht lediglich zwei Klicks, um jedes erdenkliche Produkt zu erwerben. Egal ob zu Weihnachten, zum Geburtstag, zum Valentinstag oder zum Hochzeitstag: Geld ausgeben gehört einfach dazu. Besonders während der Corona-Pandemie wird klar: Wird nicht ständig konsumiert, leidet die Wirtschaft. Da fällt es schwer, mal durchzuatmen und dem ganzen Wahnsinn zu entfliehen. Eine Pause vom Konsum einzulegen.

Genau dazu ist der Protagonist von Daniel Glattauers Komödie Die Liebe Geld, Alfred Henrich, gezwungen. Als er Geld abheben will, um ein Geschenk für seine Frau zum Hochzeitstag zu kaufen, fällt er aus allen Wolken. Denn er hat keinen Zugriff mehr auf sein Erspartes. Als Alfred wutentbrannt zur Bank stürmt, wird ihm dort beigebracht: Sein Geld sei gerade auf »Geschäftsreise«. Wann es wieder komme, wisse man noch nicht. Über die Gründe für die Abwesenheit des Geldes erfahren weder die Leser:innen noch Alfred etwas Genaueres.

Doch Alfred will nicht warten. »Sehr genervt«, »zornig«, »dauerhaft erregt und missmutig« strahlt er die Hektik des vom Konsum bestimmten Alltags aus. Alfred braucht Geld für das Geschenk, für das zu renovierende Haus der Schwiegermutter und den Einkauf – und das sofort. Doch das sieht der Bankdirektor Cerny anders. Dieser will Alfred angeblich lieber bei seinen persönlichen Problemen helfen, denn Geld interessiere ihn nicht.

Geld und Stärke

Buch-Info


Daniel Glattauer
Die Liebe Geld
Zsolnay: Wien 2020
112 Seiten, 18,00€

 
 
Alfred ist verzweifelt und wütend. Er habe sich sein Geld doch erarbeitet, es gehöre ihm und er wolle es auf der Stelle ausgehändigt bekommen, schimpft er bei der Bank. Durch Alfreds Verzweiflung wird klar: Er glaubt, wer kein Geld habe, sei schwach und machtlos. Denn seiner Meinung nach sind finanzielle Probleme viel größere Beziehungskiller als Untreue und Lügen. Der Liebe zu seiner Frau Ulli will Alfred mithilfe eines teuren Geschenks Ausdruck verleihen.

Glattauer karikiert ein von Klischees gezeichnetes Männlichkeitsbild: Männlich ist, wer stark ist, wer hart arbeitet und finanziell unabhängig ist. Ein Gedicht schreiben? Gefühle preisgeben?  Schwach, peinlich. Das kommt für Alfred Henrich auf keinen Fall in Frage. »Nein ich schreibe keine Liebes…, ich schreibe niemals Gedichte. […] Das ist mir peinlich«, erwidert er auf den Vorschlag des Bankdirektors, seiner Frau ein Gedicht anstelle eines teuren Colliers zu schenken.

Die Komödie schafft es auf amüsante und unterhaltsame Art und Weise, ein Problem zu adressieren, das der Kapitalismus mit sich bringt: Die finanzielle Lage von Menschen dient als Grundlage zur Beurteilung von Charaktereigenschaften – selbst, wenn diese gar nicht selbstverschuldet ist. Federleicht streift der Autor das Thema, ohne die Leser:innen dabei zu verschrecken. Vielmehr belustigt er mit genialen Dialogen und bizarren Situationen, in die er die subtile Kapitalismuskritik einwebt.

Die Pandemie als Hintergrund

Auch die Corona-Pandemie wird in Glattauers Komödie verarbeitet. Diese wird allerdings eher im Nebensatz erwähnt als konkret thematisiert.  Denn der eigentliche Bezug zur Pandemie ist der unverschuldete finanzielle Schock Alfred Henrichs, der in völlig aus der Bahn wirft. Glattauer beschreibt damit ein hochaktuelles Problem. Die Pandemie hat viele Menschen in eine finanziell prekäre Lage gebracht. Ganze Branchen stehen vor dem finanziellen Ruin und erstmals seit 2013 ist die Arbeitslosenquote in Deutschland gestiegen. Tausende Menschen haben vom einen Tag auf den anderen alles verloren, was sie sich über Jahre erarbeitet haben. So auch Alfred Henrich: Er hat durch die Pandemie Rückschläge erlebt und ist ganz plötzlich von einer finanziell komfortablen in eine höchst prekäre Lage geraten. So manch eine:r wird sich in ihm wiederfinden und die maßlose Verzweiflung nachvollziehen können, die ihn ergreift, als ihm klar wird, dass alles, was er sich über die letzten Jahrzehnte erarbeitet hat, plötzlich weg ist.

Doch Bankdirektor Cerny will Alfred helfen, sich auf die menschlichen Werte zurück zu besinnen. Was ist wirklich wichtig? Was macht glücklich? Das sind Fragen, die sich viele stellen, während das Coronavirus den Alltag lahmlegt. Wenn man Cerny glaubt, sind Liebe und Gesundheit wichtiger als Geld. Doch ist es wirklich so einfach? Oder ist Cernys Ansicht durch seine eigene, komfortable Lage geprägt?

Geld spielt keine Rolle – wenn man genug davon hat

Es fällt leicht, Geld zu vergessen, wenn man genug davon hat. So geht es auch Bankdirektor Cerny. Ausgestattet mit teuren Designer-Anzügen und Mercedes, beschreibt dieser sich als »antimateriell«. Er meint, Alfred und er hätten viel gemeinsam. Doch Alfred ist da ganz anderer Meinung. Ihm ist Geld ganz und gar nicht egal. Schließlich ist es seine Lebensgrundlage. Wer wenig Geld hat, hat keine andere Wahl, als jeden Cent umzudrehen, während wohlhabende Menschen den Luxus genießen, sich mit anderen Dingen beschäftigen zu können.

Die Leser:innen werden vor die Frage gestellt, ob Geld wirklich alles ist. Denn einerseits wirkt Alfred Henrich übermäßig ungeduldig und auf Geld fokussiert, andererseits scheint auch die Sicht des Bankdirektors Cerny angesichts seines Reichtums zynisch. So stellt Daniel Glattauer beide Perspektiven dar und karikiert diese gleichermaßen. Welche nun die bessere ist, bleibt offen.

Die Bank der Zukunft oder Heuchelei?

Der Bankdirektor Cerny entwirft ein Bild der Bank der Zukunft: »Schluss mit der Zahlen-Blenderei. Es zählt der Mensch«, appelliert er an Henrich. Zunächst scheint das Vorhaben als sinnvolle Alternative zum kapitalistischen Bankensystem.  Dem Bankdirektor schwebt eine Bank vor, die Menschen auch bei ihren persönlichen Problemen hilft: »Trauerarbeit, Beistand bei Eheproblemen, Wohin mit meinem Hund im Urlaub? – Hierher, zu uns!« So sollen sich die Kund:innen  geborgen und sicher fühlen. Doch gegen Ende des Buches deutet sich an: Ganz so ernst meint Cerny es dann doch nicht mit der Menschlichkeit.  Daraus ergibt sich für die Leser:innen eine Frage: Ist ein radikaler Systemwandel wirklich sinnvoll und nötig? Oder können wir auch innerhalb eines kapitalistischen Systems konsumieren, ohne uns selbst, anderen und der Umwelt zu schaden? Deutlich wird so oder so: Glattauer kritisiert, welch hohen Stellenwert von Geld in der heutigen Gesellschaft hat und wie sehr es den Umgang miteinander bestimmt.

Gewitzt erzählt Daniel Glattauer eine bizarre Geschichte voller ausgeklügelter Dialoge und Situationen, die zum Lachen bringen. Zwar präsentiert er kein konkretes Problem und dessen Lösung. Dennoch liefert er interessante Denkanstöße, die aufgrund der leichten Form der Komödie nicht allzu schwer zu verdauen sind. Kapitalismuskritik, ein Appell an menschliche Werte wie Liebe und Gesundheit und eine Anprangerung des Zynismus reicher Menschen – in Glattauers Komödie ist all das zu finden. Und auch, wenn man alles Sozialkritische außen vor lassen möchte und einfach abschalten will, eignet sich das Buch hervorragend. Denn wenn man nicht danach sucht, findet man auch nicht unbedingt eine Gesellschaftskritik in Die Liebe Geld.



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 Veröffentlicht am 29. März 2021
 Kategorie: Belletristik
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