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»Geil abgeliefert«?

Luftschlangen, Tanzmusik, Frittiertes und Bier. Wer sich die Inszenierung von Heinz Strunks Fleisch ist mein Gemüse im Deutschen Theater Göttingen anschaut, kann nicht mehr sicher sein, ob er im Theater oder auf dem Schützenfest gelandet ist.

Von Marie Krutmann

Heinz Strunk; Entertainer, Autor und Mitgründer des Trios Studio Braun, gehört heute zu den bekanntesten Gesichtern der deutschen Kulturszene. Da ist es kaum vorstellbar, dass es sich bei ihm und dem wenig attraktiven, erfolglosen Heinzer aus Fleisch ist mein Gemüse um ein und die selbe Figur handeln soll. Nach dem Erfolg von Buch und Film folgt nun die Theaterfassung zum autobiographischen Werk.

Mucke und Mutter

Heinzer liegt lustlos auf dem Boden und schnippelt an ein paar Grashalmen rum, die aus einem Blumentopf vor seiner Nase ragen. Hinter ihm das Panorama einer nichtssagenden Reihenhaussiedlung. Der Alltag des verpickelten jungen Mannes, der immer noch bei Mutti auf dem Dorf wohnt, besteht aus fernsehen, onanieren und saufen.

Eigentlich möchte er Musiker oder sogar Produzent werden, doch der Erfolg im Musikbusiness lässt ebenso lange auf sich warten wie der Erfolg bei Frauen. Die einzige Frau in seinem Leben ist seine kranke, depressive Mutter, mit der er sich auf stundenlange Ja-Nein-Streitereien einlässt. Als er schließlich das Angebot erhält, als Bassist bei der Tanzkapelle Tiffany´s einzusteigen, ist er hellauf begeistert. Ausgestattet mit Sonnenbrille, Omas Pelzmantel und Kippe im Mund, erhofft er sich durch die Tanzmusik das Ende der Sozialhilfe und den Beginn einer großen Karriere.

Da steht ein Pferd auf´m Flur

Und schon weicht auch die öde Reihenhausfassade einem glitzernden Luftschlangenregen. Gleichzeitig beginnt die Band zu spielen und es kommt Leben in die Alltagstristesse auf der Bühne. Der Effekt ist zunächst groß. Ebenso wie Heinzer erhält auch der Zuschauer den Eindruck, dass ihn nun etwas Großes erwartet. Der Pelzmantel wird zwar durch ein pinkes Satin-Jacket ersetzt, doch das bringt Heinzer nicht weiter aus dem Konzept, der bei Aufträgen, wie »Doppelmucke in Sprötze« ganz aus dem Häuschen gerät. Was der Zuschauer allerdings schon bald ahnt, wird schließlich auch dem Möchtegern-Star nach dem hundertsten Schützenfest klar, bei dem sich die betrunkene Dorfgemeinde im Luftschlangenmeer verheddert: Tanzmusik ist ein Teufelskreis.

Gute Miene zum bösen Spiel

Bisher war das ja alles ganz lustig mit den altbekannten Schlagern und den platten Witzchen, über die man dann doch lacht, weil sie so gut in die Tragikomödie passen. Doch nach der Pause gibt der Vorhang unverändert den Blick auf die abgerissenen Luftschlangen frei. Hat denn niemand in der Zwischenzeit das Bühnenbild aufgeräumt?

Nein, denn statt des erhofften Wendepunkts geht es nun so richtig den Bach runter. Während der ersten Hälfte saß die unzufriedene Mutter die ganze Zeit, in eine Steppdecke gewickelt, in einem Sessel am Bühnenrand. Immer dann, wenn Heinzer sich in der Welt der Tanzmusik verloren hatte, fing die Mutter auf einmal an zu jammern und holte ihn und das Publikum zurück in die traurige Realität. Nun sitzt Heinzer an ihrer Stelle und spricht mit wiederhallender Stimme in eine Urne. Die Mutter ist während der Pause gestorben. Doch da geht’s schon mit der Hitparade weiter, denn das Wichtigste ist und bleibt »geil abzuliefern«.

Willkommen im Musikantenstadl

Eine Theaterinszenierung hat es im Vergleich zum vorangegangen Buch und Film häufig schwer. In diesem Falle überzeugt das Buch durch die sarkastische Art, auf die Strunk die eigentlich tragische Geschichte erzählt. Auch der Film funktioniert gut mit den bizarren, trostlosen, aber einzigartigen Charakteren, die eine Rolle in Heinzers Alltag spielen. Man fühlt sich durch das dargestellte Milieu in die 80er Jahre versetzt und auch wenn die Handlung selbst nicht viel an Spannung bietet, so gibt es technische Besonderheiten, die zur Unterhaltung beitragen.

Das Stück

nach dem Roman von Heinz Strunk, Bühnenfassung von Antje Thoms
Inszenierung: Antje Thoms
Musikalische Leitung: Fred Kerkmann

Premiere:
27.04.2013

 

DT

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Das Deutsche Theater in Göttingen zeigt als größtes Theater der Stadt ein umfangreiches Repertoire auf drei Bühnen. Bereits seit den 1950er Jahren errang das DT unter Leitung des Theaterregisseurs Heinz Hilpert den Ruf einer hervorragenden Bühne. Seit 1999 garantiert Intendant Mark Zurmühle bewährte Theatertradition sowie Innovation.
 
 
So kommentiert Strunk gemeinsam mit einem Hirschkopf die Handlung und dient dem Zuschauer als reflektierende Instanz. Wie gelingt es nun aber, ohne den Vorteil technischer Effekte auf der Theaterbühne mit einer solchen Geschichte zu unterhalten? Scheinbar durch die Musik. Ein Hit jagt den anderen. Von »Ei schott se Schärriff« bis »Mamor Stein und Eisen bricht« ist wirklich alles vertreten, was der Schlagerhimmel zu bieten hat. Das Publikum wird ermutigt mit zu klatschen, zu schunkeln und am Ende artet alles zu einer großen Sause aus, bei der die Zuschauer der ersten Reihe gemeinsam mit den Schauspielern auf der Bühne tanzen. Da macht es dann auch nichts mehr, dass statt Hansi Hinterseer »Gurki«, alias Michael Meichßner, den Entertainer gibt.

Spätestens nach »You´re my heart you´re my soul« weiß man als Zuschauer dann nicht mehr so recht, wo man gelandet ist. Eigentlich ist alles furchtbar tragisch. Heinzer erbricht sich auf der Bühne und rutscht erbärmlich auf dem Luftschlangenschleim herum. Die Geschichte dieses jungen Mannes ist schlichtweg sehr traurig, aber gleichzeitig soll man die ganze Zeit klatschen, lachen und singen. Was ist es denn nun: Tragödie oder Komödie? Die Kostüme werden immer schriller, die Musik immer schneller. Das Publikum zögert nicht mehr länger. Das scheint hier offensichtlich so eine Art Konzert zu sein, bei dem man praktischer Weise jeden Song mitsingen kann. Unermüdlich spielt die Band weiter, die Stimmung ist ausgelassen. Zwischendurch fällt der Blick auf Heinzer, der unauffällig am Rand steht und mit verzweifelter Miene an seinem Bass zupft. Stimmt ja, es ging eigentlich um ihn. Das schlechte Gewissen, weil man vergessen hatte Mitleid zu haben hat jedoch keine Chance die Oberhand zu gewinnen, denn da ertönen die ersten Klänge des großen Finales. Die Band stellt sich vor, alle applaudieren.



Metaebene
 Autor*in:
 Veröffentlicht am 23. Juni 2013
 Bild mit freundlicher Genehmigung vom Deutschen Theater Göttingen
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