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Im Zweifel für den Zweifel

Der Spielfilm Burning des südkoreanischen Regisseurs Lee Chang-dong verweigert sich modischen Erzählkonventionen, legt falsche Fährten und liefert bewusst keine einfachen Erklärungen. Das wird viele frustrieren, macht Burning aber zu einem der besten Filme der letzten Jahre.

Von Fabio Kühnemuth

Eines ist im Filmjahr 2019 klar geworden: Das südkoreanische Kino ist derzeit in Hochform. Bong Joon-hos Parasite gewann die Goldene Palme bei den Internationalen Filmfestspielen in Cannes und gehört zu den mit Abstand originellsten Filmen der letzten Jahre. Etwas unter dem Radar – zumindest hierzulande – flog derweil Burning von Bongs Landsmann Lee Chang-dong. Der Film feierte seine Weltpremiere bereits vergangenes Jahr an selber Stelle (und wurde dort immerhin mit dem FIPRESCI-Preis ausgezeichnet), es dauerte jedoch wie immer eine Weile, bis ein deutscher Verleih dem hiesigen Publikum ein Werk von solchem Format zutraute und der Film in die Kinos kam. Die ungleiche Resonanz für die beiden Ausnahmefilme kommt indes nicht von ungefähr: Während Parasite das Subgenre des Home Invasion-Thrillers (im wahrsten Sinne des Wortes) untergräbt, entzieht sich Burning gleich jeglicher Genrezuschreibung und ist nicht unbedingt leicht zugänglich. Der Film ist ein vollendetes Kunstwerk, wächst aber zugleich über sich hinaus, indem er sich konsequent den zeitgenössischen Trends des audiovisuellen Erzählens, wie etwa »auf wahren Begebenheiten« zu basieren, versperrt.


©capelight pictures
The Lady Vanishes

Burning nämlich geht zurück auf die Kurzgeschichte Scheunenabbrennen (1983) von Haruki Murakami – also auf eine ausdrücklich erfundene Geschichte. Der Prozess des literarischen Schaffens wird im Film auch selbstreflexiv thematisiert: Der aus bescheidenen Verhältnissen stammende Protagonist Jong-su (Yoo Ah-in) ist selbst angehender Schriftsteller und arbeitet an einem Roman. Das jedenfalls erzählt er gleich zu Beginn des Films seiner ehemaligen Schulkameradin Hae-mi (Jeon Jong-seo), die er zufällig wiedertrifft. Die beiden gehen gemeinsam Essen und schlafen anschließend miteinander. Was zunächst wie ein klassisches boy-meets-girl-Schema anmutet, wird bereits jäh unterbrochen, als Hae-mi kurzentschlossen nach Afrika reist. Jong-su wird derweil die zweifelhafte Ehre zuteil, Hae-mis Katze zu füttern. Diese bekommt er allerdings nie zu Gesicht, was die erste Unbestimmtheitsstelle des Films darstellt und den Ton für die kommenden zwei Stunden vorgibt. Hat Hae-mi überhaupt eine Katze oder nicht? Beides ist gleichermaßen möglich.

Zurück von ihrer Reise hat Hae-mi den undurchsichtigen und etwas zwielichtigen Ben (überragend: Steven Yeun) im Gepäck. Ben ist jung, hübsch und vor allem reich; sonst erfährt man aber nur sehr wenig über ihn (Jong-su selbst bezeichnet Ben einmal als »The Great Gatsby«). Nur einmal erzählt er scheinbar beiläufig von sich und seiner Gewohnheit, verlassene Gewächshäuser abzubrennen. Eine Metafiktion, die für Jong-su zur Obsession wird, als Hae-mi kurz darauf spurlos verschwindet. Dass das Abbrennen von Gewächshäusern eine Metapher für etwas ganz anderes ist – möglich. Wahrscheinlich sogar. Aber eben nicht klar. Wie so vieles in diesem Film.

Brennende Ungewissheit

Aus dieser Figurenkonstellation ergeben sich konventioneller Weise drei mögliche Ansätze: ein sozioökonomischer Klassenkampf arm vs. reich (wie

Film

Burning
Regie: Lee Chang-dong
2018 (Südkorea) · 2h 28min
Mystery · mit Yoo Ah-in,
Steven Yeun, Jeon Jong-seo

 
 
er etwa in Parasite geführt wird), eine konfliktreiche Beziehungskiste in Form einer Dreiecksgeschichte oder aber ein Kriminalplot mit der Suche nach einer vermissten Person. Burning verfolgt keinen dieser Ansätze, formuliert keines der Themen aus, exerziert die (potenziellen) Konflikte nicht durch. Die Spuren verlaufen im Sand, lösen sich in Luft bzw. Rauch auf – und genau dieses Vorgehen macht die Kraft von Burning aus. Hae-mi bleibt ein Rätsel, genau wie ihr plötzliches Verschwinden. Ben bleibt ein Rätsel. Und der vermeintlich einfach gestrickte Jong-su wird ebenfalls immer rätselhafter. Der ganze Film ist ein Fragezeichen.

Es gibt keine »wahre Geschichte«, es gibt nur Indizien und ihre subjektiven Interpretationen. Über diesen Film zu schreiben verbietet sich eigentlich, obgleich es so viel zu sagen gäbe. Die Wirkung liegt in den wunderschönen, poetischen Bildern, die zugleich von einer vordergründig naturalistischen Ästhetik geprägt sind und sich in der Regel nicht an ihren eigenen Schauwerten berauschen. Nur manchmal, etwa wenn Ben mit den perfekten Oberflächen seines Luxusappartements zu verschmelzen scheint oder Hae-mi berauscht im abendlichen Zwielicht beginnt zu tanzen und die Kamera es ihr scheinbar unwillkürlich gleichtut, verlassen die Bilder das Reich der reinen Repräsentation. Und einmal – passenderweise im Rahmen einer Traumsequenz – brennt dann doch, ganz real, ein Gewächshaus. Die überwältigenden Zeitlupenbilder der Flammen entwickeln einen Sog, dem sich weder die Figuren noch die Zuschauer*innen zu entziehen vermögen.


©capelight pictures

Der Film strotzt vor Andeutungen, Widersprüchen und Sackgassen. Jong-sus obsessive Suche nach Hae-mi und abgebrannten Scheunen persifliert die verzweifelte, zwanghafte Spuren- und Sinnsuche der Zuschauenden, während sich der Film selbst dem Paradigma der Transparenz verweigert. Es gibt keine spektakulären Plot Twists, es wird nichts aufgeklärt und es gibt auch nichts, was gespoilert werden könnte. In seiner Verweigerung von Closure und dem Spiel mit den Zuschauer*innenerwartungen erinnert Burning an einen anderen überragenden Film des letzten Jahres, nämlich David Robert Mitchells Under the Silver Lake. Wie dieser ist auch Burning ein Mysterium, bei dem alle Fährten ins Leere führen und Fragen unbeantwortet bleiben. Burning, das ist Kopfkino im besten Sinne und wird deshalb sehr viele Menschen frustrieren. Allen, die sich auf den Film und sein kryptisches Spiel mit der Macht der Fiktion einlassen, blüht jedoch ein Filmerlebnis von seltener Schön- und Erhabenheit.



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 Veröffentlicht am 26. November 2019
 Kategorie: Misc.
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