Impressum Disclaimer Über Litlog Links
Mahlstrom zur Erkenntnis

Kein abgedroschenes Seemannsgarn, sondern ein modernisiertes, intermedial fein durchkomponiertes Buch zum Entspannen ist Nick Hayes Graphic Novel Die Ballade von Seemann und Albatros. Nicht nur als Schriftsteller, sondern auch als Graphik-Virtuose überzeugt der 30-jährige Engländer.

Von René Anders

Jeder hat mal einen schlechten Tag. Einen Tag, an dem man einfach mal in Ruhe im Park sitzen, ein Sandwich verdrücken und in Ruhe gelassen werden will. Wenn dann auf einmal ein alter Seemann um die Ecke kommt, sich ungefragt dazugesellt und sein vermeintliches Seemannsgarn spinnen will, dann ist der Gipfel der Frechheiten nun wirklich erreicht. Da wird man ganz schön verdutzt gucken, während der Seemann sofort mit seiner Geschichte loslegt, ohne ein »Hallo« oder »Guten Tag«. Und noch verdutzter wird man dann dreinschauen, wenn man bemerkt, was einem der Seemann da eigentlich gerade berichtet.

The Ancient Mariner goes modern

Was sich da zusammenspinnt ist eben kein abgedroschenes Seemannsgarn, sondern eine Geschichte von epischen Ausmaßen, es ist Die Ballade von Seemann und Albatros. Ein wirklich gewagtes und erstaunliches Werk, das Nick Hayes dem Publikum vorlegt. Er bedient sich des 1834 verfassten Textes The Rime of the Ancient Mariner, in dem ein alter Seemann einer Braut kurz vor ihrer Hochzeit seine unglaubliche Lebensgeschichte erzählt. Jeder Hochzeitsgast hängt wie gefesselt an seinen Lippen und lauscht seinem Bericht über eine tragische Seefahrt, deren Unheil mit einem toten Albatros seinen Anfang nahm. Hier sind schon die Freiheiten zu erkennen, die sich Hayes erlaubt hat. Er hat die Ballade komplett überarbeitet, nur das Grundgerüst ist dabei gleich geblieben: ein Seemann berichtet von seiner unglückseligen Reise durch die Weltmeere, in diesem Fall aber einem frisch geschiedenen Mann. Hayes ist es dabei geglückt, den Text um seine altertümliche Sprache zu erleichtern und in eine Graphic Novel zu verwandeln, die mit Themen und einer Botschaft aufwartet, die aktueller kaum sein könnten.

Buch-Info

spiel mit ihr
Nick Hayes
Die Ballade von Seemann und Albatros
mare: Hamburg, 2012
352 Seiten, 28,00 €

 
 
Nick Hayes überzeugt bei diesem Werk als Autor und Zeichner zugleich. Der 30-jährige Engländer hat bisher vor allem politische Cartoons veröffentlicht. Er ist Gründungsmitglied des Meat Magazine, einem englischen Satiremagazin, und liefert davon nun zum ersten Mal sozusagen eine Langform ab. Dabei weiß er gekonnt, die Worte zu finden, die nicht nur zu Herz gehen und überzeugen, sondern sich auch perfekt in seine Zeichnungen einfügen und mit ihnen verschmelzen. Es ist nicht so, dass Hayes sich von Frame zu Frame arbeitet – so werden die einzelnen Bilder genannt – er gibt seinen Zeichnungen oftmals eine ganze Seite, damit die Zeichnungen ihre Wirkung komplett entfalten können. Dabei verzichtet er auch weitestgehend auf Sprech- oder Gedankenblasen. Er fügt die Worte in seine Zeichnungen auf harmonische Weise ein. Sie gehören zum Bild und sind kein angehängter Kommentar. Aber auch die Übersetzung ist erwähnenswert: Henning Ahrens gelingt es, Hayes zu übersetzen, ohne dass dabei die lyrische Form verlorengeht. Sicherlich half ihm dabei seine eigene Erfahrung als Lyriker und Romanautor. Der Zeichenstil von Hayes wirkt ebenfalls harmonisch. Er arbeitet mit geschwungenen Linien, die einerseits ein wenig Cartoon-artig wirken, dies aber ohne jemals komisch oder klamaukig zu wirken. Gerade zu dem maritimen Thema passt diese Stiftführung natürlich besonders gut. Auch die Farbwahl fügt sich in dieses Schema ein: Neben ein paar nicht getuschten schwarz-weiß gehaltenen Zeichnungen, bedient sich Hayes passender Weise hauptsächlich Blautönen.

Vom Mord an der Natur

So wird die Geschichte mit Worten und Zeichnungen erzählt und zusammen erzeugen sie einen Sog wie einen Mahlstrom. Dieser Mahlstrom zieht den Leser immer tiefer in den Bann und lässt einen am Ende mit einer Erkenntnis zurück – aber eine Erkenntnis gleich einer mahnenden Warnung, die sich eigentlich jeder zu Herzen nehmen sollte. Es geht Hayes nämlich um die Beziehung von Mensch und Natur. Denn warum zieht der Seemann denn überhaupt los? Was treibt ihn zur See? Er will aus Walknochen Schmuck herstellen. So chartert er sich einen Kahn inklusive Crew und sticht in See. Da ihm die Fahrt jedoch öde erscheint, vertreibt er sich die Zeit mit Schießübungen. Sein Ziel sind zunächst Müll und Flaschen, die im Meer herumtreiben. Als ihm auch dies jedoch auch zu langweilig wird, sucht er sich ein bewegliches Ziel: einen Albatros. Doch dem Tod des Albatros folgt der Zorn der See und die tragische Reise nimmt ihren Lauf – begleitet von Unglück und Tod. Das Ende bringt ihm die Erkenntnis: Der Mensch respektiert die Natur nicht mehr. Wir verschmutzen unsere Welt, okkupieren sie. Doch welche Rolle spielt der Mensch eigentlich? »Mit Gaias Stimme sang der Wind vom Menschen, der dem Land / entsprang und / nach dem Himmel… / …griff und im Nichts… / …verschwand.«

Für all jene, die Interesse am ursprünglichen Gedicht The Rime of the Ancient Mariner bekommen haben, findet sich der englische Text von 1934 im Anhang nebst einer Übersetzung vom Lyriker Ferdinand Freiligrath. Gerade, wenn man sich den Ursprungstext noch einmal vor Augen führt, wirkt Hayes Werk noch beeindruckender. Denn es wird klar, er hat keine bloße Interpretation abgeliefert oder etwa den Text einfach nur von seiner sprachlichen Staubschicht befreit. Hayes hat ein eigenständiges modernes Kunstwerk geschaffen, das sich nicht hinter seiner Vorlage verstecken braucht.

Wer also auf der Suche nach einer Graphic Novel ist, die mal stilistisch und thematisch fernab von Größen wie Alan Moore oder Frank Miller arbeitet und sich einem wichtigen und trotzdem für das Genre ungewöhnlichen Thema zuwendet, sollte hier unbedingt zugreifen. Auch jene, die noch keine Erfahrung mit Comics oder Graphic Novels gemacht haben, sollten nicht davor zurückschrecken. Die lyrische Sprache und die klare Zeichenart verdeutlichen jedem die Botschaft des Werkes. Man braucht also kein Experte auf diesem Genre zu sein, um Die Ballade von Seemann und Albatros genießen zu können. Sicher ein Werk, das man nicht nur einmal liest und sicher ein Werk, das einem noch lange in Gedanken bleiben wird!



Metaebene
 Autor*in:
 Veröffentlicht am 20. August 2012
 Kategorie: Belletristik
 Mit freundlicher Genehmigung des mare Verlag.
 Teilen via Facebook und Twitter
 Artikel als druckbares PDF laden
 RSS oder Atom abonnieren
 Keine Kommentare
Ähnliche Artikel
Keine Kommentare
Kommentar schreiben

Worum geht es?
Über Litlog
Mitmachen?