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Figurentheatertage
Mehr als Tri-Tra-Tralala

Der »Puppenmeister« fragt nach: Noch bis zum 21. Februar finden die 31. Göttinger Figurentheatertage statt. Über die Faszination, toter Materie Leben einzuhauchen und die unbegrenzten Möglichkeiten des Objektspiels sprach Festivalleiterin Christiane Mielke vom Fachbereich Kultur im Interview mit Litlog. Das Gespräch führte Simon Sendler.

Simon Sendler: Haben die Figurentheatertage 2016 ein bestimmtes Motto oder ein Thema?

Christiane Mielke: Es gibt bei dem Festival eigentlich nie ein bestimmtes Motto. Ich versuche vielmehr jedes Jahr, eine Bandbreite dessen, was dieses Genre zu bieten hat, auch einzuladen, sowohl für den Kinder- als auch für den Erwachsenenbereich. Allerdings gibt es diesmal erstmals eine Kinderjury.

Woher kommt die Idee, dieses Jahr eine Kinderjury einzusetzen?

Ich kenne es von vielen anderen Festivals, dass es dort eine Kinderjury gibt. Es ist für die Kompanien, die dort spielen, sehr interessant, einen Preis von einer Kinderjury zu bekommen, weil die ganz andere Kriterien zu Grunde legt als zum Beispiel eine Fachjury. Weil es so viele Kinderveranstaltungen sind, 15 an der Zahl, werden es zwei Jurygruppen sein. Sich 15 Inszenierungen innerhalb von 16 Tagen anzugucken, das würde auch Erwachsene überfordern, deswegen gucken die sich die Stücke in der Altersgruppe von 3-5 und 5-7 an und so wird es zwei Preisträger geben. Das ist kein hochdotierter Preis, es wird aber eine von einem Figurenschnitzer angefertigte Skulptur übergeben, als Symbol für diese Kinderjury.

GFTT 2016

Vom 06.-21. Februar 2016 präsentieren sich während der 31. Göttinger Figurentheatertage 37 Aufführungen in Göttingen und Umgebung. Die Leitung des Festivals hat hat seit 2009 Christiane Mielke vom Fachdienst Kultur der Stadt Göttingen inne. In diesem Jahr gibt es erstmalig zwei Kinderjurys, die Preise an Stücke aus dem Kinderprogramm vergeben.
 

Reihe

Unter dem Titel »Puppenmeister« berichtet Simon Sendler für Litlog über sechs Stücke, die im Rahmen der 31. Göttinger Figurentheatertage aufgeführt werden: Hannes und Paul (12.02.), Mein Fleisch (13.02.), Punch and Judy in Afghanistan (18.02.), Der wunderbare Massenselbstmord (19.02.), Bilder einer Ausstellung (20.02.) und die Abschlussvorstellung des Festivals Die musikalische Hölle (21.02.). Simon Sendler studiert Englische und Deutsche Philologie an der Universität Göttingen und ist seit Januar 2015 Autor bei Litlog.

 

Stück

Christiane Mielke ist Angestellte des Fachdienstes Kultur der Stadt Göttingen und leitet seit 2009 die Göttinger Figurentheatertage. Einen besonderen Schwerpunkt des Festivals legt Mielke auf der Präsentation von studentischen Inszenierungen. Sie implementierte zudem im Jahr 2016 erstmals eine Kinderjury, die die von Nikos Woelff gestalteten Preisskulpturen überreichen. Die Preisverleihung findet am 24. Februar 2016 im Alten Rathaus statt.

 
 
Und es ist schon wirklich sehr interessant und spannend, was Kinder für Kriterien haben: die werden ja auch begründen, warum sie die Preis an die jeweiligen Gruppen vergeben. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass das, was ich vielleicht als Favoriten sehen würde, nicht unbedingt die Meinung der Kinder ist, weil sie einen eigenen Blick haben. Für die Theatermacher ist das wie eine Empfehlung, wie für andere Veranstalter auch. Ich suche zum Beispiel danach und denke »Ah, da hat eine Inszenierung den Preis einer Kinderjury bekommen«, das ist für mich, wenn ich das Stück nicht kenne, durchaus schon eine Empfehlung. Und solche Empfehlungen möchten wir in Göttingen auch weitergeben. Eine Besonderheit an dieser Kinderjury ist, dass sie im Vorfeld an Workshops teilgenommen haben, wo sie eingeführt werden in das, was Theater und speziell Figurentheater ausmacht. Da geht es dann um Dramaturgie, wie eine Geschichte auf der Bühne entsteht, wie man einen Stoff wie Rotkäppchen bearbeitet, den man ja eigentlich kennt, was es für Spieltechniken gibt oder für unterschiedliche Figuren, was für Effekte man erzielen kann.

Gibt es denn Stammgäste, die öfter auf dem Festival auftreten?

Es gibt Kompanien, die immer wieder kommen. Gleichzeitig versuche ich, neuen Gruppen, auch Nachwuchsgruppen, die Möglichkeit zu geben, sich auf so einem Forum wie einem Festival zu präsentieren. Denn abgesehen von dem Publikum kommen auch andere Veranstalter zu Festivals – das fördere ich auch – um Produktionen zu sichten und zu überlegen, ob das für das eigene Festival interessant wäre. Ich versuche, eine Mischung zu machen aus den Theatergruppen, die schon seit vielen Jahren dabei sind, und neuen Akzenten. Seit ich das Festival leite sind zum Beispiel studentische Inszenierungen ein fester Bestandteil geworden. Das auf dem Festival zu präsentieren und auch mal andere Veranstaltungsformate zu wählen bedeutet dann auch, dass wir auch mal in eine Weinkellerei gehen, oder an Orte, die man vielleicht erst mal nicht so mit Theater verbindet.

Wie geht es den Figurentheatertagen?

Gut, kann ich sagen. Wir haben eigentlich immer eine 95-prozentige Auslastung an verkauften Karten, das heißt der Zuspruch des Publikums ist nachhaltig sehr gut. Auch im letzten Jahr, da hatten wir Jubiläum und hatten sehr viele Veranstaltungen an Wochentagen, wo Theater normalerweise nicht gut läuft, das hat funktioniert. Das Interesse ist sehr groß und 95% Auslastung ist für so ein Festival wirklich eine sehr gute Zahl – das ist auch wichtig für uns, weil sich das Festival zu 85% aus den Eintrittseinnahmen finanzieren muss. Es gibt kein Etat – meine Personalstelle wird bezahlt, aber alles andere muss über Fördermittel, Sponsoren, oder eben Eintrittsgelder finanziert werden. Es gibt Festivals, die einen größeren Etat haben, und deswegen auch sehr viel mehr ausländische oder experimentelle Produktionen oder Großproduktionen einladen können. Das können wir nicht, weil uns dafür einfach die Mittel fehlen.

Sie haben grade schon die verschiedenen Techniken und Möglichkeiten des Figurentheaters angesprochen. Welche gibt es da?

Klassischerweise kennen die meisten Menschen Marionetten – die Augsburger Puppenkiste – oder auch das klassische Kasperletheater, Handpuppentheater. Das sieht immer so einfach aus, aber das ist eine sehr ausgefeilte Technik, wie man die Hände bewegen kann, ich finde das ziemlich irre. Dann gibt es Tischfiguren, die wirklich nur auf dem Tisch gespielt werden. Manchmal sieht man die Spieler, mal nicht, es gibt Fingerpuppen, es gibt Schattentheater, also die unterschiedlichsten Möglichkeiten. In der Berufsausbildung für Puppenspieler lernen die Studierenden natürlich, wie man diese Puppen bewegen kann, damit sie lebendig wirken. Wenn man das selber probiert, dann merkt man schnell, an welche Grenze man stößt, und das ist eben die Kunst, einer leblosen Materie durch Bewegung, durch Stimmenvielfalft Leben einzuhauchen, dass wir als Betrachter und Betrachterinnen irgendwie die spielenden Personen nicht mehr sehen, sondern nur die Helden auf der Bühne und die können 10 oder 20 Zentimeter groß sein, sie können aber auch 1,80m sein. Das ist ganz unterschiedlich.

Achten Sie bei der Zusammenstellung des Programms darauf, dass es möglichst auch alles präsentiert, was es an Möglichkeiten im Figurentheater gibt?

Beim Programm geht es eher darum, unterschiedliche Themen zu setzen und unterschiedliche Altersgruppen zu bedienen. Im Kinderprogramm sind Märchen etwas, das nach wie vor sehr gut läuft, auch wenn man denkt »Ja Gott, Rumpelstilzchen kenn´ ich schon in- und auswendig.« Jede Inszenierung ist anders und guckt das Thema aus einem anderen Blickwinkel an, oft auch mit einem sehr starken Bezug zur heutigen Lebensrealität der Kinder. Auch das deutsch-türkische Stück, das wir jetzt auf das Festival eingeladen haben, zeigt eine Lebensrealität vieler; dass es eben Zweisprachigkeit gibt. Bei den Spielweisen ist das anders. Diesmal sind sehr viele Tischfigureninszenierungen vertreten. Es ist oft nicht einfach, Handpuppentheater und auch Marionettentheater, die einen gewissen Aufbau brauchen, an den Spielorten unterzubringen. Für mich ist es daher auch wichtig, die Inszenierung vorher zu sehen, nicht nur, um einzuschätzen »Kann ich das vertreten, das auf das Festival einzuladen?«, sondern auch um zu sehen, an welchem Spielort das funktioniert. Wir haben für die Kinderinszenierungen in erster Linie das Kinotheater Lumiére und da ist vieles nicht zu realisieren. Marionettenaufbauten sind sehr hoch, da müsste ich die ersten drei, vier Reihen wegnehmen, damit man überhaupt noch was sieht. Ähnlich ist es bei Handpuppentheater, in manchen Fällen kann man das machen, aber man kann es nicht immer umsetzen.

Es gibt auch nicht so viele Ensembles, die für einen so großen Raum wie das Deutsche Theater inszenieren würden. Mit 10cm-Figuren kann man da nicht agieren, dann ist es schon in Reihe 10 schwierig, etwas zu sehen; es müssten dann sehr große Figuren sein. Diese Inszenierungen müssen für mich natürlich eine gewisse Qualität haben, um sie dort zu präsentieren und sie müssen natürlich auch bezahlbar sein. Das ist eigentlich traditionell der Höhepunkt des Festivals, auch noch mal die große Bühne zu sehen. Auch die Kooperation mit dem Jungen Theater ermöglicht es, andere Inszenierungen einzuladen, weil die dort technisch sehr viel aufwändiger sein können. Aufführungen, die mobil nicht zu machen sind ohne unglaublich viel Technik dazu zu mieten. Und das ist in den Häusern natürlich alles vorhanden. Aber insgesamt sind die Altersgruppe und die Themenvielfalt und nicht so sehr die Vielfalt der Spielmethoden für uns relevant. Weil nicht immer jede Methode auch tatsächlich auf die Bühne passt. Das schränkt ein. Das ist leider so.

Figurentheater ist ja nicht sehr präsent in der Öffentlichkeit. Wie groß und wie lebendig ist die Figurentheaterszene? Gibt es viele Künstler, aus denen Sie als Organisatorin auswählen können?

Es gibt viele Künstler. Ich hab mal eine Weile für den Verband Deutscher Puppentheater gearbeitet, die hatten 120 Mitglieder und das war nur ein Ausschnitt dessen, was es an Puppenbühnen in Deutschland gibt. Es gibt wenige Puppenbühnen, die für große Häuser wie zum Beispiel das Deutsche oder das Junge Theater inszenieren. Inszenierungen, die auch in solche Häuser reinpassen, sind meistens aus Ostdeutschland, weil die ostdeutsche Tradition, Puppenspiel zu fördern sehr viel größer war als in Westdeutschland. Deswegen haben wir in Erfurt, in Halle, in Magdeburg oder in Schwerin feste Puppenspielhäuser. Das gibt es in Westdeutschland in der Größenordnung eher weniger, das sind dann kleine Bühnen, so wie das Theater der Nacht in Northeim oder die Augsburger Puppenkiste.

Ich würde mal sagen, insgesamt gibt es 200 bis 250 Bühnen alleine in Deutschland. Von daher kann ich aus dem Vollen schöpfen. Es kommen unheimlich viele junge Leute von den Hochschulen nach, man kann in Berlin und in Stuttgart Puppenspielkunst studieren. Die machen sich auch selbstständig und touren dann mit ihren eigenen Truppen rum oder schließen sich sich zu einzelnen Projekten zusammen, ohne ein festes Ensemble zu bilden. Viele kriegen auch Anstellungen an den festen Häusern. Da ist viel Bewegung drin, auch was die Spielarten des Figurentheaters angeht, da wird viel mit Materialien und Objekten gearbeitet, auch das Material- und Objekttheater und Papiertheater sind Spielarten des Figurentheaters. Es wird viel experimentiert, und es gibt eine sehr lebendige und große Szene. Also, für Veranstalter ist es eigentlich nicht schwierig, genügend Kompanien zu finden. Im Gegenteil, ich muss eigentlich vielen absagen, weil es nur 16 Tage sind.

Die Figurentheaterszene ist trotzdem relativ aus dem Mainstream ausgeschlossen. Liegt das vielleicht daran, dass das Figurentheater bei vielen Menschen immer noch ein Imageproblem hat: dass es überholt sei, altmodisch oder nur für Kinder geeignet?

Das Figurentheater hat am Image schon sehr gearbeitet in den letzten Jahren und ich denke, es ist auch mehr in den Blick gekommen, dass das eben mehr ist als »Tri-Tra-Tralala für Kinder.« Das ist natürlich nach wie vor ein Schwerpunkt, aber die Vielfalt an Inszenierungen für Erwachsene mit allen Stoffen, die man sich im theatralischen Bereich vorstellen kann, die kann auch mit dem Figurentheater bearbeitet werden. Figurentheater ist sehr gewachsen, und erfährt inzwischen auch die Anerkennung, dass bei Bundesförderinstitutionen zum Beispiel auch Figurentheater Förderung bekommen oder dass bundesweite Preisvergaben auch Figurentheater-Preise erhalten. Die Menschen sehen schon, dass da hochwertiges Theater gezeigt wird und es nichts mit »Tri-Tra-Tralala für Kinder« zu tun hat – wobei ich nicht sagen möchte, dass das nicht auch super ist. Ich will das gar nicht abwerten. Es gelingt dem Figurentheatergenre, dass es mehr und mehr heraustritt und zeigt »Wir sind auch für das Erwachsenenpublikum da.« Das Göttinger Festival hat, für damalige Zeiten sehr ungewöhnlich, vor 31 Jahren nur mit Inszenierungen für Erwachsene begonnen. Es hat ein bisschen gedauert, so ungefähr 10 Jahre, bis sich das so ausgeweitet hat wie heute, aber damals war es ein Novum, nur Inszenierungen für Erwachsene zu zeigen, weil eben die meisten Leute noch gedacht haben »Puppentheater für Erwachsene, was soll das denn für ein Kinderkram sein?« Von daher hat das Göttinger Festival viel dafür getan, zumindestens für Göttingen und das Umland, zu zeigen: »nein, das ist nicht nur was für Kinder, und da gibt es auch Inszenierungen, die man durchaus im Deutschen Theater zeigen kann.« Da ist was in Bewegung, es gibt jetzt sogar bei den Händelfestspielen eine Inszenierung, Händels Hamster in Koproduktion mit dem Theater der Nacht aus Northeim. Selbst so ein renommiertes Festival wie die Händel-Festspiele hier in Göttingen sehen, dass es Möglichkeiten gibt, auch mit Figurentheater vielleicht mal was zusammen zu machen. Also, es trägt sich, es wird.

Sie haben über den Anfang der Figurentheatertage hier in Göttingen gesprochen. Woher kam die Idee, dieses Festival hier in Göttingen zu veranstalten? Hat das Figurentheater eine besondere Bindung zu Göttingen?

Das erste Festival hat das Figurentheater Gingganz organisiert, die sind hier im Landkreis Göttingen ansässig. Mechthild und Michael Stemmler, ausgebildete Puppenspieler aus Ostdeutschland, sind nach Göttingen gekommen, haben sich hier angesiedelt und die Idee gehabt, ein kleines Festival zu installieren. Der erste Versuch war ein Wochenende, nur Abendinszenierungen, schon das zweite Festival ist dann in die Regie vom Fachdienst Kultur gegangen, meine Vorgängerin Rosi Brauns hat das Festival bis zum 23. Festival geleitet und aufgebaut und ist dabei geblieben, Erwachseneninszenierungen in den Vordergrund zu schieben. Die Kinderinszenierungen kamen dann eigentlich erst später.

Es gibt hier im Umkreis einige Theater, die Tourneetheater sind, die also in der Bundesrepublik rumreisen, auf Festivals spielen, oder in Kindergärten, überall. Und natürlich ist es toll, dass sich ein Haus wie das Theater der Nacht etablieren kann. Von daher gibt es Bezüge in Göttingen, aber der Ursprung ist von einer Theatergruppe gekommen, die hier ansässig ist. Und auch immer noch spielt.

Denken Sie, dass das Figurentheater bestimmte Möglichkeiten hat, zum Beispiel im Ausdruck, die »klassisches« Theater nicht hat?

Das werde ich oft gefragt und ich glaube, das mag ein bisschen merkwürdig klingen, dass manchmal bestimmte Situationen mit Figuren glaubhafter darzustellen sind als wenn Personen das spielen. Wenn ich eine Geschichte erzählen will, bei der ich 10 Charakter habe, dann ist es natürlich ein Unterschied, 10 Menschen auf die Bühne zu stellen oder das mit 10 Figuren zu machen und es zu schaffen, jeder Figur etwas ganz Individuelles, Charakteristisches zu geben in der Art und Weise, wie ich sie bespiele und auch mit der Stimme, die ich ihr gebe.

Wenn man eine Liebesgeschichte nur mit einer Kaffeebohne und einem Streichholz erzählt, und alle sitzen da und glauben das und leiden mit, dann ist diese Liebesgeschichte vielleicht im Schauspiel banal, aber in dieser Form des Objekttheaters bekommt es einen Reiz und eine Faszination, die dann einmalig ist. Und ich glaube, manche Stoffe, manche Themen lassen sich, auch für Kinder, zum Beispiel sehr viel einfacher mit Figuren und Puppen darstellen, wenn sie jünger sind. Man kann eine Fantasie ganz anders bedienen: Wenn ich an Inszenierungen wie Der Hobbit denke, nur mit Schauspiel, oder wenn man dann tatsächlich große Spinnen und Zauberei mit Magie und Theatertechnik und Objekten und Figuren auf die Bühne bringt, hat das eine andere Wirkung und berührt mich manchmal mehr als das Schauspiel. Vielleicht ist es dann aber auch einfach nur eine Geschmacksfrage. Das Schauspiel vermag sehr viel und ich glaube auch nicht, dass man beide Formen gegeneinander betrachten sollte. Ich hab aber das Gefühl, dass Figurentheater mehr Möglichkeiten eröffnet, sowohl für die Menschen, die damit agieren, was sie ausdrücken können, als auch für mich als Betrachterin, wo ich mich hineinsehen kann. Ich erleb´ das immer wieder, dass Menschen, die das erste Mal Figurentheater sehen,hinterher zu mir sagen »Ach, man sah ja die Spieler, das hat mich erst gestört, aber irgendwann waren die weg.« Und das ist so ein Effekt. Irgendwann sind die weg, auch wenn die dahinter stehen. Und das ist etwas, was die Menschen dann fasziniert, dass diese leblosen Objekte einen auf einmal anrühren. Berühren.

In die andere Richtung gefragt: eignet sich Figurentheater für bestimmte Genres oder Themen nicht?

Nein. Ich würde sagen da ist alles möglich, jedes Thema. Jetzt haben wir eine studentische Inszenierung, die nimmt sich dem Thema Massentierhaltung an. Das ist vielleicht ein Thema, das geht besonders gut mit Figuren- oder Objekttheater und nicht mit Schauspiel. Da gibt es ein Wesen, das halb Schwein, halb Mensch ist und in einen Mastbetrieb geboren wird und allen möglichen Einflüssen ausgesetzt ist, vom Schlachter bis zum Umweltschützer – vielleicht ist das einfacher, ein Thema abstrakt auf die Bühne zu bringen und eben nicht mit Personen. Und ich glaube, die Möglichkeit, sich als Zuschauerin mit Charakteren zu identifizieren, die funktioniert auch mit Figuren. Ich würde sagen, jedes Thema ist machbar.

Welches Stück ist dieses Jahr Ihr persönlicher Favorit?

Ich bin ein Fan vom Theater auf der Zitadelle, also Die Berliner Stadtmusikanten Teil 1 und Teil 2. Aber auch Die gestiefelte Katze, da lohnt es sich auch als Erwachsene ohne Kinder ins Kindertheater zu gehen, die finde ich ganz großartig. Hannes und Paul ist für mich aber auch eine ganz tolle Inszenierung, die ich gern wieder eingeladen habe. Es geht um die erste Liebe, auch noch homosexuelle Liebe und auch noch im Nationalsozialismus. Ein sehr interessanter und schwieriger Stoff, der super umgesetzt worden ist. Oder Judy and Punch in Afghanistan von Neville Tranter. Der ist einer der Großen der Figurentheaterszene, der auch bei vielen Inszenierungen, Hannes und Paul zum Beispiel, Regie geführt hat, und der sich immer solcher Themen annimmt wo man denkt »Uff, Punch and Judy in Afghanistan, wie soll das funktionieren?« Er hat einen sehr schwarzen Humor und kann schwierige Themen gut aufgreifen. Auch Marc Schnittgers Die musikalische Hölle ist gut. Die sind alle gut, aber wenn ich jetzt schon nach einer persönlichen Vorliebe gefragt werde und mich festlegen muss, würde ich mich beim Theater auf der Zitadelle festlegen. Aber alle sind gut und auf alle freue ich mich.

Vielen Dank für das Interview. Ich freue mich auch schon auch auf die Aufführungen. Sehen Sie sich viele Aufführungen selber an?

Also abends bin ich eigentlich immer dabei. Die Kinderveranstaltungen schaffe ich nicht alle. Das wird zuviel.



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 Autor*in:
 Veröffentlicht am 18. Februar 2016
 Titelbild Punch and Judy puppets, ca. from 1915 von named faces in the past via Flickr
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