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(Ohn-)mächtig uniform

Ganz in Zuckmayers Manier präsentiert das DT mit seiner Inszenierung von Der Hauptmann von Köpenick ein »deutsches Märchen« über die Entfremdung des Individuums in der Massengesellschaft. Eine gelungene Komödie, die Militarismus, Bürokratie und Obrigkeitsdenken aufs Korn nimmt.

Von Laura Lamping

Der Hauptmann von Köpenick wie wir ihn kennen steht wieder auf der Bühne: Wilhelm Voigt, gelernter Schuster und langjähriger Gefängnisinsasse, zieht nach seiner Freilassung mit 57 Jahren in ausrangierter Hauptmannsuniform mit einem auf der Straße abgefangenen Wachtrupp zum Köpenicker Rathaus, um dort den Bürgermeister und den Stadtkämmerer festzunehmen, sich die Stadtkasse aushändigen zu lassen und – der fehlenden Passabteilung gewahr geworden – ebenso plötzlich wieder zu verschwinden. Ein vergnüglicher Narrenstreich, der sich wirklich im Jahre 1906 ereignete und über den selbst der Kaiser lachte. Er begnadigte den bereits zum Bevölkerungsliebling avancierten Halunken, der daraufhin nicht nur Freiheit, sondern auch internationale Berühmtheit erfuhr. Klingt tatsächlich wie »ein deutsches Märchen« vergangener Zeiten, wie Carl Zuckmayer seinen Dramentext von 1931 untertitelte. Doch ist es mehr als das, wie die Neuinszenierung des Deutschen Theaters zeigt. Das Schauspiel präsentiert diese, einst (1956) von Heinz Rühmann so grandios verkörperte, Komödie, die dem militärisch-wilhelminischen Deutschland und seiner rigiden Bürokratie die lange Nase zeigt, ganz in Zuckmayers Manier.

Ein grausiges Szenario eigentlich, das dort – neben all den komischen Szenen der absurden Verliebtheit in das nahezu spirituell überhöhte Objekt der Uniform und die mit ihr verbundenen preußischen Tugenden – gezeigt wird, wenn eine an den Rand der Gesellschaft geratene Person wie Voigt, keinen anderen Ausweg mehr sieht, als im Bürgermeisteramt einzumarschieren. »Wer ´n Mensch sein will – der muß sich unterordnen, verstanden?!« Vorbestraft wegen kleinerer Delikte im jungen Alter von vierzehn Jahren, wegen Posturkundenfälschung und Diebstahl von 300 Reichsmark, ist Voigt aus dem gesellschaftlichen Ordnungssystem aussortiert und damit nicht mehr akzeptiert. Bühnentechnisch geschickt wird der »Teufelskreis der Bürokratie« umgesetzt, in den er nun gerät, als er nach über fünfzehn Jahren Gefängnisaufenthalt und fünf Jahren Arbeit im Ausland in Potsdam Fuß zu fassen versucht. Die akzelerierende Rotation der Drehbühne, auf der Voigt – wie in einem Hamsterrad – von einem Amt zum anderen taumelt, macht seine aussichtslose Lebenslage auf bedrückende Weise spürbar.

»Nee, nee, det is nu ´n Karussell, det is nu ne Kaffeemihle. Wenn ick nich jemeldet bin, krieg ick keene Arbeet, und wenn ick keene Arbeet habe, da darf ick mir nich melden.«

Ergänzt um die Akustik des anschwellenden Stimmengewirrs, drängen die bürokratische Übermacht und die aus ihr resultierende Macht- und Hilflosigkeit des Einzelnen auf alle Sinne des Zuschauers ein. George Orwells Vision aus 1984 wird hier auf schaurige Weise Realität.

Das Individuum in der Massengesellschaft

Wenn eigentlich sympathische und herzensgute Menschen wie der Schwager Hoprecht bedingungslos der – über allem Recht stehenden – höheren administrativen Ordnung dienen und das »scheene[…] ausjewachsene[…] Unrecht« nicht sehen wollen, ist die »Herrschaft des Niemand« (Arendt) und die »Disziplinierung der Gesellschaft« (Foucault) an die Stelle einer zentralen Herrschaftsinstanz getreten. Die Kontrolle, bloß nicht aus der Reihe zu tanzen, sondern immer schön den – vom Bühnenbild untermalten – vorgegebenen Linien zu folgen, erfolgt auf allen Ebenen gesellschaftlichen Lebens. »Willy, halt dich grad!« Das einleitende pantomimische Tanzvorspiel zur modernen Preußens Gloria – Beat- Version, in dem Menschen zu uniformen, maschinenähnlichen Marionetten und ersetzbaren Gliedern im fabrikgleichen System werden, ist eine gewaltige, weil schauerliche Umsetzung der wachsenden Zerstörung des politischen Raums im Zuge der Entfremdung des Individuums in der Massengesellschaft, die Hannah Arendt als zentral für die Entstehung totalitärer Staaten ansah.

Das Stück

von Carl Zuckmayer
Inszenierung: Mark Zurmühle
Musik: Jan Exner
Dramaturgie: Henrik Kuhlmann

Premiere:
8.06.2013

 

DT

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Das Deutsche Theater in Göttingen zeigt als größtes Theater der Stadt ein umfangreiches Repertoire auf drei Bühnen. Bereits seit den 1950er Jahren errang das DT unter Leitung des Theaterregisseurs Heinz Hilpert den Ruf einer hervorragenden Bühne. Seit 1999 garantiert Intendant Mark Zurmühle bewährte Theatertradition sowie Innovation.
 
 
Mark Zurmühle tat richtig daran, Zuckmayers Stück wieder auf die Bühne zu bringen. Wie schon Zuckmayer bestrebt war, den »Gegenwartsgehalt« der Geschichte aufzudecken und vor der Gefahr des zunehmenden Militarismus und der Massenbewegung der deutschen Gesellschaft im Jahre 1931 zu warnen, scheint auch die Inszenierung des Deutschen Theaters bemüht, dem Zuschauer den Spiegel vorzuhalten (und tut es tatsächlich nach der Pause!) und Wilhelm Voigt als »Eulenspiegel, […] der […] einer Zeit und einem Volk die Wahrheit exemplifiziert« einzusetzen. Die wiederkehrenden ausdrucksstarken Tanz-Interludes stellen eine gelungene Ergänzung zum Skript dar, indem sie den Zuschauer fortwährend daran hindern, sich dem Amüsement der Komödie hinzugeben. Stattdessen wird er mit Fragen zur Natürlichkeit des Menschen konfrontiert. Was vom Menschsein übrig bleibt, ist das Leben auf dem Papier.

»Ick reg mir jarnich uff, ick will nur ´n Papier haben, ´n Papier, det is doch mehr wert als de janze menschliche Konstitution, det brauch ick doch neetijer als det tägliche Brot.«

Voigts Selbstanzeige trägt überzeitliche Dimensionen gesellschaftlicher Organisation.»Erst kommt de Wanze, und dann de Wanzenordnung! Erst der Mensch, Friedrich! Und dann de Menschenordnung!«

Der Tod, der das bei Hoprechts zur Miete wohnende kranke Mädchen ereilt, nimmt mit Blick auf die allgemeine Selbstdisziplin und den von der äußeren Hülle der Uniform ausgehenden Bann eine wahrheits-kristallisierende Stellung ein und wird auch so inszeniert. Die Pause in der Aufführung markierend, betont er die Nichtigkeit aller gesellschaftlichen Einrichtungen und wird durch Voigt zum Appell umgedeutet, das wahre Leben im Sinne der Wertschätzung der Schöpfung anzustreben. Erzählte Voigt dem Mädchen noch vor der Pause vom Paradies über den Bergen, wo immer die Sonne scheint und es viel schöner als ´hier unten´ ist, fühlt er sich angesichts ihres Todes aufgefordert, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen, um nicht auch noch von Gott ab- und ausgewiesen zu werden. »Kommt mit«, sagte der Hahn, »etwas Besseres als den Tod werden wir überall finden!« Von Beginn an ist der Zuschauer aufgefordert, aufzustehen und loszugehen, anstatt unbedacht und blind – wie die Laus auf der Glasscheibe – ins eigene Verderben zu rutschen. Neben der beeindruckenden Wandelbarkeit der Schauspieler und den stark präsentierten Monologen Voigts, ist es das, wofür das Stück den finalen tosenden Applaus verdient hat.

»Ausjeschlossen. Dummheiten – ausjeschlossen. Ick wer nu langsam helle.«



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 Autor*in:
 Veröffentlicht am 28. Juni 2013
 Bild von Isabel Winarsch mit freundlicher Genehmigung des Deutschen Theaters Göttingen
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