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Papier ist geduldig

Seit dem Breitbandanschluss ist der Satz ›Worauf wartest du?‹ Geschichte. Ausharren, sich gedulden müssen – ein schwindender Zustand. Alles einen Klick entfernt. Auch Literatur. Dabei lohnt es sich manchmal zu warten.

Ein Innehalten von Daniela Lottmann

Eine Woche warten. Dabei ist Zeit doch Geld. In den Zeitungen liest man, dass sich das Konklave um eine möglichst zügige Einigung bemühte, um die Geschlossenheit und Stärke der katholischen Kirche zu demonstrieren. Also ist Zeit auch Macht. Und wenn man uns in der Werbung zum Wechsel des Stromanbieters ermutigen will, heißt es immer, es sei doch so schnell und einfach. Zeit ist also auch Einfachheit. Und überhaupt sollen wir doch bitte durch das Studium rasen, Abitur nach 12 Jahren, Bachelor nach 6 Semestern, um für den internationalen Arbeitsmarkt gewappnet zu sein. Zeit ist Kompetenz! Und doch werde ich eine Woche warten. Auf ein Buch.

Mein Buchhändler runzelt die Stirn. Es ist nicht im System. Da kommen wir über den normalen Weg nicht ran. Wir kriegen das schon hin, aber nicht so wie sonst immer, das müssen wir anders machen. Geben Sie mir eine Woche.

Zu unabhängig für den Buchhandel

Das Buch, das meine Geduld so frech einfordert, stammt aus einem kleinen, selbstständigen Verlag, der nicht ohne Stolz den Anspruch für sich erhebt, noch echte Literatur zu machen. Fernab des Mainstreams, vom narkotisierenden Massengeschmack, was authentisch Wahres, mit Kunst und Intellekt, mit Arschtritt und Chuzpe. Und zu unabhängig für den Buchhandel.

Der deutsche Buchhandel gerät nach den Schieflagen seiner großen Player Thalia und Hugendubel immer mehr ins Straucheln, was glücklicherweise noch niemand mit dem allzu inflationär gebrauchten Begriff der Krise betitelt hat. Auch weil man wie immer mit einem Auge in die USA schielt. Dem dortigem Buchhandel ist ohne dem Ausdruck Krise nicht mehr beizukommen; das Buchladennetz verheerend ausgedünnt, bleibt den meisten Lesern nur die Online-Bestellung, die immer häufiger über den Riesen Amazon abgewickelt wird. Das Sterben der kleinen Buchhandlungen gründet sich in den Staaten auch darauf, dass die kleinen Häuser ohne Buchpreisbindung dem Wettbewerb nicht standhalten können. Und wenn kein Laden in der Nähe ist, bleibt nur das Internet.

Bei uns hingegen gibt es diese vorgeschriebene Preisfestlegung (noch) und auch die kleinen Buchhandlungen sind noch längst nicht alle verschwunden. Trotzdem kaufen auch hierzulande immer mehr Leser bei Amazon, sodass der Riese seine Vormachtstellung, wie vor ein paar Wochen in einer ARD-Reportage zu sehen war, mutmaßlich missbrauchen kann. Dabei kann Amazon gar nicht so viel mehr als unsere kleinen lokalen Buchläden. Vor 17.00 Uhr bestellt, können Bücher, die man nicht vorrätig im Laden hat, meist am nächsten Tag schon abgeholt werden; zum gleichen Preis, ohne Versandgebühren und wenn man Glück hat, mit dem Lächeln eines glücklichen Buchhändlers garniert. Dieser vermag es darüber hinaus, einen zielsicher durch das Bücher-Dickicht zu lenken, zu unterstützen, beraten, empfehlen, ohne maschinellen Algorithmus, vollkommen im Real-Life. Und hochauflösend und in 3D.

Info


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Eine Initiative des mairisch Verlags
Am 23. März 2013

 
 
Wo liegt also der Mehrwert bei Amazon? In der Bequemlichkeit, weder aus dem Haus noch gar unter Leute zu müssen? Des Weiteren können Nutzer des amazoneigenen E-Readers Kindle durch die Beschränkung eines eigenen Dateiformats ihre E-Books nur dort erstehen. Das stattliche Fail beschreibt in eindringlicher Weise, wie ungehobelt, plump und rücksichtslos sich Amazon auf dem Markt breit macht. Noch feiern sie den Kindle als Alleinstellungsmerkmal. Durch ihre unsinnigen Software-Blockaden und letztlich unter dem Eindruck der neuerlichen Kritik an ihrer Mitarbeiterbehandlung und Steuerzahlmoral, werden sie aber vermutlich irgendwann alleine dastehen.

Die ersten Tendenzen dieser Art kündigen sich in der Abkehr der ersten Verkäufer an. In einem offenen Brief distanzieren sich die zwei Kleinverlage Ch. Schroer und Verlag André Thiele von dem amerikanischen Ungeheuer und auch Günter Wallraff ließ verlautbaren, seine Bücher nicht länger über diesen Weg zu vertreiben. Bleibt abzuwarten, wie der Kunde reagiert. Für den freundlichen Misanthropen, der nicht auf Menschen treffen, sie aber besser behandelt und fair bezahlt wissen will, empfiehlt sich derweil die Bestellung per verlagseigenen Webseiten.

Vom Leser zum User

Und wieder zum Buchhändler in der Stadt? Wie mitgenommen und geschwächt sich jene in Zeiten des zunehmenden Online-Handels wahrnehmen, lässt ihre Buy-Local-Kampagne erahnen. Sie propagieren ihre Nähe zum Kunden als ihre größte Stärke, aber will der Kunde diese Nähe eigentlich?

In den letzten Jahren hat der Konsument immer mehr die Veränderung vom Leser zum User überwunden. Die Bücher werden digital. Und günstiger. Das wird sogar massiv erwartet. Gutbesuchte Portale schießen aus dem Boden, die Angebote gar kostenloser E-Books sammeln und verbreiten. Neben den Vorteilen des Sparens an Gewicht und Raum, scheint ein geringer Preis für den modernen Leser immer häufiger den Ausschlag zu geben, die digitale Form eines Buches zu wählen.

Eine Reaktion auf den veränderten Leser lässt sich beim Campus Verlag in dem Aufbau einer ausschließlich digitalen Sachbuchreihe erkennen. Die Keynotes-Sammlung positioniert sich thematisch im Bereich Wirtschaft und Gesellschaft und zeichnet sich, neben dem geringen Preis, durch ihren schnellen Veröffentlichungsvorgang aus. Auf gesellschaftliche und politische Debatten können die Autoren zeitnah reagieren, wodurch sich ein sehr am aktuellem Geschehen ausgerichtetes Programm ergibt, das, so beschreibt es der Verlag selber, seinen Platz zwischen Buch und Zeitungs- oder Blogartikel findet. Der Umfang der E-Books zwischen 30-50 Printseiten verweist auf einen weiteren Vorteil, den digitale Bücher ihren gedruckten Gegenstücken voraus haben: Auch kurze Texte lassen sich verkaufen. Im klassischen Buchhandel können solche nur schwierig untergebracht werden. Ein schnelles, kurzes Sachbuch scheint perfekt an den Leser von heute angepasst zu sein, aber funktioniert das auch mit fiktiven Texten?

Der Verlag Mikrotext will es versuchen. Anfang 2013 gegründet, gilt als Prämisse des noch jungen Hauses, das E-Book als eigenständiges Format weiterzuentwickeln. Im dreimonatigen Abstand werden hierfür zwei E-Books veröffentlicht, die sich inhaltlich aufeinander beziehen und einander ergänzen. Die kurzweiligen Texte nehmen sich gesellschaftlicher Debatten der sozialen Medien an, was als Annäherung an den potentiellen Leser verstanden werden kann. Das E-Book wagt in selbstreflektierter Manier eine Verflechtung zwischen digitalem Leben und Kunst, und dringt damit in den natürlichen Wirkungsraum seiner User vor. Und das alles schnell und günstig.

Und ich warte immer noch. Noch eine Woche. Das Buch, das ich bestellt habe, gehört zu keinen von denen. Kein Internetthema. Was Altmodisches. Und vermutlich lohnt es sich, darauf zu warten. Man muss das Warten auch mal genießen.

Status melden, Essen instagrammen

Längst prägt das E-Book unser Bild von Literatur und dank der neuen Formen werden sie sich immer mehr als eigenständiges Format, das eigenen Regeln folgt und ein eigenes Konsumverhalten fordert, etablieren. Immer schneller und immer günstiger gleichen sich digitale Bücher mehr und mehr unserem Verhalten im Großraum Internet an, in dem wir so vieles nur noch halbherzig durchklicken, Texte eher überfliegen als sie zu lesen, und den guten Zeitungsartikel schon einmal zugunsten des lustige Katzen-GIFs beiseite schieben. Durch Werbung klicken, Status melden, Essen fotografieren, hochladen und sich einen virtuellen Daumen abholen, von Menschen, die weit weg, genauso allein vor der Kiste hocken und ihr eigenes Essen instagrammen.

Natürlich ist auch da Platz für Literatur. Literatur hat überall, wo der Leser ist, seinen Platz. Aber mein Buch nicht. Es gehört da nicht hin, es muss aus Papier sein und darf nach Kleber riechen. Es muss nicht kostenlos sein, sondern wertvoll. Es soll mich in den Bann ziehen und nicht nur bis zum nächsten Tweet beschäftigen. Weil ich es genauso lesen will. Vorfreude auf etwas Besonderes. Ich feier mein Warten.



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 Autor*in:
 Veröffentlicht am 21. März 2013
 Basierend auf der Darstellung einer französischen Druckerwerkstatt zu Beginn des 16. Jahrhunderts via Wikimedia Commons.
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