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Preussens Inselzoo

Den Buchpreis hat Thomas Hettche in diesem Jahr knapp verfehlt, dafür gewann er mit seinem Roman Pfaueninsel den Wilhelm-Raabe-Literaturpreis. Die Geschichte über die Liebe zwischen einer kleinwüchsigen Frau und einem Hofgärtner ist gekonnt erzählt. Aber reicht das, um die Leser zu verzaubern?

Von Christian Dinger

Zwerge und Riesen kommen vor in dieser Geschichte, wundersame Tiere und Pflanzen und eine Königin, die ein magisches Wort ausspricht, das uns durch diese Geschichte begleiten wird. Und doch ist es kein Märchen und es hat auch nichts mit Phantastik zu tun, was wir von dem überzeitlich-allwissenden Erzähler in Thomas Hettches Roman Pfaueninsel berichtet bekommen. Es ist hochrealistisch, was wir über die Pfaueninsel lesen, jene kleine Insel in der Havel bei Potsdam, auf der sich im 19. Jahrhundert Preußens Könige zurückzogen.

Nach den Wirren der Napoleonischen Kriege ließ Friedrich Wilhelm III. allerlei Geschöpfe, die damals als exotisch galten, auf die Insel schaffen: Kängurus, Affen, einen Löwen, aber auch einen Südseeinsulaner, einen großgewachsenen Mann und ein kleinwüchsiges Geschwisterpaar, die als Riesen und Zwerge den Lustgarten bevölkern sollten. Marie, die eine Hälfte des Geschwisterpaars, steht im Zentrum des Romans. »Mit dem Jahrhundert geboren«, wie es heißt, wird sie 1806 gemeinsam mit ihrem Bruder Christian auf die Pfaueninsel gebracht, wo sie als »Schloßfräulein« ihr ganzes Leben verbringen wird.

Buch-Info


Thomas Hettche
Pfaueninsel
Verlag Kiepenheuer & Witsch,
Köln, 2014
352 Seiten, 19,99 €

 
 
Während nebenan im rasend wachsenden Berlin das Jahrhundert voranschreitet, die Industrialisierung ihren Lauf nimmt, die Eisenbahn ihren Siegeszug antritt, die Bürger auf die Straßen gehen, geht die Zeit auf der Insel in einem ganz eigenen Takt. Durch Maries Augen sehen wir der Insel dabei zu, wie sie sich verändert, vom Paradies, in der sie mit ihrem Bruder durch die noch unberührte Natur jagt, zum zurechtgestutzten Lustgarten und Zoo, in dem Adlige ihre sexuellen Ausschweifungen feiern und Besucher sie mit ihren gierigen Blicken durchbohren. Marie erlebt, wie immer neue Tiere auf die Insel geschafft werden und meist kurze Zeit später sterben, oder wie eine Dampfmaschine installiert wird, um die exotischen Pflanzen zu bewässern, damit sie im märkischen Sand nicht vertrocknen. Und sie erlebt ihre eigene tragische Liebesgeschichte zu Gustav Fintelmann, dem Sohn des Hofgärtners. Eine Geschichte, die mehr vom Vergehen der Zeit durchwirkt ist, als von tatsächlichen Handlungen. Es ist ein Zeitroman, den Thomas Hettche geschrieben hat. Erhaben über der vergehenden Zeit steht der allwissende Erzähler, der uns durch diese Geschichte führt. Genau wie wir blickt er aus dem Heute in die längst vergangene Zeit, von der er aber jede Empfindung und jeden Gedanken bis ins Kleinste kennt und zu beschreiben weiß. Hin und wieder hält er inne und richtet, sein eigenes Erzählen reflektierend, das Wort an uns. Diese hyperauktoriale Erzählweise schien fast ausgestorben zu sein, veraltet, erlebt aber in den letzten Jahren eine unerwartete Renaissance. Etwa durch Christian Krachts fabelhaften Roman Imperium. Anders als bei Kracht ist in Hettches Roman aber von Ironie keine Spur. Auch das selbstreflexive Moment des Erzählers kommt nur am Anfang und am Ende der Geschichte kurz zum Vorschein. Ansonsten werden wir routiniert durch die Ideengeschichte geführt, bekommen Rousseau und Hegel vorgesetzt und nebenbei wird ebenso routiniert eine anrührende Geschichte erzählt.

»Seit 25 Jahren nimmt mich die Kritik als eher theoretischen Autor wahr.«, sagte Hettche 2012 in einem Interview mit der Wochenzeitung DIE ZEIT, »Dabei kreist mein Schreiben seit dem ersten Buch im Innersten um die Frage, wie man einen Leser mit einer Erzählung so gefangen nehmen kann, dass er bezaubert ist.« In Pfaueninsel sind die beiden Hettches versammelt: der poeta doctus, der mit Ideen spielt und sie essayistisch in seinen Roman verwebt und der Zauberkünstler, der die Leserschaft in den Bann seines Erzählens schlagen will. Ob das beides wirklich zusammengeht, lässt sich auch nach der Lektüre des Romans nur schwer beantworten. Es ist ein kluges Buch, ein ästhetisches, ja, auch ein anrührendes Buch. Aber, und das muss angesichts der hymnischen Rezensionen in den großen Feuilletons auch gesagt werden, verzaubern, gefangen nehmen, in den Bann schlagen, wie es Hettche gern möchte, kann dieses Buch dann doch nicht – dafür ist es am Ende zu gefällig, zu konventionell, zu routiniert.



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 Veröffentlicht am 3. Dezember 2014
 Kategorie: Belletristik
 Bild von Christian Dinger
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