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Turn on, tune in, drop out

Das Junge Theater Göttingen eröffnet die Spielzeit mit Shakespeares Wie es euch gefällt. Als Zuschauer verirrt man sich zwar manches Mal im assoziativ-intertextuellen Dickicht aus Science Fiction, Beat Generation und Woodstock. Doch auch mit erhellenden Momenten wartet die Inszenierung auf. Und vielmehr noch: mit kurzweiligen.

Von Leonie Krutzinna

Es ist kein goldener Käfig, in dem Rosalinde (Constanze Passin) und Celia (Elisabeth-Marie Leistikow) leben. Und gehüllt in dunkle Kutten kann kein Vogel fliegen. Es fehlt materiell an nichts; die beiden Cousinen, die wie Schwestern aufgewachsen sind, leben außerhalb des als Bühnenbild dominierenden Gefängnisses aus Ketten und Stahl. Und doch sind sie gefangen in eben jenem Käfig; in der symbolisierten Repression durch Herzog Frederick (Dirk Böther).

Dystopische Donnerkuppel

Rosalindes Vater wurde von Frederick, der sein eigener Bruder ist, in den Ardenner Wald verbannt. Seitdem ist Rosalindes Gemüt untröstlich getrübt. Am Hof Fredericks lebt sie als blondes Schaf im Reich der Dystopie.

Das Kain und Abel-Motiv, die Dichotomie von Bruderschaft und Feindschaft, spiegelt Shakespeare zugleich durch zwei weitere Figuren: Orlando (Sascha Werginz) wird durch Oliver (Gintas Jocius) um sein Erbe betrogen und entfacht einen Streit darüber. Oliver will sich des Bruders entledigen und initiiert einen Ringkampf zwischen Orlando und Fredericks Hofringer Charles (Philip Leenders).

»Two men enter, one man leaves«: In der Donnerkuppel liefern sich Orlando und Charles den Kampf. Nicht nur die Bühne (Axel Theune, Andreas Döring), sondern auch das Personal und seine Kostümierung (Sonja Elena Schröder) sind hier einander kohärente Bildspender. Vom Setting aus Mad Max schlägt die Regie (Andreas Döring) den semantischen Bogen zum Black Rider, jenem Stück von Robert Wilson und Beat Generation-Star William S. Burroughs, für das Tom Waits Anfang der 90er die Musik geschrieben hat und die das JT für den Patriarchen Frederick (Dirk Böther) entlehnt:

It takes much more than wild courage
Or you’ll hit just the tattered clouds
You must have just the right bullets
And the first one’s always free

Rosalinde, die sich Hals über Kopf in Orlando verliebt hat, verfolgt den Kampf. Als dann entgegen aller Erwartungen tatsächlich Orlando ›the one is who leaves‹, kann Rosalinde ihre Begeisterung nicht im Zaum halten. Kurzerhand muss die Nestbeschmutzerin deshalb wie ihr Vater ebenfalls in den Ardenner Wald.

Fliegen lernen

Viel Gutes passiert also nicht im ersten Teil. Als Zuschauer wähnt man sich entgegen Shakespeares Genrezuschreibung bis jetzt auch eher in einer Tragödie. Zumindest flieht Rosalinde nicht alleine in den Wald, denn Celia wittert die Chance, das Fliegen zu lernen, und schließt sich, wie auch der Hofnarr Probstein, solidarisierend an.

Das Stück

Wie es euch gefällt
von William Shakespeare
Regie: Andreas Döring
Premiere: 13.09.2012

 

Junges Theater

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Das Junge Theater Göttingen entstand 1957 als innovatives und alternatives Zimmertheater. Der Schauspieler Bruno Ganz läutete hier seine Karriere ein, auch Benjamin von Stuckrad-Barre und Christian Kracht verwirklichten sich im Jungen Theater. Heute bietet das Haus rund 200 Zuschauern Platz. Unter Intendanz von Andreas Döring setzt das JT auf zeitgemäße Themen auch in klassischen Stoffen.

 
 
Die Hofgesellschaft und mit ihr das Primat von Intrigen, Macht und Repression wird durch einen neuen semantisierten Raum abgelöst, den Ardenner Wald: Hier scheint zunächst alles ganz anders zu sein. Es ist hell, nicht dunkel und statt Ketten gibt es Kissen. Schon Rosalindes Figurenkonzeption unterstreicht, wie anders es hier ist, denn Rosalinde wechselt bei der Grenzüberschreitung das Geschlecht. Im Ardenner Wald ist sie Mann, theatral-stereotyp übertrieben in Hoodie und Baggy-Pants. Nicht nur Rosalindes im Stück angelegtes Cross Dressing bringt nun Gender Trouble in die Inszenierung.

Im Ardenner Wald wird wirklich gelebt. Hier wird geliebt, gelacht, gesungen und getanzt. ›Turn on, tune in, drop out‹. Die ganze Aussteigergruppe, allen voran der Glitzer-Guru Dirk Böther, der (auch) im Woodstock-Idyll Herzog ist und somit Rosalindes verbannter Vater. Doch deutet man die Doppelbesetzung Böthers als Regietrick, dann wird schon hier deutlich, dass der Ardenner Wald entgegen aller äußerer Wahrnehmung so anders gar nicht ist. Dass Hierarchien hier wie dort bestehen und dass es letzten Endes vor allem um eines geht: um Macht. Ist die Waldgesellschaft also wirklich die idealisierte Utopie zur dystopischen Hofgesellschaft?

Macht und Ohnmacht

Da hängen Transparente in den Bäumen. Ein junger Mann schreibt schlechte Verse, er bastelt, malt und klebt und macht sich komplett lächerlich, weil er einzig für ›seine Rosalinde‹ lebt. Der junge Mann ist Orlando, der gerade noch ›wie ein Mann‹ kämpfte und nun zum kopflosen Gefühlsopfer mutiert ist. So funktioniert Liebe? Ohnmacht als Form von Macht, dargestellt anhand persiflierter Männerrollen?

Im JT ist man nun am Herz-Stück angelangt. Rosalinde stellt Orlando auf die Probe: Er muss es nur schaffen, sie – in Gestalt des Bad Boy – für sich zu gewinnen, dann würde er es auch bei der ›echten‹ Rosalinde schaffen. Liebe als Diskurs ist harter Stoff und der Grat zwischen Kitsch und Klischee auf der einen und großem Kino auf der anderen Seite schmal. Als Zuschauer fürchtet man manches Mal den Absturz in stereotype Geschlechter-Konzepte, z.B. in einer pubertären Phallus-Szene. Aber der Seiltanz gelingt. So ist Wie es euch gefällt kein angestrengter Redebeitrag in der Emanzipationsdebatte, sondern eher ein augenzwinkerndes Statement zu einem Topos, der ebenso wenig tot ist wie Shakespeare selbst.

Zum Statement wird das Stück dabei vor allem durch die Abrechnung mit extratextuellen Inhalten. Ob Star Wars oder Woodstock: Utopien werden durch ihr Gegenteil wahr. Im Ardenner Wald trinkt man Red Bull und in die Badewanne darf zunächst auch nur der Chef. Rausch und Wahnsinn spielen eine gleichermaßen zentrale Rolle. Assoziativ ist man hier schnell bei Timothy Learys Drogenexperimenten; Ekstase und Erbrechen liegen nah beieinander.

Lichte Momente im intertextuellen Dickicht

Im Ardenner Wald gibt es entgegen Shakespeares Vorlage weder Schafe noch Bäume und auch sonst schafft es der echte Shakespeare nicht immer aus dem intertextuellen Dickicht herauszuwachsen. Manches Mal wünscht man sich auf Repeat drücken zu können. Aber genau das ist auch das Konzept: der ganze Raum, das ganze Ensemble für das ganz große Thema. Bei einer Spielzeit von fast zweieinhalb Stunden vergeht der Abend wie im Fluge: vielleicht, weil es eine singende Lady Diana gibt; vielleicht, weil ein Schattenspiel im Spiel ein so schöner Kontrast zum Gewusel auf und um die Bühne ist. Ganz sicher festzumachen ist das Gefühl der Kurzweiligkeit an Nermin Aljisani, der das Ensemble als Gastmusiker mehr als kompetent bereichert.

Und am Ende kriegen sie sich doch, nach ewigem ›was wäre, wenn‹ und hypothetischem Herumbaggern an der ›falschen‹ Rosalinde, die doch die ganze Zeit die richtige war. Orlando und Rosalinde heiraten. Aber ein Funke Tragik bleibt: Erst nach der Hochzeit erkennt Orlando in dem coolen Typen ›seine Rosalinde‹. Hätte er bloß nicht so genau hingeguckt. Wahrheit und Wahrnehmung gehen in der Liebe eben auseinander.



Metaebene
 Autor*in:
 Veröffentlicht am 27. September 2012
 Foto von Clemens Eulig. Mit freundlicher Genehmigung vom Jungen Theater.
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