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Was mit Literatur machen

Die immer gern gestellte Frage bei Familienfesten: Und was machst du dann später damit? GeisteswissenschaftlerInnen im Allgemeinen und GermanistInnen im Besonderen sehen sich oft erst nach dem Studium mit der Tatsache konfrontiert, dass sie zwar eine Menge über Kleist und Goethe, im besten Fall auch über Adorno und Bourdieu wissen; dass die Vermittlung berufsqualifizierender praktischer Kompetenzen aber eher selten im Curriculum vorgesehen ist.

Von Leonie Krutzinna

LitLog setzt mit einer neuen Workshopreihe an dieser Schnittstelle von universitärer Ausbildung und Berufspraxis an: Denn wer hat schon eine Vorlesung über den Arbeitsvorgang des Lektorierens besucht? Wer weiß, nach welchen Kriterien ein Buch in die Regale der Buchhandlungen gelangt? Wer beherrscht Software zum Erstellen druckfertiger Manuskripte? Wer weiß, wie hoch ein Honorar für Christian Kracht sein muss? Und wie funktioniert überhaupt Fundraising?

Tortenstück und Taxifahren

Wer in einer Universitätsstadt wie Göttingen studiert, darf sich glücklich schätzen eine Vielzahl der sogenannten Orchideenfächer belegen zu können. Ob Koptologie oder Kulturanthropologie, Skandinavistik oder Zentralasienkunde: Diese Studienfächer vermitteln Fachwissen und liefern Impulse; anders als im Fall einer Einführung in die Mikro- oder Makroökonomie der VWL, geht man meist gern in ein Germanistik- oder Komparatistikseminar; eben weil man nach Neigung studieren kann, weil man dort Polanski-Filme analysiert, Songtexte von Bob Dylan interpretiert oder über die mediale Selbstinszenierung von Jim Morrison nachdenkt. Vielleicht lässt sich aus dem Fachwissen sogar Profit schlagen, dies dann aber meist nur bei einer Partie Trivial Pursuit in der WG, bei der man souveräner ein Tortenstück in braun oder gelb ergattert als die Medizin-Studentin oder der BWLer.

Wie kommt man aber im echten Leben an sein Stück vom Kuchen? GeisteswissenschaftlerInnen beantworten Fragen zu ihren Berufsperspektiven gern mit einem Augenzwinkern und rekurrieren auf Topoi wie Taxifahren. Ob Humor oder Schicksalsergebenheit – vielleicht sitzt eine Träne unbemerkt im Augenwinkel und trübt die Sicht. Denn auch wenn es über 25.000 Orchideenarten gibt, möchte niemand bloß schmuckes Beiwerk sein, das nur im Elfenbeinturm gedeiht und in der Welt da draußen, die dann irgendwann den fiesen Namen Arbeitsmarkt erhält, verkümmert.

Beruf und Berufung

Im Jahr 2011 hat LitLog gemeinsam mit dem Literarischen Zentrum in Göttingen die Workshop-Reihe »Literaturverteiler. Orte, Medien, Akteure im literarischen Leben« initiiert. Eine Brücke zu schlagen – von der Wissenschaft zum literarischen Feld, in dem GeisteswissenschaftlerInnen lebensweltlich agieren – war damals Ausgangspunkt und Ziel der Kooperation. Dieses Jahr geht sie in die zweite Runde, nun nicht mehr in Form von Podiumsdiskussionen, sondern als konkret handlungsorientierter Workshop. Im Zuge dessen war die Autorin und Verlegerin Daniela Seel am 6. und 7. Juli 2012 zu Gast, um mit Göttinger Studierenden zu ergründen, was man »mit Literatur machen« kann.

In ihrem Workshop gibt sich die 1974 geborene Daniela Seel als Akteurin und Begründerin des Künstlernetzwerks KOOK und somit als Verlegerin ihres Independent Verlags kookbooks, darüber hinaus aber auch als Lyrikerin und Übersetzerin, als Stipendiatin und Preisträgerin, als Organisatorin und nicht zuletzt auch als ehemalige Göttinger Kommilitonin – ohne Hochschulabschluss. Entsprechend ihrer Vielfachbegabung gestaltet sich auch ihre Annäherung an verschiedene Tätigkeitsbereiche und mögliche Berufsfelder für GeisteswissenschaftlerInnen:

kritisieren, lektorieren, reflektieren, moderieren, edieren, installieren, informieren, formatieren, inszenieren, präsentieren, korrigieren, analysieren, jurieren, mentorieren, laudatieren, kopieren, musealisieren, automatisieren, stipendieren, kanonisieren, dokumentieren, funktionieren, fusionieren, umorientieren, aussprechen, einsprechen, versprechen, besprechen, einhandeln, aushandeln, aushalten, haushalten, auftreiben, verbreiten, vernetzen, verlegen, verkaufen, verstehen, vermitteln, verfilmen, verschicken, vertreiben, verteidigen, verfahren, erfahren, übersetzen, ausstellen, auslegen, anbringen, aufkleben, abziehen, aufnehmen, durchsehen, auskennen, bestellen, umschreiben, aufbereiten, eintreiben, umsetzen, anwenden, auspreisen, einspeisen, ausschneiden, umverteilen, vorlesen, vorangehen, buchen, bloggen, betreiben, durcharbeiten, angreifen, aufgreifen, umdeuten, aufdröseln, löschen …

Eine Akkumulation von Tätigkeiten anstelle definierter Berufsbezeichnungen – liegt hierin schon der Schlüssel zum Erfolg? Daniela Seel wirft zugleich viel grundsätzlichere Fragen auf, die den Begriff der »Arbeit« zur philosophischen Kategorie erklären: »Was ist überhaupt ein Beruf?« oder: »Wie kann ich etwas erreichen, von dem ich noch gar nicht weiß, dass es existiert?« Wo verläuft überhaupt die Grenze von Arbeit und Privatleben? Was ist Beruf, was Berufung?

Kook und Klagenfurt

Schnell zeigt sich in der Diskussion mit den zehn Studierenden, dass die enge Korrelation von Arbeit und Leben stets mitgedacht wird. Die universitäre Ausbildung wird getragen vom individuellen Interesse, vom eigenen Lesen von Büchern, Blogs und Feuilletons. Auf der Suche nach einem möglichen Arbeitsplatz kann man sich also gut von eigenen Instinkten und Neigungen leiten lassen und sollte sich auch Fragen nach dem »Wie« der Arbeit stellen. Vor- und Nachteile der Freiberuflichkeit, der Arbeit in Büro- oder Ateliergemeinschaften werden ebenso aufgeworfen wie ökonomisch-lebenspraktische Aspekte, z.B. die Möglichkeit in die Künstlersozialversicherung aufgenommen zu werden.

Ob Spieleentwickler oder Juror in Klagenfurt, Fachübersetzer oder Verlagsgründer. Im Verlauf des Workshops werden immer neue Tätigkeitsfelder für GermanistInnen ergründet und so die verborgenen Nischen des Literaturbetriebs beleuchtet. Anhand eines Planspiels, das sich über den zweitägigen Workshop erstreckt, entwickeln die Studierenden Festivalkonzepte – kein Zufall, da sich zeitgleich die alljährlichen Tage der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt ereignen. So wird die Verleihung des Bachmann-Preises diskutiert und vor dieser Folie von den Studierenden ein eigenes fiktives Kulturevent initiiert. Sie kalkulieren die Kosten und entscheiden über die einzuladenden KünstlerInnen, schreiben Stiftungen an und verfassen Pressetexte, organisieren das Aufstellen von Dixi-Klos und buchen Stage-Services.

Bio

Daniela Seel wurde 1974 in Frankfurt am Main geboren. Sie arbeitet u.a. als Lyrikerin, Übersetzerin und Verlegerin; 2003 gründete sie zusammen mit Andreas Töpfer den Independent-Verlag kookbooks. Der Schwerpunkt des Verlagsprogramms liegt auf zeitgenössischer Lyrik und Prosa. Daniela Seels erster Gedichtband ich kann diese stelle nicht wiederfinden erschien 2011 bei kookbooks.
 

Workshop

Das von LitLog etablierte Veranstaltungsformat Webbasiertes Publizieren setzt sich zum Ziel, Praxisfelder für GeisteswissenschaftlerInnen aufzuzeigen. Der Workshop »Was mit Literatur machen« ist für dieses Modul im Bereich Schlüsselkompetenzen anrechenbar.
 
 
Benennt man ein Künstlernetzwerk mit dem englischen Wort »KOOK«, was so viel wie »Spinner«, »Exzentriker«, »Verrückter« bedeutet, liegt die Selbstpositionierung im literarischen Feld auf der Hand. Der Independent-Verlag kookbooks folgt weniger dem ökonomischen Mainstream als dem ideellen Anspruch, gute Bücher zu publizieren. Daniela Seel macht keine Quersubventionierungen, sondern verlegt mit Herzblut. Und gerade weil die Anhäufung symbolischen Kapitals so selten auch kommerziellen Erfolg mit sich bringt, spricht sie nicht unkritisch von den Regeln und Mechanismen im literarischen Feld, von Kanonisierungsprozessen oder der zunehmenden Bedeutung performativer anstelle ästhetischer Elemente in der Literaturkritik.

Sich der psychologischen Wirkungsweisen solcher Marktregeln bewusst zu werden, ist sicherlich ein Schritt der Ernüchterung. Es ist aber auch ein Reifeprozess und die Chance, sich nicht durch haltloses No Future entmutigen zu lassen. Kulturschaffende leben einen Spagat zwischen Begeisterung und Broterwerb. Durch tapferes Weitermachen bleiben sie beweglich. Diese positive Grundeinstellung prägt zuletzt das Stimmungsbild, denn die Berufsfindung ist ein Prozess, der längst begonnen hat, egal, ob in Form eines Praktikums oder beim Korrekturlesen der Hausarbeit von KommilitonInnen. Dass sich ein solches Berufskonzept am besten mit einem humorvollen Augenzwinkern leben lässt, unterstreicht die ironische Pointe am Schluss. Eine der Teilnehmerinnen muss früher los. Zur Lohnarbeit.



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