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Wichtig ist neben dem Platz

Und wir stimmen ein: »Der Stürmer sagt zum Trainer: Trainer, ich treff dat Tor nich. Der Trainer sagt zum Stürmer: Stürmer, du triffst den Ball nicht!« Erinnerung an einen kurzweiligen Abend mit den Redakteuren des Kult- und Kulturmagazins 11 Freunde.

Von Marco Henkel

»Wichtig ist auf dem Platz«, sagte einst die Trainerlegende Otto Rehhagel. Für Fußballprofis mag das vielleicht stimmen, für den Zuschauer und Fan ist das Geschehen rund um den Platz jedoch mindestens genauso interessant. Mit eben diesen Facetten, Kuriositäten und Raritäten des Fußballs abseits von Spielergebnissen und öden Statistiken beschäftigt sich das Magazin 11 Freunde, das sich selbst als »Magazin für Fußballkultur« versteht. Im Rahmen ihrer diesjährigen Lesereise unter dem Motto »Für die scheiß Stimmung seid ihr doch verantwortlich« gastierten 11 Freunde-Chefredakteur und Herausgeber Philipp Köster und sein Kollege Jens Kirschneck im fast ausverkauften Jungen Theater Göttingen. Wenn das verletzungsbedingte WM-Aus eines Mannschaftskapitäns als Topthema in der Tagesschau geführt wird, darf Fußball doch wohl auch auf die Theaterbühne.

Dass ein Magazin, zumal ein Fußballmagazin, auf Lesungstour geht, mag zunächst verwundern, doch 11 Freunde ist auf seine Art einzigartig im deutschen Sportjournalismus. Es verbindet seriöse Berichterstattung mit feinem Humor und Ironie. Dabei bietet das Magazin nicht nur Hintergrundinformationen zum Volkssport Nr. 1, berichtet über Spielverläufe, Ergebnisse, Tabellen und Taktiken. Auf hohem journalistischem Niveau zelebriert es vielmehr Fußball und alles, was mit ihm zu tun hat − und immer auch irgendwie sich selbst, mit einem selbstbezüglichen Augenzwinkern. 11 Freunde inszeniert kurzum Fußball als Kult und (Pop)Kultur.

Von Sharan-Kolonnen, Druckschmerz und Fahrstühlen

Das überwiegend männliche Publikum erschien an jenem Abend zum Teil in Trikot und Vereinsschal; an der Theke wurde hauptsächlich Bier ausgeschenkt; ein Hauch von Stadionatmosphäre wehte durch das Junge Theater. Köster versprach zu Beginn einen »launigen Leseabend« und sollte Wort halten. Im typischen Humor des Magazins gaben Kirschneck und Köster Geschichten rund um das Thema Fußball zum Besten. Sie erzählten von Spielervätern und –müttern mit »Peter-Graf-Syndrom«, die am Wochenende in »Sharan-Kolonnen« zum Spiel ihres Nachwuchstalents mitfahren, um dann wild gestikulierend, zwischen Dr. Jekyll und Mr. Hyde schwankend, über Schiedsrichter und Gegenspieler herzuziehen. Sie räumten mit dem Vorurteil auf, dass es im deutschen Fußball keine Typen wie Mario Basler oder Stefan Effenberg mehr gebe. Wer sie vermisst, könne sie in so manch Spielbegegnung der Kreisklasse A wiedersehen. Auch die ausufernde Tradition, Jubelarien der Fußballstars zu begehen, wurde einer ironisch-kritischen Analyse unterzogen.

Natürlich durfte an diesem Abend die beliebte Phraseologie à la »In einem Jahr hab ich mal 16 Monate durchgespielt« (Franz Beckenbauer), »Zwei Chancen, ein Tor – das nenn ich hundertprozentige Chancenauswertung« (Roland Wohlfahrt), »Die Realität ist anders als die Wirklichkeit« (Berti Vogts) oder »Ich hab gleich gemerkt, es ist ein Druckschmerz, wenn man draufdrückt« (Lothar Matthäus) nicht fehlen. Der Vorankündigung als »Fußball-Multimedia-Lesung« wurde insofern Rechnung getragen, als auf einer Großleinwand kurze Einspieler über die »Top Ten der Schwalben«, über Aussetzer von Jogi Löw vor laufender Kamera, Ergebnisse einer eigenwilligen Verwandtschaftsforschung unter dem Motto »Bei der Geburt getrennt« und Sportschau-Sequenzen aus den Siebzigern ausgestrahlt wurden.

11 Freunde


Seit 2000 auf dem Markt, ist »11 Freunde« zum beliebtesten vereinsunabhängigen Sportmagazin unter Lesern zwischen 20 bis 35 Jahren geworden. In der Tradition englischer Magazine verhandelt die Redaktion mit Sitz in Berlin mehr als Statistiken und Spielberichte: es geht um die Liebe zum Fußball.
Litlog wünscht eine gute WM 2010!

 
 

Für allgemeine Erheiterung sorgten die privaten Anekdoten der Redakteure, die von Spielern berichteten, die zuerst viel zu spät zu Interviewterminen erschienen, um dann einsilbige und höchst interpretationsbedürftige, in anderen Worten: nichtssagende, Antworten zu geben. Auch Journalistenkollegen wurden nicht verschont. Insbesondere die DSF-Fußballtalkshow Doppelpass, »die freudige Trinkerrunde am Sonntagmorgen«, bekam ihr Fett weg. Ohne Zugabe ließ das Publikum die 2 Freunde nicht gehen: Vom schweren Los, Fan der Arminia zu sein, der ostwestfälischen Fahrstuhlmannschaft, erzählten Köster und Kirschneck und rundeten mit dem Erlebnis Afrika-Cup − zeitlose Klassiker wie Gabun gegen Burkina Faso − die Lesung ab.

Kurzweil und Zeitreise

Natürlich waren viele Witze, Pointen, Einspieler und Sprüche für die Zuschauer nicht neu. Im Gegenteil. Vieles hatte man schon oft gehört. Aber gerade dieses déjà-entendu machte den Charme des Abends aus. Man konnte nostalgisch werden und wurde an eine bessere Zeit erinnert, als Geld im Fußball noch nicht die wichtigste Rolle spielte, als noch der Kaiser persönlich über den Platz schwebte. Wie dieses Konzept der glorifizierenden Mythenbildung im großen Maßstab betrieben wird, führt RTL seit geraumer Zeit in seinen kommerziellen Formaten der 70er, 80er und 90er Shows vor. Fußball wird hier als erinnerungskulturelles Gut der deutschen Zeitgeschichte neben den Fall der Mauer gestellt. Beinah glaubt man Oliver Geißens Frage in die Gästerunde zu hören: »Und wo warst du 1978, bei der Schmach von Córdoba

Es war schließlich eine sehr kurzweilige Veranstaltung, bei der wohl vor allem Fans des gepflegten Rasensports voll auf ihre Kosten kamen. Jede einzelne Geschichte, jede Pointe nährte nämlich die Vorstellung, dass König Fußball wirklich die Welt regiert. Ein gelungener Fußballabend der etwas anderen Art war’s, oder mit den Worten des großen Andi Möller gesprochen: »Vom Feeling her hatte ich ein gutes Gefühl.«



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 Autor*in:
 Veröffentlicht am 10. Juni 2010
 Foto von marfis75 via flickr
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 Ein Kommentar
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Ein Kommentar
Kommentare
 Alexavier
 30. April 2011, 04:42 Uhr

I’m not easily imerpsesd. . . but that’s impressing me! 🙂

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