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Poetry Slam
»Wir machen Kunst, nicht Sport«

Vom 21. bis 23. Juni 2013 finden in Kassel die hessischen Poetry Slam-Meisterschaften statt. Im Interview mit LitLog verrät der Organisator, Felix Römer, dass das Slammen eine anarchistische Angelegenheit ist und für wie wettkampftauglich er das Texten eigentlich hält.

Von Janine Seeger

Gerade hat er noch die Kinder ins Bett gebracht, das Babyfon liegt neben dem Aufnahmegerät. Felix Römer ist mit seiner Familie ins nordhessische Bad Zwesten gekommen, wo er bei einem Hoffest beim Open Air-Slam aufgetreten ist. Wir sitzen in idyllischer Provinzatmosphäre im »Café Luftschloss« und sprechen über die fünften hessischen Poetry Slam-Meisterschaften, die der 33-jährige Slammer als Organisator vom 21. bis 23. Juni 2013 im Rahmen des Hessentags in Kassel ausrichtet. Es geht um Punk und Anarchie, um das Schulsystem und die Vorwürfe der zunehmenden Kommerzialisierung des Poetry Slam. Und natürlich um Felix‘ eigene Erfahrungen als Organisator und Slampoet.

Janine Seeger: Felix, was macht dir eigentlich mehr Spaß, das Organisieren oder trittst du lieber als Slampoet selbst auf?

Felix Römer: Das selber Auftreten macht mir immer noch viel viel mehr Spaß, weil es das ist, was ich kann, was ich will und was meine Leidenschaft ist. Das Veranstalten und Organisieren ist spannend und interessant und dann auch irgendwann cool, wenn alles geklappt hat. Ich bin nur organisatorisch eigentlich eine Null und muss mich immer mit Leuten umgeben, die das können. Ich bin für die Ideen da. Und darum ist es schön in einem Team zu arbeiten, aber eigentlich trete ich lieber auf.

Jetzt organisierst Du den Hessenslam. Was macht eine solche größere Veranstaltung reizvoll? Fehlt da nicht die familiäre Atmosphäre, die es bei kleineren Veranstaltungen gibt?

Klar, die kleinen Slams sind die mit den goldenen Momenten. Aber auch der Hessenslam ist durchaus sehr familiär, weil ich fast alle, die da auftreten, schon viele Jahre kenne. Natürlich kommen immer Neue nach – Gott sei Dank. Es hat aber schon was sehr Familiäres und ist sehr kuschelig. Natürlich kann ich dann als Organisator nicht mehr im Backstageraum mit absaufen, aber es ist noch nicht so groß, dass man sich verlieren würde.

Du hast ja auch Veranstaltungen wie »Slamrock« oder »Slam die Mutter« organisiert. Warum gerade diese Rock- und Punkszene? In welcher Verbindung steht das zum Poetry Slam?

Ich selber habe einen Punkrock-Hintergrund und auch eine Punkrock-Gegenwart, die man nur nicht mehr auf den ersten Blick sieht. Mein Geschmack geht in die Richtung und ich bin auch in Kneipen wie der »Mutter« unterwegs, sodass die Idee naheliegt, dort auch mal einen Slam zu machen. Poetry Slam ist eben auch inhaltlich unfassbar anarchistisch, weil jeder auf der Bühne das machen kann, was er will. Natürlich gibt es die Zeitvorgabe, aber man kann die Zeit füllen wie man möchte.

So eine Veranstaltung wie der Hessenslam muss finanziert werden. Gibt es Sponsoren oder streckst du selbst was vor?

Das geht nur über Sponsoren, weil Dinge wie Übernachtungen, Essen, Räume und Rahmenprogramm wirklich sehr kostspielig sind. Das Format ist so groß, das kann ich nicht vorstrecken und das trägt sich auch nicht über Eintrittsgelder. In dem Fall haben wir starke Förderer: Da ist zum einen der Hessentag, von dem wir bezuschusst werden, das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst, das jedes Jahr Geld zu den Hessenslams dazugibt, die Stadt Kassel und zum anderen noch Wingas als Förderer aus der Privatwirtschaft.

Du hast mal gesagt, du bist kein Freund von Preisgeldern…

Cool, wo steht n das? Super!

Bei myslam.net.

Achso, da hab ich geschimpft, jaja.

Materielles ist ja nicht immer gleich Kommerz. In Bad Zwesten hast du heute beim Slam Tarotkarten gewonnen. Welche Preise sind denn ok?

Die Grundidee des Poetry Slam ist nicht die, dass die Leute auf der Bühne sich anstacheln. Dass die Slammer motiviert genug sind, ihre Texte an die Leute zu bringen, ist eh klar. Der Wettbewerbsgedanke war fürs Publikum, damit es was zu tun hat und so sollten wir es auch nach wie vor halten.

Natürlich weckt man Ehrgeiz mit Meisterschaften, aber es ist schade, wenn die Leute zu ehrgeizig werden und es zu sportlich wird. Dann wird es hässlich, weil wir Kunst machen und keinen Sport.

Durch Preisgelder wird das natürlich noch viel mehr angestachelt und dann geht es los: »Wer war da in der Jury?« und dann werden die richtig zickig miteinander. Wenn man dann noch ein hohes Preisgeld hat und stellt den Gewinner mit seinem Preisgeld in der Hand auf die Bühne und denkt sich den Rest weg, also die anderen, die aufgetreten sind, dann stimmt es einfach nicht mehr. Wenn nur der Gewinner aufgetreten wäre, wäre die Veranstaltung keine Veranstaltung gewesen. Und darum sollte man die Preisgelder aufteilen oder gleich weglassen.

Wie wichtig ist es denn für einen Slampoeten sich selbst zu beweisen?

Es ist natürlich schon wichtig, dass man beweist, was man kann, aber man muss überlegen, welchen Maßstab man anlegt. Der falsche Ansatz ist, die Platzierung beim Slam als Maßstab zu nehmen. Richtiger ist, man sagt: »Okay, ich hab meinen Text so gut ich konnte präsentiert und ihn so gut wie möglich auf der Bühne vorgetragen«. Ich muss mich vor meinem Text und vor mir selber rechtfertigen, aber nicht vor dem Publikum. Natürlich kann man das nicht ausschalten, es spielt eine Rolle, aber es ist immer das Wichtigste, ob ich nach dem Vortrag selber meinem Text in die Augen schauen kann. Dann ist es gut.

Warum ist eigentlich gerade jetzt der Fokus auf Poetry Slam so stark, der Poetry Slam kam ja bereits in den 80ern aus den USA?

Da ging es los, in den USA, genau ’86. Seitdem wächst das Format kontinuierlich. In den letzten paar Jahren hat es nochmal einen großen Sprung gemacht. Warum, kann ich auch nicht genau sagen, aber es wächst. Von Anfang an wurde es populärer und größer. Früher waren wir eigentlich fast nur in Clubs oder irgendwelchen ranzigen Cafés und irgendwann haben dann auch viele Schulen aufgemacht und gesagt: »Ja, das ist cool. Wollen wir da haben«. Dann die Literaturhäuser und die Theater, das war nochmal so ein Faktor. Und ein Multiplikator war auch das erste Fernsehformat vom WDR.

Heißt das, je bekannter der Poetry Slam wird desto kommerzieller oder ist es gar nicht so schlimm wie man es immer darstellt?

Klar ist es kommerziell, wenn Leute für ein Format, das sie gut finden, Eintritt bezahlen und damit Geld verdient wird.

Aber man kann den Gewinn an die Künstler weitergeben und damit Leute fördern, die schreiben können und auch an ihren Texten weiterarbeiten können, die besser werden und spannendere Sachen machen. Dadurch wird’s zum Beruf. Da ist die Kommerzialisierung natürlich völlig in Ordnung.

Und es wird szeneintern total geguckt – also das sind wirklich ganz scharfe Wachhunde – wer macht wo irgendwas. Die sind so integer, dass weniger Haie mit ins Becken kommen, das ist schon okay.

Der Poetry Slam wird vielleicht auch deshalb immer populärer, weil es bereits Kurse in Schulen gibt bzw. es sogar als eigenes Fach unterrichtet wird. Was hältst du davon?

Bio

Felix Römer (33) kommt ursprünglich aus Marburg und lebt in Berlin. Er ist der Organisator des Hessenslam 2013 und seit vielen Jahren selbst erfahrener Slammer. Regelmäßige Veranstaltungen, wo man ihm begegnen kann, finden vor allem in Kassel und Göttingen statt. In Göttingen organisiert und moderiert er seit etwa zwei Jahren gemeinsam mit Christopher Krauß den Poetry Slam.
 

Hessenslam

Freitag, 21. Juni: Eröffnungsshow um 20:00 Uhr
Samstag, 22. Juni: Halbfinale I um 19:30 Uhr und Halbfinale II um 22:00 Uhr
Sonntag, 23. Juni: Hessenslam-Finale: U20 um 18:30 Uhr und Ü20 um 20:30 Uhr im Kulturhaus Dock 4 in Kassel

 

Gö-Slam

Die nächsten Slams in Göttingen finden am 21. Juli und 22. September um 20:15 Uhr im ThOP statt.
 
 
Wenn man Poetry Slam machen möchte, finde ich, sollte man es auch im Umfeld des Poetry Slams kennenlernen. Es ist also als Unterrichtsfach, wenn man es machen muss, etwas daneben. Zum anderen ist es natürlich total cool, dass man es machen kann und dass man Alternativen hat zum »Zauberlehrling«-Lernen im Lyrikkurs und man auch mal Julian Heun lernen kann. Man muss halt ein bisschen aufpassen, dass das weg von Zensuren geht und wenn man Workshops an Schulen macht, dass man nicht das Augenmerk darauf legt, dass man sagt: »Ihr sollt Gedichte schreiben und damit auftreten«, sondern, darauf, dass man sagt: »Guck mal! Das geht mit Sprache und es macht Spaß. Keiner von euch muss auftreten, keiner von euch muss irgendwas machen, aber probiert mal kurz.« Dass man Spaß vermittelt.

Wie siehst du denn die Entwicklung des Poetry Slam? Wo wird es wahrscheinlich noch hingehen?

Also ich denke es wird noch populärer, gerade durch diese schulischen Sachen kommt jetzt eine Generation nach, für die Poetry Slam nichts Neues, sondern selbstverständlich ist. Die meisten haben das irgendwo schon mal gesehen. Was die Veranstaltungen angeht und die Medienpräsenz, bin ich mir nicht ganz sicher. Ich glaube, da ist dann irgendwann Schluss, weil ab einer gewissen Größe die Veranstaltung nicht mehr so gut funktioniert. In der Hamburger O2-Arena war ja vor zwei Jahren das Finale der Meisterschaften vor 4000 oder 5000 Zuschauern. Das geht halt nicht mehr. Das fühlt sich nicht mehr richtig an.

Man braucht also sowas wie ›mittlere Formate‹?

Es gibt viele kleine Städte, die Riesenslams haben. Der Göttinger Slam ist ja für die Größe der Stadt auch ziemlich enorm und es gibt in Weiden in der Oberpfalz einmal im Jahr Literaturtage, wo Poetry Slam gemacht wird, das ist an der bayrisch-tschechischen Grenze. Da kommen jedes Jahr 500 Leute zum Slam in eine Tiefgarage. Und obwohl der Hessenslam in Kassel eine größere Veranstaltung ist, wird die Atmosphäre doch noch stimmen.

Okay, wir freuen uns drauf. Danke für das Interview.

Ja, gerne!



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 Veröffentlicht am 20. Juni 2013
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