In seinem Sachbuch Selbst denken. Eine Anleitung zum Widerstand will Harald Welzer seine Leser zum eigenständigen Denken erziehen, schlägt aber nur mit der moralischen Keule um sich und präsentiert einen Cocktail aus Gängigem und Klischees.
Von Swaantje Wilcken
Mit »12 Regeln für erfolgreichen Widerstand« endet Harald Welzers Buch Selbst denken – Eine Anleitung zum Widerstand. Vielleicht hätte es lieber damit beginnen sollen.
Denn am Anfang stellt sich einem zunächst ein gigantischer Berg an Vorwürfen in den Weg. Wir, die Menschen, machen einfach alles falsch: Wir konsumieren zu viel und zu oft, wir schmeißen zu viel weg, wir verschmutzen die Umwelt zu sehr, wir lassen uns von der Politik entmündigen und die sich von der Industrie. Ja, selbst die, die versuchen, Widerstand zu leisten, machen alles falsch, weil sie dann anstatt mit dem Fahrrad zu Vorträgen gegen die Umweltverschmutzung mit dem Auto fahren. Und auch sonst sind eigentlich alle alternativen Entwürfe schlecht: Für die Herstellung von Solarpanels und Windkraftanlagen wird jede Menge CO2 produziert und wer versucht, sein Haus energieeffizient zu bauen, macht auch alles falsch, weil er das Geld, das er durch den geringeren Energieverbrauch spart, am Ende wieder in den Konsum anderer Güter steckt und das ist natürlich schlecht. »Was an der einen Stelle ergrünt, wird an der anderen wieder versaut.« Puh! Harald Welzer schwingt die große Keule des erhobenen Zeigefingers und holt aus zum Rundumschlag gegen die gesamte Gesellschaft. Du, du, du böser, verantwortungsloser Mensch, so geht das aber nicht weiter!
Wer es schafft, der Keule zu entgehen und nicht, nach dem ersten Teil niedergestreckt, das Buch zur Seite legt, den schubst Welzer dann gleich in zwei Zukunftsszenarien. Das eine schön, grün, gemeinschaftlich, wohlwollend, herzlich. Eine Welt des Miteinanders und des Teilens. Das andere eine Welt des apokalyptischen Egoismus, in der jeder nur noch an sich denkt, die Ressourcen immer knapper werden und wir uns von dem Rest der Menschheit abkapseln, damit sie uns nichts wegnehmen können.
Aber gut, auch wenn der erste Teil des Buches nicht gerade dazu anregt, etwas zu ändern, im zweiten Teil kommt Welzer dann schon zur Sache und gibt konkrete Vorschläge, was gemacht werden muss, um das Horrorszenario für die Zukunft zu vermeiden: Wir sollen mehr Verantwortung übernehmen, wir sollen unseren Wohlstand reduzieren, wir sollen weniger materiell denken, wir sollen mehr teilen und Bündnisse schließen, wir sollen weniger arbeiten. Dass wir dann auch weniger Geld verdienen, macht nichts, denn wir sollen schließlich und sowieso viel weniger konsumieren. Die Bohrmaschine, die man höchstens einmal im Jahr braucht, kann man sich doch auch wunderbar mit der ganzen Nachbarschaft teilen. Wir hätten weniger Kram und mehr Zeit. Unser Leben wäre einfacher, sauberer, grüner!
Wer sich von dem blauen Auge durch die Keule aus Teil eins erholt hat, kann jetzt durchatmen: Ach, so leicht ist das! Aber warum machen wir das dann nicht schon längst alles? Leider lässt Welzer eines bei seinen ganzen schönen Vorschlägen außer Acht: Wir wollen das alles nicht! Wir wollen nicht teilen, nicht weniger Geld haben und erst recht nicht weniger konsumieren. So leicht geht es eben nicht. Natürlich wäre es wünschenswert, wenn wir unseren kaputten Fernseher, anstatt ihn einfach wegzuschmeißen und einen neuen zu kaufen, zur Reparatur bringen oder recyceln ließen, aber die Zeiten, in denen wir unser kaputtes Eigentum zum Handwerker schleppten, die hatten wir schon und wir haben sie nicht umsonst hinter uns gelassen. So, wie es jetzt ist, gefällt es uns eben besser. Leider, muss man sagen, na sicher, aber Welzer regt mit seinem Buch nicht zum selbst denken an. Er haut einem erst um die Ohren, dass man eigentlich alles falsch macht und schreibt dann eine Liste, wie man es jetzt machen soll.
»Was wir nach vierzig Jahren Ökobewegung und zwanzig Jahren Postdemokratie ganz sicher nicht mehr brauchen, sind Appelle und Belehrungen.«, stellt Welzer selbst ganz richtig fest. Verinnerlicht scheint er diesen Gedanken nicht zu haben und so wirken die »12 Regeln für erfolgreichen Widerstand« am Ende eher wie ein hinten reingeklebtes Post-it, damit der Titel noch passend ist, und nicht wie ein folgerichtiger Schluss der vergangenen Seiten.
Auf dramatische Weise stellt Welzer in seinem Buch dar, wie schlimm unsere Situation ist und wie wir ihr in Zukunft entfliehen können. Leider ein bisschen zu dramatisch, denn anstatt die Chance zu nutzen, den Leser zum selbst denken anzuregen, will er, dass er wie Welzer denkt!