Eine Live-Synchronisation von Wir sind die Neuen ist eine Idee des DT Göttingen, um weiterhin Stücke aufzuführen. Die Schauspieler*innen müssen erst auftauen, neue Ideen bringen aber Frische in die schon länger aufgeführte Komödie. Befremdliches Corona-Theater und verschiedenste Emotionen.
Von Lucie Mohme
»Veränderungen sind das, was man neu denkt«, so sagt es Johannes (Paul Wenning) passend zum Format der Veranstaltung der Komödie, als er sich einen neuen Look in Form einer Brille anschafft. Dabei ist ein neuer Look natürlich keine richtige Veränderung, wie Eddie (gesprochen von Andreas Jeßing, gespielt von Lutz Gebhardt) anmerkt, sondern das Umdenken ist entscheidend. Genau das hat das Deutsche Theater Göttingen gemacht: Es hat sich erneut der Herausforderung, die das Covid-19-Virus mit sich bringt, gestellt. Die Idee ist Folgende: das schon längst eingespielte und auf Video aufgezeichnete Stück Wir sind die Neuen von Jürgen Popig, aufgeführt unter Regie des DT-Intendanten Erich Sidler, soll in Form eines Open-Air-Theaters stattfinden. Das Ganze spielt sich auf dem Parkdeck des DT ab, wo die Schauspieler*innen die Videoaufzeichnung live synchronisieren.
Ein befremdliches GefühlDas Konzept hat bei mir erstmal Skepsis hervorgerufen. Und die Bedenken sowie die Annahme, dass eine solche Lösung unter Corona-Bedingungen auch für die Schauspielenden eine nicht ganz leichte Umstellung sein würde, stellten sich zumindest teilweise als berechtigt heraus. Unbehagen und eine befremdliche Atmosphäre waren die Wirkung der weit auseinander stehenden Stühle. Dennoch, auf der anderen Seite hatte die Location direkt am Wall mit der grünen Umgebung und dem untermalenden Vogelgezwitscher gleichzeitig etwas Beruhigendes. Die wenigen 77 Plätze, die der Zuschauerraum hergab, verliehen der Veranstaltung aber auch eine Exklusivität. Das Gesamtbild von Kulisse und Atmosphäre ist ein Paradebeispiel für das, was die Corona-Pandemie mit uns macht. Sie macht uns sprachlos und füllt uns mit widerstreitenden Emotionen.
Die Schauspielenden, vorwiegend in Schwarz gekleidet, kamen auf die Bühne und hatten jede*r ihren eigenen Platz und ihr Mikrofon mit eineinhalb Metern Abstand voneinander. Das Video für die Synchronisation lief auf zwei kleinen Bildschirmen etwas unterhalb vor ihnen ab, sodass sie selbst von der Bühne aus dem Publikum zugewandt waren. Ihre Ausrichtung hat aber nicht wirklich einen Unterschied gemacht, da eine Interaktion mit dem Publikum kaum bis gar nicht stattfand. Allein Marius Ahrendt warf auch mal einen Blick ins Publikum und gab das eine oder andere Mal ein Lächeln oder Lachen von sich. Alle anderen wirkten konzentriert und steif. Da kam zumindest am Anfang der Vorstellung kaum etwas rüber. Alle schienen vor allem darauf bedacht, nichts falsch zu machen und ihre Synchroneinsätze nicht zu verpassen.
Eine Komödie passend zur SituationIm Großen und Ganzen handelt die Komödie von einer langjährigen Student*innen-WG, bestehend aus Katharina (Anna Paula Muth), Barbara (Gaia Vogel) und Thorsten (Marius Ahrendt), die gezwungenermaßen eine weitere, neue WG im Haus begrüßen müssen. Sie, zusammengewürfelt aus Johannes (Paul Wenning), Eddie (Lutz Gebhardt, gesprochen Andreas Jeßing) und Anne (Angelika Fornell), ist eine nach langer Zeit wiedervereinte, alte Freunde-WG, also sind alle drei auch schon im vergleichsweise höheren
Passend zur aktuellen Pandemie-Situation thematisiert das Stück gegenseitige Hilfsbereitschaft in Notlagen des Lebens. Unsere jetzige Krise führt uns immer wieder vor Augen, wie wichtig Nachbarschaftshilfe und Zusammenhalt sind, um schwierige Zeiten durchzustehen. Deshalb eignet sich die Wahl des Stücks besonders gut, um den Zuschauer*innen auch noch eine Botschaft mitzugeben, nämlich: Helft euren Mitmenschen und zeigt Solidarität in dieser schwierigen Zeit.
Das eine oder andere Mal stimmte der Text von zum Beispiel Marius Ahrendt oder Andreas Jeßing gar nicht mit ihren Figuren Thorsten und Eddie im Video überein, was aber zumindest im Fall von Ahrendt durch seine charmante Interaktion und Gelassenheit überspielt wurde. Ahrendt lachte nicht nur über sich selbst, sondern auch mit den anderen und ließ diese so ein wenig auftauen. Die Souffleuse musste bei einzelnen Texthängern nachhelfen, aber dadurch, dass die Schauspieler*innen dies schließlich mit Humor nahmen, konnte auch das Publikum mit ihnen lachen.
Doch es gab auch einige nicht zu verachtende Höhepunkte. Schon früh im Spiel fiel das hervorstechende Engagement von Angelika Fornell in ihrer Rolle als Anne auf. Sie glänzte durch Bewegung, während sie ihre Rolle sprach: Mal legte sie sich hin, während ihr Charakter Anne sich ins Bett begab, oder joggte kurz auf der Stelle, als dies auch an Anne auf der Leinwand zu beobachten war. Fornells Leistung blieb am Ende des Abends am deutlichsten in Erinnerung.
Kreativ und lustig war die Idee, auch die Soundeffekte live zu spielen. Das waren keine Einspieler von der Technik, sondern hier durften die Schauspieler*innen, mal mit dem Besen fegen oder klopfen, womit Gaia Vogel nicht nur ihre Kolleg*innen zum Lachen bringen konnte, sondern auch das Publikum mitriss. Ebenfalls wurde mit Glas geklirrt, ein Türquietschen mit der Stimme imitiert oder ein wachrüttelndes Solo von Ahrendt auf einer Box getrommelt. Genau passend zur Komödie haben diese Aktionen den Humor des Stücks noch einmal untermalt. Ebenfalls unterhaltsam war es, dass die Synchronisator*innen den jeweiligen Figuren im Video Gedanken andichteten. Als zum Beispiel Johannes für Katharina einen Wein raussuchte und es auf der Bühne hieß: »… aber nur den billigsten…«, sorgte das für zusätzliches Amüsement. Dies glich geschickt ein wenig aus, dass es an Live-Performance mangelte.
Ebenso nur in diesem Format möglich, waren Live-Reaktionen auf das eigene Spielverhalten auf der Leinwand oder zu den Pointen und Witzen des Stückes: Da gab es schonmal Situationen, wo sich Ahrendt oder Vogel kurz nicht einkriegten vor Lachen, aber natürlich so, dass es den Spielfluss nicht unterbrach. Genau das bringt der Inszenierung Frische und lässt auch alte Theaterhasen, die das Stück vielleicht schon kennen, ein neues Erlebnis damit verbinden. Nach und nach konnten sich alle Schauspielenden entspannen und lachten auch über die eigenen Textpatzer oder Aussetzer. Nicht mehr so verkrampft wirkten sie sympathischer und gaben auch dem Stück den eigentlichen humorvollen Charakter wieder.
Ein gruseliger AbgangGenauso wie der erste Eindruck von der Kulisse waren auch das Ende und der Abgang der Schauspielenden sowie der Applaus befremdlich. Bei den Zuschauer*innen fiel der Applaus deutlich geringer und leiser aus, als man es normal im großen Saal des DT gewöhnt ist. Schade, denn diese Momente der Bestätigung sind wichtig für die Darsteller*innen. Hoffentlich bleiben die sechs nach dieser ungewöhnlichen Erfahrung dennoch am Ball und inszenieren das Stück das nächste Mal mit noch ein bisschen mehr Selbstsicherheit. Genauso sollten die äußeren Umstände die Zuschauer*innen nicht abschrecken. Mit Maske zum Platz zu gehen, Abstand zu halten und sich nicht ganz sicher zu sein, wo man sich gerade an die Regeln hält oder nicht, ist in der jetzigen Situation ja irgendwie sowieso schon Alltag.
Eben ein Corona-TheaterSchlussendlich ist die ganze Inszenierung doch mehr oder weniger gelungen. Der Abend hatte seine Ecken und Kanten, war aber auf gar keinen Fall verschwendete Zeit. Gerade für Besucher*innen, die das Stück schonmal im normalen Rahmen gesehen haben, ist es einen Besuch wert. Für Erstbesucher*innen, die das DT gerade neu entdecken, ist es jedoch nicht als Einstieg zu empfehlen, denn das DT kann unter gewöhnlichen Bedingungen weit mehr leisten als diese Vorstellung. Trotzdem ist Wir sind die Neuen im Corona-Modus zumindest eine Möglichkeit, weiterhin während der Krisenzeit Kultur zu erleben.
Wer trotz allem enttäuscht ist, kann die 28 Euro Eintrittspreis auch einfach als Spende an die Kulturlandschaft insgesamt betrachten. Denn auf den großen Aufwand des DT sollte auf jeden Fall Rücksicht genommen werden: Das Theater hat sich wieder etwas Neues einfallen lassen und sich der Veränderung angepasst.