Was des Einen Flop, ist des Anderen Album. Mit der gleichzeitigen Veröffentlichung des Albums und den Lieblings-Flops, gefolgt von einem Ideen-Magazin holt Hans Magnus Enzensberger zum Doppelschlag aus. Alena Diedrich begab sich in Enzensbergers »Vorratskammer« und berichtet von seinen Tops und Flops.
Von Alena Diedrich
»So wie die Elster mit allem, was sie findet, und sei es noch so unscheinbar, ihr Nest schmückt. Dabei holt sie gerne, was glitzert, hervor. Ob Straß oder Diamant, ist ihr ziemlich gleichgültig. Schande und Schmuck sind beieinander, wo eines Mannes unverzagter Mut konfus gemustert gehen will wie Elsternfarben. Trotzdem, der kann noch glücklich sein, denn an ihm ist etwas von beiden: vom Himmel und von der Hölle.«, so heißt es in Wolfram von Eschenbachs Parzival. Auch Hans Magnus Enzensberger hat unlängst seinen Schnabel gewetzt und glitzerndes Material für sein buntes Elsternest gesammelt. Genügend Stoff für zwei neue Bücher kam dabei heraus: Ein perlmuttschillernd weißes Album und die Bekenntnisse seiner Lieblings-Flops, gefolgt von einem Ideen-Magazin; ein kleines, recht handliches »Schwarzbuch«.
Das AlbumMit Gattungsfragen sollte man sich im Fall des Enzensberger’schen Albums nicht lange aufhalten, doch ein wenig Leserhilfe ist vielleicht doch angebracht. Mit was haben wir es da also zu tun? Mit einem Capriccio, einem Quodlibet, einem Potpourri, ganz klar. Ein Hotchpotch, ein Maremagno, ein Salmagundi, so möchte der Autor es nennen. Nennen wir es vorerst vielleicht doch einfach ein Scrapbook.
So und nicht anders geht es zu in unserem Gehirn, einem undisziplinierten Organ, das sich an keine Reihenfolge hält, ohne Inhaltsverzeichnis auskommt und keine Chronologie kennt.
Gleich beim Aufschlagen des Buches betreten wir die »Vorratskammer HME« durch den Gehirnquerschnitt einer Computertomographie – und durch ein Spiegelbild derselben Tomographie verlassen wir sie am Ende auch wieder. Dazwischen finden wir all das, was im Innenraum dieses Intellektuellenschädels Platz findet: eine Vielzahl literarisch-tomografischer Schichten, Seite für Seite angesammelt im Laufe eines bisherigen Lebens von dem Besitzer dieser anscheinend unerschöpflichen und überquellenden Wunderkammer selbst; ein romantisches Sammelsurium, angeordnet nach den idiosynkratischen synaptischen Verknüpfungen seines Arrangeurs und Urhebers. Eine solche Ordnung fordert keine Seitenzahlen und keine lineare Leserichtung; jede Seite ist typographisch anders gesetzt und stilistisch unterschiedlich illustriert. Wir finden Bilder, Fotos, Zeitungsausschnitte, Zeichnungen, Radierungen – ein prall gefülltes Buch mit einem bis an den Rand gesetzten, häufig wechselnden und eher unruhigem Druckbild.
Man fragt sich in Linz: Hat Kummer Stifter
Er wird ja immer stummer. Kifft er?
Das Gehirn als Schaukasten hält dabei mehr als radikalen Subjektivismus bereit. Es ist mit persönlichen Erinnerungen gefüllt und spiegelt doch ein kollektives kulturelles Gedächtnis. Es erzählt eine kleine Kultur- und Literaturgeschichte, lenkt den Blick auf die heimlichen Dialoge zwischen Texten unterschiedlicher Autoren und Epochen. Und noch mehr verrät die romantische Fülle: Die Welt muss nicht erst poetisiert werden, sie ist es bereits, denn das Universum selbst ist ein Text mit unendlich vielen Permutationen:
Der Wald besteht aus Milliarden von Nadeln
unregelmäßig aber nicht zufällig angeordnet
in Raum und Zeit
Die Anzahl der möglichen Permutationen
nähert sich dem UnendlichenJeder Wald ist ein Kryptogramm
Unser Gehirn versucht
das Wirkliche zu entziffern
Bei der präsentierten Vielfalt ist die Wahl der Farbe Weiß für den Umschlag nur logisch. Zwar ist Weiß die hellste unbunte Farbe, aber sie entsteht durch Kontamination: durch die Überlagerung aller Farben des Spektrums, die als einzelne erst durch die Brechung sichtbar werden. »Nur indem es sich mit dem Unreinen vermengt, kann das Reine in Erscheinung treten.« Schon Heraklit brachte es in seinen Fragmenten auf die Formel: »Die schönste Weltordnung ist wie ein aufs geratewohl hingeschütteter Kehrichthaufen.« Und so finden sich, durchblättert der Autor seine eigene Werkbiographie, neben den sorgsam gehüteten Albumblättern auch so manch eher vergessenes Projekt.
Die Lieblings-Flops, gefolgt von einem Ideen-Magazin»Liebe Schwestern und Brüder in Apoll, ihr mögt dichten, spielen, malen, filmen, singen, meißeln, komponieren – warum erzählt ihr so ungern von euern kleinen oder großen Debakeln?« Enzensbergers Lieblings-Flops, gefolgt von einem Ideen-Magazin rufen zur schonungslosen Enthüllung auf. Sie preisen den Misserfolg als Heilmittel für übersteigerten Größenwahn, als didaktisches Mittel der besseren Selbsteinschätzung – denn »Triumphe halten keine Lehren bereit« – und setzen den Flop als Prämisse an den Ursprung aller künstlerischen Arbeit. Einmal lautmalerisch auf den Markt »hingeplumpst« ist der Flop ein produktions- und publikumsabhängiges Phänomen, in seiner Entwicklung bedingt durch seine Um- und Mitwelt, der Selektion unterworfen. In Enzensbergers schwarzem Büchlein kann man sie nachvollziehen, die Evolution der gescheiterten und der ungeborenen Ideen. Unter dem Strich kommt der durchaus für seine Erfolge berühmte Autor und Herausgeber zu dem Schluss: »Ich für meinen Teil gestehe, daß ich wenigen Erfahrungen so viel verdanke wie meinen Flops; ich behaupte sogar, daß sie mir im Lauf der Zeit immer mehr ans Herz gewachsen sind.« So wird vielleicht auch spannend bleiben, zu welchem Nachruhm die Sammlung an Flops es noch bringen wird und welche Ideen aus ihnen entstehen werden.
Heiter gelassen und mit gewohnt-gekonntem Understatement, doch mit unübersehbar großer Geste gibt Enzensberger Einblicke in seine Kino-, Opern, Theater- und »Etcetera-Flops« und schildert seine verlegerischen und literarischen Ausrutscher in unterhaltsamen Kurzskizzen. Lässt sich hier von einem echten Meister das Scheitern Lernen? Eine berechtigte Frage, wenn man sich die Auswahl dieser angeblich gefloppten Projekte ansieht. Man findet z.B. die Zeitschrift TransAtlantik, die nach 2 ½ Jahren als Verlustgeschäft wieder eingestellt wurde, doch zu deren Beiträgern heute namhafte Autoren wie Lars Gustafsson, Christoph Ransmayr, Joseph Brodsky u.a. zählten. »Es gibt Leute, die behaupten TransAtlantik wäre gescheitert, weil es der Zeit vorausgewesen sei.« Auch gescheiterte Ideen, so die Aussage des Buches, können vom Prinzip her gescheite Ideen sein. So gesteht Enzensberger auch zum Film Jonas, dass nicht jeder Flop ein Misserfolg auf ganzer Linie sein muss: »Die Kritiker waren von Jonas begeistert. Der rabenschwarze, ›experimentelle‹ Film gewann sogar einen Bundesfilmpreis und einen Bambi. Nur das Publikum ist ihm hartnäckig ferngeblieben.«
Es überrascht nicht wirklich, dass man Auszüge aus La Cubana oder ein Leben für die Kunst ebenso im Album finden kann, war doch das Kuba-Thema schon 1978 – im Untergang der Titanic – ambivalent besetzt und das Scheitern umgewertet zu einem zwar erzwungenen doch notwendigen Neuanfang. So könnte auch über den Lieblings-Flops das Beckett’sche: »Wieder scheitern, besser scheitern« als Motto stehen, das unter dem Holzschnitt von Peter Weiss zum Untergang der Titanic im Album arrangiert ist. Im Vergleich sind diese beiden Enzensberger-Bände eigentlich nicht so sehr voneinander unterschieden: Was des Einen Flop, ist des Anderen Album. Den Schwarz-Weiß-Kontrast mag man diesem Quer-durch-die-Mitte-Denker ja doch nur oberflächlich abnehmen. Und ob die Wahrheit auf der Stecke zwischen diesen Farbantagonismen nun Grau ist oder ob sie das Spektrum aller Farben bis zu deren Summe durchwandert; es liegt im Auge des Betrachters.