Literatur- und Kulturtheorie ist bekanntlich ein weites Feld und für viele Studierende kaum noch überschaubar. Das von Ansgar Nünning herausgegebene Metzler-Lexikon Literatur- und Kulturtheorie versucht das theoretische Chaos zu ordnen. In über 800 Artikeln führt der Band durch die wichtigsten Theorien, Begriffe und Personen.
von Florian Pahlke
Theorien begegnen einem in jeder Situation, nur ist man sich dessen meist nicht bewusst. Vor allem in der Literaturwissenschaft haben seit den 60er Jahren die Literaturtheorien eine stetig wachsende Bedeutung erfahren. Das Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie, herausgegeben von Ansgar Nünning, trägt dieser Entwicklung Rechnung. Um in dem breiten Feld der Theorien und Begriffsbildungen noch Übersicht zu erlangen, versammelt das Lexikon in seiner vierten Auflage um die 800 Artikel zu einzelnen Theorien, Begriffen, Personen und ermöglicht so einen ersten Zugang zu den theoretischen Debatten der Literaturwissenschaft.
Auch Gegner dieser Diskussionen müssen einsehen, dass ihren Aussagen über Literatur immer Prämissen zugrunde liegen, die sich in theoretischen Begriffen festhalten lassen. Die Frage, ob eine solche Komplexität den Zugang zur Literatur erschwert, kann insofern zurückgewiesen werden, als es zu den Standards von Wissenschaftlichkeit gehört, möglichst explizit zu machen, unter welchen Vorraussetzungen und auf welche Weise mit den fachspezifischen Gegenständen gearbeitet wird. Das Metzler-Lexikon versucht daher ohne größere Wertung alle Theorien und Begriffe zu erfassen, die in den letzten Jahrzehnten ihre Verwendung gefunden haben. Dabei gehen die Verfasser soweit, nicht nur explizit literaturspezifische Themen zu behandeln, sondern auch themenübergreifend Gebiete aus anderen geisteswissenschaftlichen Disziplin mit einzubeziehen. Aufgrund dessen wird der neueren Entwicklung der Literaturtheorien zur Kulturtheorie schon im Titel des Werkes ihr Platz eingeräumt.
»Der damit unterstrichenen Weiterentwicklung der Philologien zu interdisziplinären Kultur- bzw. Medienkulturwissenschaften« wird weiterhin eine historische Einordnung gewährt, indem die einzelnen Begriffe und Theorien durch Querverweise zueinander in Beziehung gesetzt werden; darüber hinaus werden antike Theorien als Vergleich entgegengestellt. Um jedoch nicht nur zu einer schier unübersichtlichen Ansammlung von Namen zu kommen, orientiert sich die Auswahl der Theorien immer daran, ob sie innerhalb zeitgenössischer Debatten noch Verwendung finden.
Die Begriffe selbst werden dabei stets verknüpft mit den Personen, die für die Geschichte des Begriffs entscheidend waren. Auf diese Weise dienen auch die Kontexte, in denen die Begriffe ihre Verwendung fanden, der Explikation des Begriffs selbst. Es ist dabei nicht verwunderlich, dass die einzelnen Artikel nur Ansätze einer differenzierten Definition bieten können, jedoch auf meist ein oder zwei (zweispaltigen) Seiten durchaus prägnant und mit den wichtigsten Aspekten versehen eine gut anwendbare Begriffsdefinition zur Verfügung stellen, die zum einen für sich selbst stehen kann, zum anderen die Eingliederung in einen übergeordneten Sachverhalt ermöglicht. Die einzelnen Artikel wiederum sind lexikontypisch aufgebaut und bieten sowohl eine Worterklärung als auch eine historische Rekapitulation mit Hinweisen auf kritische Einwürfe gegenüber der vorgestellten Theorie und daran anschließende Debatten.
Um neben den Querverweisen innerhalb des Lexikons für noch mehr Übersicht zu sorgen, finden auch Überblickartikel wie beispielsweise zur ›Chaostheorie‹ ihren Platz und verschaffen dem Streben des Werkes, einen in sich geschlossenen Überblick zu bieten, seinen Ausdruck.
Insgesamt bietet das von über 220 Autoren verfasste Lexikon für die schnelle Recherche eine zuverlässige und fundierte Übersicht, auch und gerade um im Anschluss tiefer gehende Recherchen anschließen zu können. Für die meisten Arbeiten, insbesondere im Rahmen des Studiums, sollten jedoch auch schon die hier versammelten Artikel genügend Überblickswissen bereitstellen.