Das Theaterstück Lou Andreas-Salomé von Tine Rahel Völcker zeichnet die wichtigsten Etappen des Beziehungslebens der gleichnamigen späteren Göttinger Psychoanalytikerin nach – ein humoriges »Analyse-Poem in drei Sitzungen« im Deutschen Theater, unter die Lupe genommen von Litlog-Autorin Caren Schwenke.
Am Freitag den 4.Juli fand wie jedes Jahr die Göttinger Nacht der Kulturen statt. In ihrem Rahmen wurde ein breites kulturelles Spektrum an Musik, Kleinkunst und anderen interessanten Veranstaltungen angeboten. So auch im DT Göttingen: Einmalig wurde Besuchern die Möglichkeit geboten, kostenlos das von der Berliner Dramatikerin Tine Rahel Völcker geschriebene und von Lutz Keßler inszenierte Stück Lou Andreas-Salomé zu schauen. Das uraufgeführte Stück wird in Kooperation mit dem Lou Andreas-Salomé Institut für Psychoanalyse und Psychotherapie Göttingen auf die Bühne gebracht.
Schulter an Schulter in dem kleinen Studio sitzend, bei ca. 26 Grad, stellt sich beim Publikum an diesem heißen Sommerabend der klaustrophobische Eindruck eines überfüllten Wartezimmers ein. An der gegenüberliegenden Wand stehen fünf Personen, in lange schwarze Röcke gekleidet, vor einer mit Fake-Holz getäfelten Wand. Eine kleine Treppe mitten im Bühnenbild führt zu einer Öffnung in der Wand, durch die Berge und Wald zu sehen sind. Zwei Leinwände, die im Verlauf des Stückes Ort und Zeit jeder Szene ankündigen, sind an beiden Seiten in die Täfelung gelassen. Auf die linke wird mit einem Bildprojektor der Titel Lou Andreas-Salomé. Ein Analyse-Poem in drei Sitzungen geworfen, auf die rechte werden ein Löwe und ein Schwan projiziert. Die Bedeutung ihrer Symbolik bleibt bis zum Ende des Stückes allerdings etwas im Unklaren.
»Die Ehe ist eine gegenseitige Kolonisation.«Das Stück zeichnet in Etappen die Biographie der aus einer deutsch-russischen Familie stammenden Schriftstellerin und späteren Psychoanalytikerin Lou Andreas-Salomé auf humoristische Art nach. Eingeteilt in drei »Sitzungen«, werden wichtige Stationen ihres Lebens ausgewählt und in einem dicht gestrickten Stück dargestellt. Die Einteilung in Sitzungen dient jedoch nur der Strukturierung des Stückes, sie stellen nicht, wie man annehmen könnte, den Charakter von Therapiesitzungen dar.
»Mit dem Gewissen verhält es sich wie mit Gott, es kann uns nur etwas anhaben, wenn wir dran glauben.«
Der Schwerpunkt des Stücks liegt auf der Beziehungswelt Lous und ihrem damit eng verbundenen Freiheitswillen. Nur nebenbei erfährt man, dass sie wieder schreibt. So wird Lou Andreas-Salomé vor allem als social-event für intellektuelle Männer charakterisiert, die sich massenweise in sie verlieben. Lous Gedanken, in der ersten Sitzung dialogisch und amüsant inszeniert von Angelika Fornell und Marie-Kristien Heger, kreisen zwar um abstrakte Themen wie Gott und die Liebe, finden allerdings in dem Stück keinen Platz für weitere Ausformulierungen und bleiben daher wie Nebelschwaden im Raum stehen. Stattdessen wird annähernd jede Beziehung, die Lou mit einem berühmten Mann geführt hat, vorgestellt und ins Zentrum der Inszenierung gerückt. So treten nacheinander Nietzsche, der sozialistische Journalist Georg Ledebour, Rilke und Freud auf. Dabei kann man, aufgrund der ständigen Rollenwechsel unter den Schauspielern, schon einmal den Überblick verlieren.
Verquere VerwirrungDie anfängliche, durch die konsequente Umsetzung aller mit langen Röcken verhüllten Beine hervorgerufene Verwirrung, wer denn nun Lou spielt, legt sich, als die zwei weiblichen Schauspielerinnen sagen, sie würden nicht Lou Andreas-Salomé sein. Die Psychoanalytikerin wird in der ersten »Sitzung« charmant und mit einem Schmunzeln von dem Leipziger Schauspieler Nikolaus Kühn gespielt, der im späteren Verlauf mit Bart und lila schillernder Weste den Orientalisten Friedrich Carl Andreas spielt, den Salomé 1887 heiratete. Durch das cross-gender acting entstehen gewollt komische Situationen, wenn beispielsweise Nietzsche alias Michael Meichssner zu Lou sagt: »Eigentlich sind Sie ein Mann in einem Kleid, ein reinster Willensakt«, und Nikolaus Kühn dann verschmitzt und mit einem koketten Augenzwinkern die Beine übereinander schlägt. In den weiteren »Sitzungen« wird die Psychoanalytikerin von den Schauspielerinnen Marie-Kristien Heger (zweite »Sitzung«) und Angelika Fornell (dritte »Sitzung«) interpretiert und so fällt die anfängliche Komik weg. Doch auch wenn der rote Faden des cross-gender actings durch Nikolaus Kühn sich nun nicht weiter durch das Stück zieht, hat man während der Interpretation Michael Meichssners als Nietzsches Schwester wieder einiges zu lachen. Während er in dem ersten Teil noch einen manisch-cholerischen Nietzsche mimt, übernimmt er danach den Part von Nietzsches Schwester, nun mit platinblonder Perücke und knallrotem Lippenstift.
Viel Poem, wenig AnalyseDas Stück zeichnet sich vor allem durch die humoristische Darstellung der Charaktere und die Beziehungen zwischen Lou Andreas-Salomé und ihren sämtlichen männlichen Freunden aus. So fühlt man sich als Zuschauerin angenehm unterhalten, wenn Rilke, gespielt von Andreas Daniel Müller, die meiste Zeit wie ein anhängliches und etwas wehleidiges Schoßhündchen hinter Angelika Fornell herläuft, die eine gestandene Psychoanalytikerin figuriert. Allerdings ist von der versprochenen Analyse wenig zu merken. Salomés Reflexionen über philosophische sowie psychologische Fragestellungen finden so gut wie keinen Raum in dem Stück, auch nicht, wenn sie im Verlauf der Inszenierung, nun bekannt als die »Hexe vom Hainberg«, in Göttingen als Therapeutin tätig ist. Das ist bedauernswert, denn eigentlich verdient Lou Andreas-Salomé als erste deutsche Psychoanalytikerin eine stärker analytisch geprägte Annäherung an ihre Biographie und ihr Wirken, denn ihr Lebensstil und ihre Reflexionen sind für die Zeit, in der sie gelebt hat, außergewöhnlich und damals wie heute inspirierend.