Mitten in Northwest Arkansas gibt es eine Oase der amerikanischen Kunst, das Crystal Bridges Museum. Eine bestens kuratierte Kollektion, wunderschöne Natur und beeindruckende Architektur vereinen sich hier. Wem darf man für das kulturelle Kapital danken? Walmart.
Teil 1 der Amerika-Reihe von Hanna Sellheim
Northwest Arkansas ist so etwas wie eine Hippie-Kommune im Redneck-Staat, das von unbeugsamen Liberals besetzte Dorf mitten in Trump-Land. Hier in der oberen Ecke des Staates, wo sich die Grenzen zu Missouri und Oklahoma treffen, kleben vier Städte aneinander, Fayetteville, Springdale, Rogers und Bentonville – ein bisschen wie im Ruhrpott, nur in jeder Hinsicht hübscher. Hier gibt es Kultur zuhauf; Street Art an jeder Ecke, Galerien, die ebenso steril und prätentiös wirken wie in den schlimmsten Ecken des Berliner Scheunenviertels, moderne Theater, die besser ausgestattet scheinen als alle Spielstätten von Essen, Bochum und Dortmund zusammen sowie ein Filmfestival und eine Fashion Week, wobei es ersteres an internationalem Einfluss vielleicht nicht mit der Berlinale aufnehmen kann, zweitere aber doch sicherlich mit der für ihre Irrelevanz bekannten Berliner Fashion Week.
Trotzdem ist man doch ein wenig überrascht, wenn man in Bentonville durch ein hässliches Industriegebiet kurvt und sich plötzlich vor Crystal Bridges, dem Museum für amerikanische Kunst, wiederfindet, einem riesigen Gebäudekomplex mitten im Wald. Man betritt das Museum von oben, sodass es sich einer*m als erstes im Panorama präsentiert. Mit den konvex und konkav geformten Dächern erinnert es an ein Raumschiff, das dort zwischen Bäumen gelandet ist.
Durch und durch ökologischIch komme genau rechtzeitig, um die Ausstellung »Nature’s Nation. American Art and Environment« noch zu erwischen, bevor sie am nächsten Tag abgebaut wird. Recht plakativ beginnt sie mit einem Werk von Valerie Hegarty: »Fallen Bierstadt« ist eine halb verbrannte Replik des Gemäldes »Bridal Veil Falls, Yosemite« von Albert Bierstadt, das freundlicherweise daneben hängt … Verkokelte Überreste der Leinwand-Konstruktion ragen einer*m entgegen, auf dem Boden liegt ein Häufchen rußiger Schnipsel. Nun gut, denkt man, Pädagogik mit dem Holzhammer für das vermeintlich öko-unsensible amerikanische Publikum, doch damit verurteilt man die Ausstellung voreilig. Denn der Rest ist wesentlich subtiler, bestens konzipiert und liebevoll kuratiert. Nachvollziehbar zeigt sie Entwicklungen in Umweltdarstellungen in der amerikanischen Kunst vom 16. Jahrhundert bis in die Gegenwart auf. Von Naturidyll-Gemälden bis hin zu Bildern der heutigen Ausmaße von Umweltverschmutzung zeigt sich eine spannende Bandbreite an Themen und Motiven, die klug analysiert und in den Ausstellungstexten erläutert werden.
Diese liefern historischen und naturdiskursiven Kontext. So wird etwa aufgezeigt, wie sehr die Kunst des 18. und 19. Jahrhunderts noch beeinflusst ist von der Idee einer Great Chain of Being, in der vornehmlich der Mensch im Mittelpunkt künstlerischer Darstellung steht, wie es Charles Willson Peale’s Gemälde »The Artist in His Museum« von 1822 illustriert-. Es bildet sein real existierendes, 1780 gegründetes Kunst- und Naturwissenschaftsmuseum ab: Menschliche Porträts hängen in der dargestellten Museumsszene über penibel sortierten tierlichen Ausstellungs»objekten«, der Künstler selbst steht im Zentrum des Bildes und öffnet einen Vorhang zu den Museumsräumen, den*die Betrachter*in scheinbar einladend. Gleichzeitig zeigt sich in der rechten unteren Ecke bereits die Gefahr, in der sich diese strenge Ordnung befindet: Die Entdeckung des Mastodon-Knochens und somit einer ausgestorbenen Spezies bringt den Glauben an eine planungsvoll geordnete Kette des Seins ins Wanken.
Die Ausstellung ist dabei erfreulich komparatistisch: Nicht nur Kunst im engeren Sinne wird ausgestellt, sondern auch Architektur-Modelle, die die Umwelt auf besondere Weise mitdenken, Kunsthandwerk sowie die Schriften Alexander von Humboldts und Carl von Linnés – an die sich so mache*r vielleicht noch aus Heinrich Deterings Ökologie-Vorlesung im vergangenen Wintersemester erinnert. Gleichzeitig wird die Ökologie von »Nature’s Nation« selbst explizit gemacht: Die Materialien von Wänden und Vorhängen sind alle lokal angebaut, wie kleine Schildchen daneben verraten. Auf der Website lässt sich der gesamte Umwelteinfluss der Ausstellung nachvollziehen.
Gezeigt wurde die Ausstellung zum ersten Mal in Princeton, wanderte dann ins Peabody Essex Museum in Salem, bevor sie nach Crystal Bridges kam. Doch sie passt in dieses Museum wie in kein anderes: Das Gebäude, entworfen von Moshe Safdie, vereint Architektur und Natur auf einzigartige Weise. Um das Museum führen Wanderwege durch den Wald, auf dem Gelände wächst eine breite Vielfalt heimischer Pflanzen, für deren Pflege Gartenbau-Expert*innen angestellt sind. Ein Bach fließt unter dem Gebäude hinweg und öffnet sich im Innenhof zu einem Becken, auf dem kleine Installationen schwimmen.
Die Lichtreflektionen des Wassers fallen auf die Wände im Gebäude und glitzern neben der Kunst. Im Garten hinter dem Haus sind Skulpturen geschickt zwischen den Bäumen und Büschen verstreut. Kultur und Natur werden hier als eins gedacht, Aktionen des Museums – wie etwa »A Walk in the Woods« mit Künstler*innen – verbinden die beiden Erfahrungen immer wieder miteinander. Inmitten der im Land sonst üblichen Benzinschleudern, Plastik-Orgien und Energie-Verschwendung hat dieser Ort schon beinahe heterotopische Qualität.
Kein kulturelles Kapital ohne ökonomischesDas alles geht natürlich nicht ohne Geldhahn: »General admission to Crystal Bridges is always free, and is sponsored by Walmart«, tönt es unbescheiden auf der Website. Die Familie Walton – Besitzer*innen der Supermarktkette Walmart und die reichste Familie der USA – ist in Northwest Arkansas omnipräsent. Der Hauptsitz der Firma liegt in Bentonville, dort Angestellte sind verpflichtet, sich in der Gegend anzusiedeln – und da will man ihnen natürlich etwas bieten. Also investieren die Waltons unersättlich ihr vieles Geld: in die Bud Walton Arena, in das Walton Arts Center, in das Sam M.
Auch die Dauerausstellung in Crystal Bridges ist mehr als sehenswert. Die Waltons haben keine Kosten und Mühen geschaut, um die besten Kunstwerke Nordamerikas nach Bentonville zu schaffen. Von der Vormoderne bis zur Gegenwart tummeln sich hier Werke von Andy Warhol über Georgia O’Keeffe bis Jackson Pollock. Etwas abseits des Hauptgebäudes findet sich ein Häuschen, erbaut von keinem Geringeren als Frank Lloyd Wright. Doch auch unbekanntere Künstler*innen finden hier ihren Platz, ebenso wie People of Color, LGBTQ, weibliche Kunstschaffende. In großen, lichtdurchfluteten Räumen sind deren Werke sinnvoll und ansprechend präsentiert. Es wird geklotzt statt gekleckert: Zwei Wände hängen von oben bis unten voll mit Selbstporträts, das Genre zeigt sich auf diese Weise in seiner ganzen Vielfalt.
Dadurch, dass mit Ausstellungsstücken nicht gespart wird, treten diese in Bezug zueinander; komplementieren, kommentieren und kontrastieren sich gegenseitig. Es ergibt sich so ein breites Panorama der US-amerikanischen Kunst, das chronologisch aufgezogen wird. Stylische Sofas und sanfte Wandfarben sorgen für Entspannung für all jene, die in Ehrfurcht vor diesem ganzen kulturellen Erbe zu erstarren drohen. Skulpturen und Installationen greifen immer wieder in den Raum hinein, nutzen ihn aus, laden ein, von allen Seiten betrachtet zu werden.
Besonderen Eindruck hinterlässt eine Installation von Nari Ward: Lauter einzelne Schnürsenkel formen an einer Wand den Schriftzug »We the People«, die Typographie gleicht jener in der amerikanischen Verfassung. Gerade angesichts der aktuellen politischen Lage in den USA bekommt das Werk von 2015 eine beklemmende und zugleich ermutigende Aktualität. Denn auch wenn »the People« unter Trump natürlich zunehmend ausschließend definiert wird, erinnert diese Selbstbezeichnung auch an den ursprünglichen Anspruch des Landes auf Gleichheit aller – der gleichzeitig von Prinzipien wie der Sklaverei von Anfang untergraben wurde. Trotzdem bleibt den Worten ein utopischer Anklang inne, der die Hoffnung auf realisierte Demokratie und Gerechtigkeit trägt. Man verlässt Crystal Bridges durch den Shop mit vor Mitbringseln berstender Recycling-Papiertüte und hat Northwest Arkansas noch ein bisschen lieber als ohnehin schon.