Northwest Arkansas ist ein bekanntes Habitat für Künstler*innen. Auch außerhalb der großen Institutionen ist die lokale Kunstszene lebendig und vielseitig. Ein Rundgang durch die Galerie-Landschaft rund um die University of Arkansas, inklusive einer denkwürdigen Butter-Ausstellung.
Von Hanna Sellheim
Wollte man in Fayetteville, Arkansas, ein gesamtes Wochenende nur damit verbringen, sich Kunst anzuschauen, so könnte man das problemlos tun. Man sollte dafür schon am Freitag beginnen und könnte bequemerweise gleich auf dem Campus losgehen. Mitten im Fine Arts Center, einem architektonisch ausgeklügelten Gebäude, das die Fachbereiche Kunst, Musik, Theater und Kreatives Schreiben verbindet, liegt neben einer Konzerthalle auch eine Galerie, die studentische Ausstellungen beherbergt. Sie ist frei zugänglich, klein und pragmatisch, durch eine elegant geschwungene Glaswand vom Rest des Gebäudes getrennt. Ausgestellt sind dort zurzeit die Werke der Künstlerin Laleh Khorramian aus Iran, die mit Form und Farbe, Kultur und Geschichte spielen.
Nur ein paar Schritte weiter auf dem weitläufigen Campus stößt man auf das Faulkner Performing Arts Center, ein schniekes Theater mit 570 Plätzen, dessen Namensähnlichkeit mit dem berühmten Südstaaten-Autor nur zufällig ist ̶ das Gebäude verdankt seinen Namen einem Unternehmer-Ehepaar aus Little Rock, dessen generöse Spende den Bau ermöglichte. Dort läuft gerade pünktlich zum Black History Month die Ausstellung »Frame of Mind«, die Porträts schwarzer Menschen zeigt. Auch in der benachbarten Student Union, der Hauptanlaufstelle für alle Studierenden, gibt es eine einräumige Galerie, die immer mal wieder Ausstellungen ausrichtet.
Träfe man den richtigen Tag und die richtige Zeit, könnte man sich danach auf in die Stadt machen, zur studentischen Galerie sUgAR. Hinter dem Namen steckt irgendein vermeintlich cleveres Wortspiel, das die University of ARkansas evozieren soll, aber durch das Mocking-Spongebob-Meme eher schlecht gealtert ist. Heute, und nur heute, findet dort die Pop-Up-Ausstellung »Butter Me Up« statt, die sich – da verspricht der Name nicht zu viel – rund um das Thema Butter dreht.
Butter als BedeutungsträgerWäre ich rechtzeitig zur Eröffnung gekommen, hätte ich vielleicht bei einer kleinen Rede gehört, was diese Themenwahl inspiriert hat. Doch wer zu spät kommt, muss ohne erklärenden Text auskommen und selbst Hypothesen aufstellen. Derer findet man, lässt man sich einmal auf den obskuren thematischen Überbau ein, doch recht viele: Butter als unendliche wandelbare Substanz, somit prädestiniert als künstlerisches Material. Butter als Fett, als Nahrung, als Mangelware in Zeiten des Krieges. Butter kulturhistorisch als Zeichen des amerikanischen Wohlstands. Die Genderpolitik der Butter (»Hast du eine Mutter, dann hast du immer Butter«). Und plötzlich fühle ich fast zärtliche Affektion für das profane Streichfett.
Ich komme rechtzeitig für eine Performance mit dem Titel »Spread Yourselves Thin«. Es geht darin, so erklärt die in ein beiges Gewand gehüllte, auf einer Plastikplane hockende Künstlerin, um soziale Selbstaufopferung. Die Performance besteht, man ahnt und fürchtet es, darin, dass sie mehrere Butterstücke mit tänzerischen Bewegungen auf der Plastikplane verschmiert, während im Hintergrund Hip-Hop läuft. Bald riecht es im gesamten Raum durchdringend nach, nun ja, Butter, sodass ich ein plötzliches Verlangen spüre, etwas zu backen. Vielleicht ein ungewollter Nebeneffekt, dass der Geruch allein Erinnerungen an Care-Arbeit evoziert, an Stunden in der Küche, an Kuchen, gebacken von Müttern, Schwestern, Freundinnen; eine Assoziation, die in Verbindung mit dem Titel doch interessantere Deutungen zulässt.
Der Rest der Ausstellung ist dann auch profunder als die dünn mit Bedeutung bestrichene Butter-Matscherei. Viele der Ausstellungsstücke basieren auf demselben Trick, nämlich Butter aus anderen Materialien herzustellen, aus Keramik, Stoff, Häkelgarn oder dem Dauerbrenner Ton. Ein Duchamp-eskes Ready-Made mit dem Titel »shortbread« besteht aus nicht mehr als einer Packung Mehl.
Die Butter in Zeiten von InstagramBemerkenswert ist unter anderem eine Installation von Kennedie Daniel mit dem suggestiven Titel »she got the pancake ass.« Es besteht aus einem kleinen Tisch, auf dem zwei Stapel Pancakes angerichtet sind, über die sich ein stetiger Fluss aus Ahornsirup ergießt, der durch irgendeinen Motor im Inneren des Werks angetrieben werden muss. Auf den Pancakes sind dekorativ kleine Butterstückchen arrangiert, davor liegt akkurat zusammengeschnipseltes Konfetti auf dem Boden. Das Kunstwerk spielt durch seine akkurate Komposition und Pastell-Farbigkeit geschickt mit der Instagram-Ästhetik, vereint den oberflächlichen Fetischismus der sozialen Medien für Körperlichkeit und Essen.
Der menschliche Körper wird immer wieder wichtig, ein Deo-Stick aus Butter ist ebenso ausgestellt wie Fotos von fettiger Haut. Dazwischen findet sich plakativ Gesellschaftskritisches: Goldbarren aus Butter, Kritik an Butterwerbung in Stempeltechnik. Aber auch schlichtweg Schönes; ein Gemälde von Bailee King zeigt ein Stück Butter in Wasserfarbe, Tempera, Acryl, Wachs und Lack mit starken Farbkontrasten.
Nach der Ausstellung treffe ich die Performancekünstlerin auf der Toilette, wo sie sich die Butter von den Armen wischt. An den Wänden kleben kleine Fett-Reste und man kann sich nur vorstellen, dass irgendwo im Jenseits Josef Beuys, einen toten Hasen streichelnd, zufrieden lächelt darüber, wie das Erbe seiner Fettecke weiterlebt.
Lokale Landschaften und happige PreiseDirekt auf dem Downtown Square ließe sich am folgenden Tag der Kunstrundgang durch Fayetteville fortsetzen, denn dort liegt die Galerie ArtVentures. Ein, naja, okayes Wortspiel, das befürchten lässt, dass sich Galerien bald ähnlich wie Friseursalons in einen Wettbewerb um die dümmste Verballhornung von alltäglichen Wörtern schmeißen, um einen vermeintlich individuellen und witzigen Namen hervorzubringen. Als ich ArtVentures besuche, steht davor eine mit buntem Klebeband verzierte Schaufensterpuppe, die Erinnerungen an aufdringlich kulturkritische Kunstausstellungen bei Techno-Festivals in der Brandenburger Pampa wachwerden lässt. Die Galerie selbst ist ein niedlicher kleiner Eckladen in einem für US-amerikanische Verhältnisse alten Haus aus Backstein. Die Holzdielen knirschen beim Eintreten gemütlich altbaumäßig. Drinnen begrüßt mich freundlich eine Frau, neben der ein Glas mit der Aufschrift »Suggested Donation 5$« positioniert ist, der Eintritt zur Galerie ist frei.
Die Ausstellung besteht hauptsächlich aus Gemälden, aber auch ein paar Skulpturen sind im Raum platziert. Elstermäßig wandere ich zu einer glitzernden Installation in der Ecke. Das Werk von Cheri Bohn und Cliff
In diesem Segment bewegen sich bei allen Werken die Preise: Kleine Schildchen neben den Werken verlangen Summen um die 1000 Dollar, unter 500 findet sich kaum etwas. Und die Arkansans scheinen nicht abgeneigt zu zahlen: Die meisten Schildchen sind mit roten Punkten versehen. Die amerikanischen Haushalte, die ich bisher besucht habe, sind allesamt vollgehängt mit Kunst, leere Wände sieht man hier selten. Die Galerieräume hingegen sind angenehm unprätentiös, die Dielen abgeschabt, die Wände nicht klinisch weiß, sondern dunkel gestrichen, abseits der Ausstellungsräume liegen die Studios der Künstler*innen, in denen sich Leinwände, Farbtuben und Pinsel stapeln.
Die Gemälde zeigen hauptsächlich Porträts von Menschen und Tieren, dazwischen ein paar Landschaften und florale Muster. Sie sind gut, wesentlich besser, als man es in einer kleinen, gemeinnützigen Galerie erwarten würde, nur wenige Scheußlichkeiten sind darunter. Alle Künstler*innen leben in Fayetteville und Umgebung, verraten die Biografien neben den Werken. Das spiegelt sich auch in der Motivwahl: Einige der Bilder zeigen die Ozark Mountains, eine Collage zeigt das alte Hauptgebäude der Universität. Viele der Künstler*innen haben einen Abschluss in Fine Arts von der Universität, doch nicht alle haben ihr gesamtes Leben in Arkansas verbracht. Stattdessen kommen sie aus Kalifornien, New York, Iran.
Besonders beeindruckend sind die Gemälde der Belgierin Joelle Storet: Sie malt in hellem, eindringlichen Rot, durchbrochen von starken Pinselstrichen in Hellblau und Weiß. Eines ihrer Bilder zeigt einen Kurs im Aktzeichnen. Die Kursteilnehmer*innen sind in abstrakten, kubistischen Formen dargestellt, die Form des Models in der Mitte sticht heraus in weichen, realistischeren Umrissen. Der Kontrast von Rot und Hellblau unterstreicht die dichotomische Atmosphäre von Hitze und Kälte, Nacktheit und Bekleidung, Körper und Abbild.
Eine Künstlerin begrüßt mich, als sie an mir vorbeiläuft, unter dem Gewicht einer Leinwand schwankend. Alles muss raus, erklärt sie mir, sie ziehen bald um. Wohin, das lässt sich auch nach intensiver Recherche nicht herausfinden, die räumliche Zukunft der Galerie scheint also noch unsicher. Doch auch ohne den Standort auf dem Square ist ArtVentures weiterhin präsent; die Ausstellung im Faulkner Center ist von der Galerie kuratiert und ausgerichtet.
Nicht dass die Stadt in künstlerischer Hinsicht bankrott wäre, würde diese Galerie verschwinden. Nur ein paar Schritte weiter liegt die Fenix Gallery, eine etwas schickere Galerie, die es sich zum Ziel gemacht hat, »to place the artist at the center of all decisions«. Die Kühle der Räume, die ich bei einem vorsichtigen Blick durchs Fenster erahne, hält mich davon ab, auf meinem künstlerischen Streifzug hineinzugehen. Nicht weit entfernt findet sich die »Local Color Studio Gallery« und über die ganze Stadt verteilen sich kleine Läden, in denen Künstler*innen Selbstgemachtes verkaufen. Auch an Kunsterziehung mangelt es nicht: Sowohl in den Galerien als auch in der Stadtbibliothek und den Nadine Baum Studios, einem Gemeindezentrum für Kunst, werden für die Fayetteviller*innen Kurse angeboten, im Töpfern, in Drucktechnik, im Aktzeichnen. Den Abschluss der Kunsttour findet man ein Stück außerhalb von Fayetteville. Hier liegt Terra Studios, eine kleine Kommune, in der sich eine Gruppe Hippies künstlerisch verwirklicht. Das selbsterklärte Ziel auf der Website ist »using art to create a better world«.
Die Studios sind vor allem für ihr Markenzeichen bekannt, einen kleinen blauen Glasvogel, den »Blue Bird of Happiness«. Unmengen dieser kleinen Vögelchen kann man hier kaufen, in allen Größen. Er ist in Arkansas als Geschenk so beliebt, erzählen mir die mich begleitenden Locals, dass es nicht selten ist, zweistellige Mengen an blauen Vögeln zu Hause herumfliegen zu haben. Durch eine Glasscheibe im Verkaufsraum kann man, ein bisschen wie im Zoo, einen Glasbläser bei der Herstellung der Vögel beobachten, ein Exemplar ist innerhalb von 5 Minuten produziert ̶ Kunst am Fließband, im besten Fall Warhol, im schlimmsten Adorno. Im Eingang des Geschäfts prangt ein Schild, das verkündet, dass die Produktion der Glasvögel demnächst fürs Erste eingestellt wird, zu schädlich sei sie für die Umwelt und man wolle nicht noch weiter zum Klimawandel beitragen. Sicherlich ein guter Schritt, und doch scheinen solche Gesten stets mehr symbolisch als effektiv in einem Land, in dem sich Orte wie die Terra Studios nur mit dem Auto erreichen lassen und in dem jeder Einkauf im Gift Shop dann doch in drei verschiedene Plastiktüten verpackt wird.
Es scheint, die Studios werden auch ohne ihr Markenzeichen nicht in nächster Zeit dem Ruin entgegenstreben. Der Laden ist gut gefüllt mit Menschen und es gibt genug andere Produkte, an denen sich verdienen lässt. Getöpferte Eitrenner, filigraner Drahtschmuck und kleine Bilder, laut einem Schild daneben inspiriert von der »in Europa beliebten Diddl-Maus«. Man kann sich das Ergebnis vorstellen.
Northwest Arkansas und die WeltUnd auch sonst sind die Terra Studios ein sehenswerter Ort. Auf dem Gelände verstecken sich zwischen den Bäumen kleine Statuen und Mosaike, ein Pavillon bestehend nur aus blauen Glasvögeln schmückt den Hof. Alles hat etwas Spielerisches, Verzaubertes; ein Stück neben den Hauptgebäuden liegt ein kleines Häuschen, in das das Licht nur durch bunte Glasfenster dringt. Die Mülleimer sind verziert mit Trollköpfen und tragen die Aufschrift »Trash Troll«. In alle Mauern auf dem Gelände sind Muster aus Steinen und Scherben eingelassen, in den Bäumen hängen Glasornamente. Besonders Kinder können sich hier zwischen Kunst und Kitsch austoben: Es gibt ein Labyrinth und Miniaturhäuschen in verschiedenen Baustilen.
Das alles weckt bei mir Kindheitserinnerungen an ähnliche Orte in Skandinavien und vielleicht kennt man sich auch in den Glasbläser*innen-Kommunen der Welt: Der blaue Glasvogel hat eine täuschende Ähnlichkeit zu einem Glasvogel, der seit einem Familienurlaub in Finnland auf dem Balkon meiner Mutter steht. Das macht jedoch den Reiz der lokalen Kunstszene in Northwest Arkansas nicht weniger besonders. Vielmehr lässt sich an allen Orten, in allen Kunstwerken stets der spezifische spirit der Gegend, eine Mischung aus liebevoller Lokalverwurzelung und neugieriger Offenheit für das Unbekannte, Internationale, Andersartige erahnen.