Die funk-Webserie Druck versucht sich an innovativem transmedialen Erzählen und bemüht sich um politische Relevanz. Dabei bleibt noch einiges an Potenzial ungenutzt – und doch ist die Serie narrativ das Interessanteste, was der deutsche Markt zurzeit zu bieten hat.
Von Hanna Sellheim
Ob Literatur politisch sein kann oder muss, ist eine nie endende Diskussion. Die funk-Webserie Druck bejaht nun diese Frage unapologetisch und arbeitet dafür mithilfe von transmedialem Storytelling an einem ganz neuen Narrativ-Begriff. Druck ist die deutsche Adaption des norwegischen Originals Skam (Scham), das weltweit für Aufsehen sorgte und inzwischen zahlreiche Ableger in anderen Ländern hat. Die Webserie erzählt die Geschichte(n) einer Gruppe von Schüler*innen kurz vor dem Abitur. Ihre Struktur ist größtenteils übernommen, für den deutschen Markt sind jedoch ein paar Einzelheiten geändert worden.
Die Serie wird in kleinen, dreiminütigen Clips in Echtzeit erzählt, die später zu Folgen zusammengeschnitten und in der ZDF-Mediathek bzw. auf YouTube geschaut werden können. Die digitale Konzeptionalisierung wird zum Programm der Serie: Die Charaktere haben Instagram-Accounts, denen man folgen kann, per WhatsApp-Newsletter lassen sich Screenshots ihrer Chats abonnieren und es gibt eine kontinuierlich aktualisierte Spotify-Playlist mit dem Soundtrack. Die verschiedenen Medien verweisen aufeinander, in der Serie sprechen sich die Mädchen mit ihren Instagram-Namen an und in den WhatsApp-Chats werden Instagram-Posts zitiert. So wird die Neugier der Zuschauenden auf das Mehr an Informationen, das sie dort bekommen können, ständig angeheizt. Statt nur zuzuschauen, bekommt das Publikum die Möglichkeit, Teil der erzählten Welt zu werden. Das ist klug an die Bedürfnisse des anvisierten Publikums angepasst: Es wird auf diese Weise die Erlebniswelt der Zielgruppe aufgegriffen und ihr Rezeptionsverhalten antizipiert. Auch die Diegese selbst greift die Erfahrungswelt der jugendlichen Zuschauer*innen adäquat auf, ohne dass es gezwungen wirkt.
Nicht neu – und doch innovativDas ist natürlich alles nicht neu: Die Lizzie Bennet Diaries war eine der ersten Serien, die transmediales Storytelling konsequent umsetzte, indem sie in Form von Vlogs erzählte und sich Twitter erzählerisch zunutze machte. Und natürlich waren TV-Formate noch nie gänzlich vom öffentlichen Diskurs abgeschottet, sondern stets in mediale Austauschprozesse eingebunden – ein Prozess, der sich durch die sozialen Medien intensivierte. Dass mit der Zunahme der Social-Media-Kanäle auch eine Serie ihr transmediales Erzählen verbreitert, scheint also als konsequente Weiterentwicklung.
Die Social-Media-Accounts setzen sich in einen Grenzbereich von Realität und Fiktion. Das Prinzip der sozialen Medien wird zum ästhetischen Programm der Serie: Die Zuschauer*innen werden darauf verwiesen, dass sie stets nur Teile der Narration wahrnehmen können, ihre aktive Erschließung der Geschichte wird ermutigt. Dies lässt sich als Kommentar zum Erzählen selbst verstehen: Es werden hier die Gleichzeitigkeit und Ubiquität von Geschichten, die anthropologische Konstante des Erzählens selbst performativ vorgeführt.
Zu jeder neuen Staffel wechselt zudem die Hauptfigur, die Geschichten der anderen Figuren laufen im Hintergrund weiter und werden immer wieder angedeutet, aber nicht mehr konsequent auserzählt. So werden die Kontingenz von Narrativen und ihre Manipulationskraft aufgezeigt – es wird offensichtlich, dass das Erzählen immer eine Entscheidung für eine bestimmte Version der Geschichte impliziert, die aber auch ganz anders erzählt werden könnte. Die einzelnen, stets wechselnden Geschichten ergeben ein großes Gesamtes. Maximale Subjektivität und Mitgliedschaft im Kollektiv wirken hier zusammen und bedingen einander.
Druck erweitert den Narrativ-Begriff bedeutend. Die Diegese wird unendlich, ihr Innerhalb und Außerhalb lassen sich nicht mehr scharf trennen. Ohne die Serie zu schauen, kann man der Geschichte weiter folgen. Indem der*die Zuschauer*in sich auf die Interaktion in verschiedenen Medien einlässt, kann er*sie neue Elemente freischalten, Details entdecken, die Figuren noch näher kennenlernen. Das Erzählen wird spielerisch. Die digitale Kontextualisierung wirft auch Fragen nach Inszenierung und Authentizität auf, welche die Zuschauer*innen auf ihre eigene mediale Selbstinszenierung zurückverweisen. Inwiefern hängt unsere Instagram-Persona mit unserer Persönlichkeit zusammen? Inwiefern ist das überhaupt relevant? Somit wird auch das Konzept eines*r Autor*in hinfällig, die Geschichte wird vielmehr durch die Partizipation verschiedener Menschen von unterschiedlichen Seiten gleichzeitig geschrieben. Letztlich findet so eine Demokratisierung des Erzählens statt, die durch die sozialen Medien selbst bedingt ist: Jede*r kann Protagonist*in und Autor*in der eigenen Geschichte werden. Diese Betonung des Einzelnen als Teil des sozialen Kollektivs wirkt zusammen mit dem politischen Appell der Serie.
Denn die Serie nutzt ihr erzählerisches Potenzial auch, um aktuelle Themen aufzugreifen und sich in den politischen Diskurs einzuschreiben – sie arbeitet an einer Politisierung ihrer Zielgruppe. Die Vorrede der Serie proklamiert Resignation und appelliert gerade dadurch an das Engagement der heutigen Jugend: »Die Generationen vor uns haben noch über Utopien nachgedacht. Wir haben aufgegeben.« Hinter dem oberflächlichen Verstricken der Serie im Privaten, in Erzählungen von Streit, Liebeskummer und Schulstress schimmert stets das Politische durch.
Diese Art des (seriellen) Erzählens könnte also genau die sein, die unserer Zeit angemessen ist: Politische Erziehung geschieht hier wie nebenbei und nutzt auf kluge Weise die Möglichkeiten der digitalisierten Welt. Druck positioniert sich klar gegen einen Kulturpessimismus, der auf altbackenen, elitären Vorstellungen von Literatur beharrt statt sich neuen medialen Möglichkeiten zu öffnen, an denen alle teilhaben können. Sie zeigt so, wie politisch relevant Fiktion sein kann.