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Der Pyramiden Zauber

Am Puls der Zeit? Oder doch mehr Geschichte? Die zweite Abenteuergeschichte des Jugendbuchautors und Historikers Dirk Reinhardt lässt Anastasia Cruz samt Hund und neuen Freunden Kairo und die Frühgeschichte Ägyptens erkunden.

Von Rüdiger Brandis

Geschichte hat Konjunktur. Überall gibt es Mittelaltermärkte, Fernsehdokumentationen über eine vermeintliche Vergangenheit laufen jeden Abend im Fernsehen, Historienfilme sind beliebter denn je. Kurz gesagt: Geschichte verkauft sich zurzeit sehr gut. Dabei stellt sich jedoch die Frage, inwiefern bei all dieser Begeisterung die vermittelten Fakten überhaupt noch wissenschaftlich fassbar sind und inwiefern diese die Konsumenten überhaupt interessieren. In seiner Jugendbuchreihe Anastasia Cruz versucht Dirk Reinhardt die Begeisterung für Geschichte erfahrbar zu machen, ohne in ein historisches Setting zu entfliehen. Nun ist der zweite Band der Reihe mit dem Titel Die Bücher des Thot erschienen.

In diesem Band verschlägt es die Titelheldin Anastasia zusammen mit ihrem treuen Hund Schliemann nach Ägypten. Ihr Vater, ein Professor für Archäologie an der Universität Oxford, ist mit seiner Lebensgefährtin Eszter zu Ausgrabungen an der Cheops-Pyramide aufgebrochen und Anastasia darf sie begleiten. Einige Tage nach ihrer Ankunft in Kairo werden Anastasias Vater und Eszter jedoch festgenommen. Der Vorwurf: Sie sollen eine wertvolle Statuette vom Ausgrabungsgelände gestohlen haben. Anastasia ist von der Unschuld ihres Vater überzeugt. Sie flieht, um seine Unschuld zu beweisen.

In den Straßen Kairos begegnet sie dem Jungen Raschid, einem gewitzten Gauner, der zusammen mit einigen anderen Kindern und Jugendlichen auf dem Dach eines alten, heruntergekommenen Hotels lebt. Sie erzählen Anastasia von einem antiken Papyrus, den die Bande vor kurzem einem bekannten Hehler entwendet hat. Gerade als das Papyrus verkauft werden sollte, hatte Raschid zugeschlagen. Als Anastasia ein Foto des Käufers sieht, wird ihr vieles klar: Es ist Professor Zorak, der hinterhältige Gegenspieler ihres Vaters. Sie ist sich sicher, dass er hinter der Verhaftung steckt; die Papyrusrolle scheint die Erklärung für sein Verhalten zu sein. Sie zeigt einen Weg auf zu den legendären Büchern des Gottes Thot, dem niedergeschriebenen Speicherort der gesammelten Weisheit der Ägypter. Zusammen mit Raschid und seinen Freunden begibt Anastasia sich auf eine Suche tief in die Geschichte des antiken Ägyptens.

Gestatten: Jones, Indiana Jones

Jugendbuchromane mit abenteuerlichen Geschichten sind nicht selten. Spätestens mit den Harry Potter Büchern und der Verfilmung der Herr der Ringe-Saga entstand eine wahre Flut von Fantasy- und Abenteuerliteratur. Doch Dirk Reinhardts Geschichten um Anastasia Cruz sind anders und nicht leicht in eine Schublade zu stecken.

Buch-Info


Dirk Reinhardt
Anastasia Cruz – Die Bücher des Thot
Berlin: Berlin Verlag 2010
384 Seiten, 17,90 €

 
 
Seine Protagonistin Anastasia ist eine vielseitige Gestalt, die nicht einfach erklärt ist. Anastasias Mutter war eine Maja, die bei einem mysteriösen Unfall verschwand. Ihr Vater hingegen ist ein deutscher, in England lebender Forscher. Ihre Herkunft ist vielschichtig und spiegelt sich in ihrem vom Vater erlernten Rationalismus einerseits und ihrer unberechenbaren Leidenschaft für Abenteuer andererseits wider. Dies führt Anastasia immer wieder mit interessanten Charakteren zusammen, wie in Die Bücher des Thot mit Raschid und seinen Freunden. Auf dieser Grundlage nimmt die Geschichte immer wieder überraschende Wendungen, die Spannung garantieren.

Sie achtete nicht darauf, sondern versuchte sich noch stärker auf das Amulett zu konzentrieren. Und dann spürte sie etwas – zuerst schwach, aber langsam immer deutlicher. Das Auge war jetzt nicht mehr kühl, sondern wurde warm und schien plötzlich im Takt ihres Herzens zu pulsieren. Eine prickelnde Energie ging von ihm aus und durchdrang den ganzen Körper.

Der Roman ist so angelegt, dass er auf klassische Art und Weise einem steigenden Spannungsbogen zu einem großen Finale folgt. In Ägypten durchsucht Anastasia mit Raschid und seinen Freunden Gräber und Grabstätten, bis sie schließlich am Ende ein geheimes Labyrinth unter den Pyramiden und der Sphinx entdecken. Die Gestaltung dieser Ruinen steht in nichts den Kulissen eines Indiana Jones-Films nach. Und wenn Anastasia geduckt durch die Gänge schleicht, immer auf der Hut vor Fallen und auf der Suche nach Rätseln, ist man fast der Meinung, dass uns der bekannte Held mit Hut und Peitsche nur allzu oft über die Schulter schaut.

Sie wanderte mit den Fingern weiter hinauf und näherte sich der Sonnenscheibe. Als sie sie fast erreicht hatte, stockte sie. Da war etwas! Etwas, das sich anfühlte wie ein winziger, haarfeiner Riss im Stein. Als sie ihn entlangfuhr, merkte sie, dass er rund um die Sonne verlief. Die rote Scheibe schien ein eigener Stein zu sein, der nachträglich eingefügt worden war … Anastasia klopfte vorsichtig dagegen. Ein hohles Echo kam aus der Wand.

Geschichte, oder doch mehr Geschichten?

Die Frage ist bei all diesen Abenteuern, inwiefern die Realität dabei nicht doch etwas zu kurz kommt. Auf Dirk Reinhardts Website heißt es zu seinem Schreiben:

Als Jugendbuchautor sieht er es als seine Aufgabe, junge Menschen für die Literatur und das Lesen zu begeistern, indem er ihnen zum einen spannende und witzige Geschichten bietet, in denen sie sich und ihre Lebensrealität wiederfinden, zum anderen aber auch darüber hinausgeht, Einsichten vermittelt, Denkprozesse anregt, Dinge aus ungewohnten Perspektiven zeigt oder auf Probleme hinweist.

An der aktuellen Situation in Ägypten darf man Reinhardts Roman natürlich nicht messen. Er wird kaum erahnt haben, dass eine Revolution das 30 Jahre andauernde Regime von Hosni Mubarak beenden könnte. Dennoch wird der ägyptische Alltag der armen Jugendlichen und Kinder um Raschid trotz vielfältiger Kommentare bezüglich ihres harten Lebens zum Teil doch sehr romantisiert dargestellt.

Er führte Anastasia und Schliemann herum. Der Raum, den sie betreten hatten, war anscheinend so etwas wie das Wohnzimmer … Eindeutiger Mittelpunkt war ein riesiger Fernseher, an den mehrere Spielekonsolen angeschlossen waren … Am Abend versammelten sich die Bewohner des Wolkenreichs auf dem Dach und beobachteten den Sonnenuntergang.

Das zweite Problem stellt die Verarbeitung von historischen Fakten in Verbindung mit fiktiven Elementen dar. Dirk Reinhardt arbeitet als promovierter Historiker wunderbar historische Erkenntnisse und Erkenntnisprozesse in seine Geschichten ein. So klärt Anastasia Raschid über Ägyptens Frühgeschichte auf, während Raschid Anastasia etwas über die Entwicklung der Slums von Kairo erzählt. Doch Reinhardt wechselt schnell dazu, fiktive Elemente in real existierende Umstände zu integrieren. So gibt es das Grab, das Anastasia und ihre Freunde ziemlich zu Beginn der Geschichte erkunden, gar nicht wirklich. Diese Erfindungen garantieren zwar spannende, gut erzählte Abschnitte, erschweren einem jungen, unkundigen Leser jedoch, zwischen historisch fundierter und fiktiver Information zu unterscheiden.

Abgesehen von diesen kleinen Ungereimtheiten ist Die Bücher des Thot ein wunderbares Jugendbuch, das die Begeisterung von historischer Forschung zu vermitteln vermag, ohne dafür ein historisches Setting bemühen zu müssen. Es bleibt mit seiner neugierigen, jungen Hauptfigur so nah am Leser wie möglich, so dass sowohl Mädchen als auch Jungen sich mit ihr gut identifizieren können. Anastasia Cruz sticht durch seine geistreiche, fantasievolle Aufmachung aus der Menge der Abenteuerliteratur klar heraus.



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 Veröffentlicht am 26. März 2011
 Kategorie: Belletristik
 Mit freundlicher Genehmigung des Berlin Verlags.
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