Eva Illouz referierte im Rahmen der Wissenschaftsreihe des Göttinger Literaturherbstes über ihre Studie Warum Liebe endet. Im diesjährig ansonsten naturwissenschaftlich geprägten Ensemble repräsentierte die Soziologin als einzige Referentin die sozialwissenschaftliche Forschung und setzte auf Theorie anstatt Empirie.
Gastbeitrag von Pauline Höhlich vom Blog des Göttinger Instituts für Demokratieforschung
In Göttingen wurde nicht nur der diesjährige Literaturherbst zum insgesamt 28. Mal eingeläutet – wie sich bereits am Titel des Literaturfestivals ablesen lässt, findet es traditionellerweise zu Beginn des Herbstes statt. Das Fest der aktuellen Gegenwartsliteratur ist schon wieder vorbei, nicht jedoch die dunkle Jahreszeit. Mit den sanft herunterfallenden bunten Blättern und dem nassen, kalten, oftmals ungemütlichen Wetter hat die sogenannte Cuffing Season gerade erst begonnen.
Jene Saison also, wenn Kerzenschein und kuschelige Zweisamkeit auf der Couch ganz hoch im Kurs stehen. Laut dem online Urban Dictionary ist es die Zeit, in der Menschen »who would normally rather be single or promiscuous find themselves along with the rest of the world desiring to be, or by a serious relationship«. »Cuff« leitet sich von »to handcuff« ab, jemanden in Handschellen legen (Doppeldeutigkeit intendiert). Nun ist diese Wortschöpfung insofern konstruiert, als dass sie keine empirische Basis hat, dennoch sind das Internet und die sozialen Medien voll davon. Es ist eine weitere Evidenz dafür, dass unsere Kultur überquillt von Darstellungen und Geschichten der Liebe. Fest steht, die Liebe beschäftigt uns, ob nun mit oder ohne Handschellen, angekettet oder nicht.
»[D]ie große Meisterin einer Soziologie der Gefühle«Derartige Phänomene beobachtet und analysiert Eva Illouz, die sich seit über zwanzig Jahren aus einem soziologischen Blickwinkel mit der Liebe auseinandersetzt. Nach Warum Liebe weh tut erklärt sie uns nun, Warum Liebe endet, und gibt Antworten darauf, warum es mit der Liebe nicht so klappt, wie wir es gern hätten, obwohl wir durch ein Überangebot an Möglichkeiten vielleicht gar nicht so genau wissen, wen oder was wir da eigentlich wollen.
Im Rahmen der Reihe »Wissenschaft beim Göttinger Literaturherbst« der fünf Max-Planck-Institute und der Niedersächsischen Staats- und
Ihre ersten Worte galten der Ästhetik des Veranstaltungsraumes, von deren Grandiosität sie sich eingeschüchtert fühle. Diese überraschend geerdete und ehrfürchtige Würdigung kam aus dem Munde jener Frau, welche immerhin von der ZEIT zu einer von zwölf Intellektuellen gewählt wurde, die wahrscheinlich das Denken der Zukunft verändern werden. Sie hoffe, so Illouz mit ausdrucksstarker Stimme und abwechslungsreicher Betonung weiter, ihre Vorlesung werde der Schönheit dieses Ortes entsprechen. Kurzer Spoiler: Das tat sie und auch wieder nicht – je nach Betrachter*in. Nun hätte man erwarten können, dass der vorgetragene intellektuelle Inhalt eben wie das zu behandelnde Thema – eine Soziologie negativer Beziehungen in der Postmoderne – einen interessanten Kontrast zur Historizität des Raumes bilden würde. Tatsächlich aber spiegelte Eva Illouz’ Vortrag die im Saal enthaltene Melange aus dominierender historischer Tradition und zurückhaltend modernen Elementen wider. So stieg die Soziologin nach einer kurzen Einführung sogleich tief in soziologische Theorien ein und blieb dort den Großteil des Abends.
Eine Zeitreise der LiebeIllouz führte vornehmlich durch den ersten Teil bzw. das zweite Kapitel ihres Buches und in die Vergangenheit. Angefangen mit einem Ausschnitt aus Anthony Trollopes Roman An Old Man’s Love aus dem Jahre 1884, anhand dessen sie das zu jener Zeit typische Muster der romantischen Wahl nachzeichnete. Die Entscheidung einer Frau, das Liebeswerben eines Mannes anzunehmen und ihn zu heiraten – so und nicht anders gestaltete sich die heterosexuelle Ordnung und Rollenverteilung – basierte auf gesellschaftlichen Normen, die unmittelbar mit ihren eigenen Gefühlen verknüpft waren. Es folgte ein langes Zitat von Emile Durkheim sowie eine ausführliche Erläuterung der auf ihm beruhenden Theorie des Single Man und des anomischen Begehrens. Das von Durkheim angebotene Programm emotionaler Entscheidungen und einer Form des Begehrens, die rastlos und nicht zu befriedigenden sei, ist und sei wesentlich für ihre eigene Studie. Bereits hier kündigte sich also an, was Illouz Lesung auszeichnete: Sie hielt eine theorielastige Soziologie-Vorlesung.
Erst gegen Ende ihres Vortrags kam die Professorin in der Gegenwart an und zeigte nun mit Bildern – die versehentlich in der Präsentation bereits zu früh aufgeworfen wurden, was sie gekonnt mit einem das Publikum erheiternden Spoiler-Alert-Witz wett machte – dass die Gegenwart seit der sexuellen Befreiung voll von sexuellen Inhalten ist. Hier griff die Wissenschaftlerin Thesen aus ihren vorherigen Werken, Der Konsum der Romantik und Die neue Liebesordnung auf: Heute finden Romantik und Sex durch kommerzialisierte Angebote unter anderem im Gewand eines Rendezvous im Restaurant, einem Spaziergang am Urlaubsstrand oder mithilfe von Sexspielzeug als Konsumakte statt. Zuletzt schnitt sie noch aktuelle Liebesromane an, die die Soziologin der Gefühle zu ihrem eigenen Leidwesen, wie sie sagte, zu Forschungszwecken gelesen hatte. An einem vorgelesenen Beispiel verdeutlichte Illouz, dass casual relationships sich heutzutage oftmals dadurch auszeichneten, dass es keinen feststehenden Begriff, keine etablierte Bezeichnung für diese Beziehungs- oder eben Nichtbeziehungsform gäbe und damit einhergehend auch kein gesellschaftlich institutionalisiertes Regelwerk. Zudem seien sie eine Ausdrucksform dafür, keine endgültige Wahl zu treffen, sich nicht festzulegen.
Das empirische Präsens war (zu) wenig präsentWer Illouz bisher nicht kannte, wird mitunter von dem eher überspitzten Buchtitel Warum Liebe endet fehlgeleitet und am Ende wahrscheinlich enttäuscht worden sein. Diese eigentliche Frage, die sicher
Dass die Aktualität in der Lesung zu kurz kam, war auch an der Ausrichtung der Publikumsfragen zu erkennen. Diese fokussierten sich auf Polyamorie, Incels und aktuelle Scheidungsraten bzw. dem daraus abzuleitenden brüchigen Bund der Ehe. Hierauf hatte die Soziologin plausible wie faszinierend neue Antworten: Polyamourös zu l(i)eben, sei eine weitere Form, keine finale Entscheidung für ein Liebesobjekt zu treffen. Incels wiederum, um es mit Illouz eigenen Worten im Schlusskapitel von Warum Liebe endet (S. 337) zu sagen, fühlen sich »von einer Gesellschaftsordnung ausgeschlossen, in der Sexualität Status verleiht und gleichbedeutend mit dem guten Leben sowie einer normativen Männlichkeit ist«.
Wissenschafft schafft Wissen für […]Nun ist die Studie Warum Liebe endet, wie man es von Eva Illouz gewohnt ist, sehr voraussetzungsreich, theoriegeladen und komplex – kurz, eine durch und durch hochspannende sowie edukative Schrift, aber gerade deshalb selbst für studierte Soziolog*innen keine leichte Kost. Dieses galt gleichermaßen für den Abend. Ihre Vorlesung wäre für einen Soziologie-Kongress, eine entsprechende Tagung oder im Rahmen einer Lehrveranstaltung für Soziologiestudierende passend und überaus interessant gewesen; nicht unbedingt jedoch für eine Veranstaltung bzw. Programmreihe, die auf eine breitere und nicht dezidiert soziologisch gebildete Zuhörer*innenschaft ausgerichtet ist. Für einige Besucher*innen, insbesondere älteren Semesters (man sah doch eine beachtliche Menge weißes Haar), kamen Verständnisprobleme aufgrund der englischen Sprache sicher erschwerend hinzu.
In dieser Hinsicht ist erstens diskutabel, welche Rolle das Label Wissenschaftsreihe im Göttinger Literaturherbst spielt und für welche Art Publikum es gedacht ist. Sollen Zuhörer*innen ohne akademischen Abschluss ebenfalls ganz allgemein inkludiert sein? Zielt die Reihe eher auf ein akademisches, aber dafür interdisziplinär zusammengesetztes Publikum? Oder aber sind die Angebote aus verschiedenen Disziplinen in einer akademischen Studierendenstadt für die jeweils Angehörigen der Disziplinen? Zweitens schließt sich hieran die grundsätzliche Frage der Offenheit bzw. Geschlossenheit der Wissenschaft per se an. Also, für wen und welchen Zweck werden wissenschaftliche Erkenntnisse eigentlich produziert und anschließend zugänglich gemacht?
Nichtsdestotrotz: Für Soziologie-Liebhaber*innen hat die Lesung durchaus Lust auf mehr bereitet – und dieses Begehren ist eher nicht anomisch, sondern über die Lektüre ihres Buches umfänglich zu befriedigen. Und so war das wahrscheinlich auch von der Autorin selbst gedacht.