Roland Schimmelpfennigs neustes Stück Ein Riss durch die Welt zeigt deutlich, dass etwas passieren muss, denn ansonst rumst es. Der bedrohliche Knall hallte noch lange nach. Ist die Welt noch zu retten?
Von unserer Münchner Theaterkorrespondentin Anika Tasche
Er holt aus, hat das Glas noch in der Hand und zertrümmert es an der Wand aus phenolbeschichteten Platten. Ein lauter Knall geht durch den so noblen Saal des Cuvilliéstheaters. Was gleich zu Beginn der Uraufführung von Roland Schimmelpfennigs Ein Riss durch die Welt geschah, ließ bereits eine Vorahnung auf den Verlauf des Stücks zu. Und es sollte nicht das letzte Glas gewesen sein, nicht die letzte Sache, die an diesem Abend zu Bruch ging. Diese Szene wie auch viele Dialoge wiederholten sich immer wieder, wurden zu einer Art Dauerschleife, die jedoch immer bedrohlicher wirkte.
Das Konzept des ScheiternsDass der Abend zum Scheitern verdammt war, legte schon die Konstellation nahe: Der reiche Unternehmer Tom (Oliver Stokowski) und seine Ehefrau sowie Ex-Assistentin Sue (Carolin Conrad) empfingen in ihrem überaus luxuriösen Anwesen die junge Künstlerin und Tochter von Migranten, Sophia (Lisa Stiegler), und deren Assistenten und zugleich Geliebten Jared (Benito Bause). Grund der Einladung war Sophias neustes Projekt, für das sie Tom als Sponsor gewinnen wollte. Dazu fuhr das junge Paar raus auf das moderne und noble Landgut. Das minimalistische Bühnenbild von Karoly Risz spiegelte in seiner Einfachheit den Reichtum des Unternehmers wider. Eine schwarze Wand dominierte den ansonsten leeren Bühnenraum. Hinzu kamen vier edle Stühle, die meistens am vorderen Bühnenrand platziert waren und auf denen die Schauspieler*innen immer wieder Platz nahmen. Dies wirkte wie eine Performanz – eben diejenige, die eine Einladung in guter Gesellschaft verlangte.
Was wie eine gängige, sogenannte Zimmerschlacht konzipiert war, nahm im Lauf der Handlung ein apokalyptisches Ausmaß an. Doch die Handlung allein, die ja sehr überschaubar war, trug diese Produktion nicht. Vielmehr waren es Schimmelpfennigs Text und die Konzeption seines Stücks, die die Inszenierung spannend machten. So äußert Tom gleich zu Beginn des Stücks:
Aber Sie müssen zugeben, der Ort ist perfekt, einen besseren Ort, um sich den Weltuntergang vorzustellen, kann man sich kaum denken.
Hervorzuheben ist, dass der Großteil der Aussagen über die Figuren Fremdcharakterisierungen waren, sodass sich immer eine subjektive Färbung ergab. Wenn Sue mehrfach wiederholte, dass Sophia und Jared von »Dschungel«, »Zoo«, aber am meisten von »Ghetto« sprachen, wenn sie von ihrem Wohn- und Herkunftsort redeten, so sagt dies nicht nur etwas über das junge Künstlerpaar aus, sondern auch über die herablassende Art der Unternehmergattin. Und gleich der erste Monolog der Haushälterin Maria (Cathrin Störmer) beeinflusste die Rezeption maßgeblich: Maria berichtete davon, dass die Besucher sich nicht wie die üblichen Gäste des Hauses über Gemälde und Surfbretter an der Wand, die Aussicht auf den Park und die Rehe in eben diesem unterhielten, sondern immer wieder über einen mysteriösen »Fluss aus Blut«. Doch was sollte dieser sein? Der Text schaffte es immer wieder, durch solche Informationsdefizite des Publikums gegenüber den Figuren Spannung aufzubauen. Ebenso herrschte aber auch viel Stille, wie die Schauspieler*innen immer wieder betonten: »Dieses entsetzliche Schweigen«. Und das Ensemble verstand es, dieses Schweigen in Gänze auszureizen, nahezu unerträglich zu machen.
Die Rückkehr der PlagenHinzu kamen Träume und Ereignisse, die an die zehn Plagen des Alten Testamentes erinnerten. Sue träumte immerfort, dass ihr eine Kröte während
Der Riss, der sich durch die unterschiedlichen sozialen Herkünfte der Figuren zeigte, war zwar der bekannte und auch im Theater immer wieder thematisierte Riss durch die Gesellschaft. Doch hier ging es nicht um die ›kleine‹ Gesellschaft, sondern um die gesamte Welt – wie der Titel schon verriet. Die Plagen ließen auch Rückschlüsse auf die Umweltkatastrophen zu, auf die wir uns dank Klimawandel gefasst machen dürfen. Ein Stück, das weitere Wellen schlug, als nur auf soziale Unterschiede hinzuweisen.
Darüber hinaus rief die Live-Musik von Matthias Krieg immer wieder die Bedrohlichkeit, aber auch den Riss hervor, wenn zwischen spannungsaufbauenden Melodien und dem Klingen eines Windspiels gewechselt wurde.
Die Spürbarkeit des KnallsDer Riss durch die Welt ist eine Produktion, bei der viele Szenen durch ihre ständige Wiederholung und ihr scheinbares Nie-Enden-Wollen unerträglich wurden. Aber genau das machte diese Inszenierung so besonders reizvoll. Der große Knall war stets spürbar. Schwer zu beurteilen, ob es auch die anderen Zuschauer*innen so empfanden, die, wie es für das Cuvilliéstheater nicht verwunderlich, gewohnt schick – und nicht im Dirndl wie beispielsweise beim Teamtheater Tankstelle – ins Haus strömten. Haben sie die Gefahr ebenso gefühlt, auch wenn sie sich eine nette Altbauwohnung in den besten Stadtteilen Münchens leisten können? Wie bedrohlich der Riss durch die Welt ist, muss jede*r Besucher*in wohl für sich selbst entscheiden. Für mich steht fest, dass dieser Abend eine ganz besondere Wirkung auf mich hatte. Mal sehen, ob ich ein ähnliches Erlebnis noch einmal wahrnehmen kann. Denn der Vorhang fällt erst, wenn ich mehr gesehen habe.