Ein Leben lang geheim: Die Liebe zwischen Paul Celan und Ingeborg Bachmann, nun zum ersten Mal umfangreich vom renommierten Literaturkritiker Helmut Böttiger analysiert.
Von Lea Hausmann
»Ich liebe Dich und ich will Dich nicht lieben, es ist zu viel und zu schwer; aber ich liebe Dich vor allem – […] auch auf die Gefahr hin, dass du es nicht mehr hörst oder nicht mehr hören willst.« Dieses Geständnis Ingeborg Bachmanns aus dem Sommer 1951 beschreibt die komplizierte, fast schon mythische Liebesgeschichte zwischen ihr und Paul Celan. Die beiden schrieben Literaturgeschichte auf zwei Ebenen – einerseits mit ihren Werken selbst, andererseits mit den darin enthaltenen Bezügen aufeinander. Eine eigene Welt in Bildern und Zitaten des anderen ließen sie entstehen, so arbeitet es der Autor Helmut Böttiger in seinem neuen Buch Wir sagen uns Dunkles heraus. Der Titel zitiert Celans Gedicht Corona, welches in Wien verfasst wurde; er und Bachmann verliebten sich dort ineinander und verbrachten sechs Wochen zusammen. Das Gedicht hält diese Liebe fest, umschreibt sie in Motiven des Rauschhaften und Statischen, immer im Spiel mit der Vergänglichkeit. Eine eigene Sphäre im Dunklen, Zeitlosen, Unbewussten wird erschaffen. Celan beschreibt sich und Bachmann als »Mohn und Gedächtnis«1, als »Verbannter und Verlorene«, die beieinander eine Heimat finden. Für ein langfristiges Zusammenleben schienen sie sich trotz der engen lyrischen Verbindung aber zu fremd gewesen zu sein. Das erinnert an die zwei Königskinder aus dem Volkslied, die trotz aller Bemühungen nicht zueinanderkommen konnten. Auch Böttiger greift diesen Bezug im letzten Satz seines Buches auf.
Celan stammte aus Czernowitz, war Jude, seine Eltern fielen dem NS-Regime zum Opfer. Bachmann wurde in Klagenfurt im Drei-Länder-Eck Deutschland-Slowenien-Italien geboren, wo die NSDAP, nicht zuletzt von ihrem Vater, bejubelt wurde. Diese Differenz war der erste von weiteren Konflikten zwischen den beiden, die emotional stark aufgeladen waren. Nach den rauschhaften Wochen in Wien funktionierte das Zusammenleben fast zweieinhalb Jahre später in Paris nicht. Bachmann sprach davon, dass sie sich »aus unbekannten und dämonischen Gründen […] gegenseitig die Luft wegnehmen«. Nach ihrem Paris-Aufenthalt wurde sie im Umgang mit Celan vorsichtiger.
Böttiger wertete den Nachlass Bachmanns und Celans aus, er analysierte aufschlussreich und verständlich die Briefwechsel der beiden, die wichtigsten Gedichte im Zusammenhang ihrer Beziehung sowie Bachmanns Prosa. Als erster erhielt Böttiger von den Erben Bachmanns Einblick in ihre Briefe an Ilse Aichinger. Zusätzlich sprach er mit ZeitgenossInnen wie Günter Grass oder Milo Dor und berücksichtigte auch Verschriftlichungen Max Frischs oder Brigitta Eisenreichs, welche ganze neun Jahre Celans Geliebte war.
Böttigers Stil ist sachlich, dennoch schafft er es durch dynamische Adjektive, lebendige Verben und einen Aufbau, der weit über eine trockene Faktenaufzählung hinausgeht, sein Buch faszinierend zu gestalten. Er beginnt mit der Zeit in Wien 1948, fokussiert die jeweilige Herkunft Celans und Bachmanns und betrachtet ihr Leben auch im Folgenden abwechselnd. So entsteht ein Spannungsbogen, der LeserInnen immer tiefer in diese Liebesbeziehung eintauchen lässt. Er gibt zudem einen Einblick in die Psyche der beiden Schriftsteller, in die historischen Verhältnisse und in den Literaturbetrieb der Bundesrepublik. Letzteres reiht sich ein in Böttigers gesamtliterarische Forschung mit dem Schwerpunkt Nachkriegs- sowie Gegenwartsliteratur: Der Autor verfasste beispielsweise Die Gruppe 47. Als die deutsche Literatur Geschichte schrieb, wofür er 2013 den Preis der Leipziger Buchmesse erhielt, als Kurator agierte er außerdem für die von 2009 bis 2010 laufende Ausstellung »Doppelleben. Literarische Szenen aus Nachkriegsdeutschland« und verfasste das Begleitbuch.
Den Roman Malina (1971) aus Bachmanns Prosazyklus Todesarten liest Böttiger autobiographisch, demnach datiert Bachmann die »Zerstörung ihrer Person« auf die Jahre zwischen 1944 und 1951. Protagonistin ist eine weibliche Ich-Erzählerin mit männlicher Zweit-Persönlichkeit, die sie zum Dichten, Denken und Überleben braucht. Im Roman sind viele Verweise auf Celan zu finden, von der Identifikation mit ihm bis zur Akzeptanz der Unmöglichkeit der Liebe. Am Ende stirbt das weibliche Ich und nur die männliche Abspaltung überlebt. Der letzte Satz »Es war Mord« zeugt laut Böttiger vom herrschenden Patriarchat – ein Aufhänger für den umstrittenen feministischen Ansatz in der Bachmann-Forschung. Böttiger arbeitet aber breiter gefächert, er verlegt sich nicht auf die Glorifizierung Bachmanns durch ihren schweren Stand als Frau in der Kunst, ebenso wenig auf die Verurteilung Celans als denjenigen, der Bachmann mit seiner Paranoia und den damit verbundenen Schikanen zugrunde richtete. Damit stellt er sich in eine Reihe mit Ina Hartwig, die Ende letzten Jahres eine Bachmann-Biographie veröffentlichte. Auch sie sagt, dass man es sich mit der Verurteilung der Männer in Bachmanns Leben nicht so einfach machen könne.2
Wer nach mehr Details beispielsweise bezüglich der Krankheitsgeschichte und des ominösen Todes Bachmanns sucht, ist bei Hartwig etwas besser aufgehoben – Böttiger ist allerdings nicht vorzuwerfen, dass er bei dieser Fülle an Informationen in seinem Buch nicht immer tiefer gehen kann, denn die Analyse dieser »Königskinder« der deutschen Literatur bietet schon einiges.