Sich streng auf einem Podium den Fragen eines*r Moderators*in stellen? Das käme für einen wie Frank Schätzing wohl kaum infrage. In die Stadthalle bringt er für den Literaturherbst am 16. Oktober: einen Gitarristen, seinen eReader, eine Diashow, ein Videokonzept – und ein Wasserglas!
Von Tanita Kraaz
Eingangs ist da nur die Leinwand. Projiziert werden szenische Landschaftsaufnahmen aus Nord-Ostkalifornien. Eine sanfte Stimme lullt das Publikum in die Idylle ein, während Markus Reuter mit seinen randomisierten Gitarren-Loops den passenden Klangteppich schafft. Die Genrevorgabe ist klar: Die Idylle wird durch einen unwahrscheinlichen Todesfall erschüttert. Das ist Schätzings Einsatz.
Spätestens seit die Urlaubslektüre Der Schwarm 2004 schicksalhaft in die Naturkatastrophe um das Erdbeben im Indischen Ozean spielte, hat sich der Schriftsteller den Rang des Star-Autors erstritten. Seiner Selbstaussage zufolge habe sein Buch damals mindestens sechzig Lesern das Leben gerettet. Das Genre des Thrillers ist nach wie vor prädestiniert für diesen emphatischen Mahnungscharakter mit Breitenwirkung. Spannungsgeladene Verflechtungen von Politik, Wissenschaft, Ökologie und Gesellschaft wirken im besten Falle als Edutainment. Genau das ist auch das Konzept von Schätzings neuestem Roman Die Tyrannei des Schmetterlings.
Mit dem eReader als Taschenlampe – eine Gruselgeschichte
Bedacht schreitet der Autor auf die Bühne, in der Hand lediglich seinen eReader, der im abgedunkelten Saal sein Gesicht von unten beleuchtet. Spannung und Pathos sind die einzigen Modulationen, die seine Lesestimme zu kennen scheint, sodass erst die letztliche Publikumsbegrüßung die Zuhörer*innen aus ihrer andächtigen bis ermüdeten Trance weckt. – Es folgt eine kultivierte Diashow. »Hier, liebes Publikum, sehen Sie mich mit meinem Freund und Verleger Helge im Sierra County«, berichtet Schätzing über seine Recherche-/Urlaubsreise, während hinter ihm Land und Leute der nur scheinbar hinterwäldlerischen Gegend gezeigt werden. Als Kontrast zeigt er das Silicon Valley. Vorzüge und Nachteile der unterschiedlichen Regionen wiegt er ab und elaboriert im Plauderton soziologische Begebenheiten und technologischen Fortschritt. So kommt er auf A.R.E.S. Das ist die künstliche Intelligenz in seinem Buch.
Natürlich hat er sie »mitgebracht«. Für seine penibel einstudierte Performance wird sie (dargestellt von Nora Waldstätten) als Video eingespielt. Warum sie so schön sei? – question-talkt Schätzing – Sie wäre ja eh irgendwann so intelligent geworden, ihren Avatar ansprechend aussehen zu lassen. Warum sie schulterfrei im Porträtformat gefilmt wurde, erklärt er nicht. Ebenso wenig erklärt er die abstrakt-wabernden Animationen im Bildhintergrund. Im Gespräch mit der KI lässt Schätzing sein Publikum deren Lernfähigkeit nachvollziehen. Die Grundlage für seinen Roman sind dabei die mit wachsender Intelligenz der Systeme unausweichlich kollidierenden Robotergesetze, die Isaac Asimov 1942 für seine Kurzgeschichte Astounding aufgestellt hat. Dass die drei Gesetze hierarchisch angeordnet erdacht sind und im SciFi-Genre mehrfach erweitert wurden, lässt er in seinen ethischen Ausführungen außer Acht: Die Performance endet mit der drohenden Zerstörung der Menschheit durch die zu Bewusstsein gekommene KI.
Das beseelte Publikum
Dass die Science-Fiction-Elemente im Buch in einem Parallelwelt-Plot kulminieren, mag eine unnötig kühne Entscheidung gewesen sein. Ob das Angst-stimulierende Thrillergenre trotz realweltlichem Boom der Verschwörungstheorien wirklich sexy bleibt, sei ebenso dahingestellt. Nichtsdestoweniger liefert Schätzing an diesem Abend mit nuancierter Selbstinszenierung und anhaltender Erzählfreude knapp zwei Stunden solides und zugängliches Edutainment ab.