Die Schriftstellerin Marjana Gaponenko kommt aus der Ukraine und schreibt auf Deutsch. Im Mai 2013 las die diesjährige Chamisso-Preisträgerin im Literarischen Zentrum aus ihrem aktuellen Roman Wer ist Martha?. Im Anschluss sprach sie mit LitLog über das Schreiben in einer Fremdsprache, über das Leben und den Tod und ihr besonderes Verhältnis zur deutschen Sprache.
Von Lilly Günthner und Isabel Keinert
Wir sitzen mit Marjana Gaponenko auf den hinteren Stuhlreihen des Literarischen Zentrums. Im Hintergrund läuft Musik, Wein steht schon bereit. Es ist der 20. Juni, Lesung und Gespräch über ihren aktuellen Roman Wer ist Martha? sind gerade vorbei. Als Teil der Reihe »Das Alter in der Literatur« hat Marjana Gaponenko von ihrem Protagonisten erzählt, dem 96 – jährigen Vogelforscher Luka Lewadski, der seine letzten Tage in einem Wiener Nobelhotel verbringt und es hier noch einmal ordentlich krachen lässt. Wir sprechen mit der Autorin über ihren Roman, das Schreiben auf Deutsch und was aus ihr geworden wäre, wenn sie das Schreiben nicht für sich entdeckt hätte.
L. G.+ I. K.: Frau Gaponenko, Sie sind gerade auf Lesereise. Auch Lewadski, der Protagonist Ihres Romans hat eine Reise angetreten. Was ist das für eine Reise?
M. G.: Lewadskis Reise führt ihn zurück in seine Kindheit, in die Stadt seiner Mutter. Seine Mutter kommt aus Wien, er hat dort ein paar Jahre zwischen den Kriegen verbracht. Das war eine wunderschöne Zeit und jetzt, da es ihm nicht so gut geht, da er bis auf die Knochen buchstäblich erschüttert wurde, will er den Kreis schließen, er möchte da sterben, wo es ihm gut ging, wo er glücklich war, wo er gelernt hat, die Schönheit zu erkennen und zu schätzen.
Lewadski weiß, dass er bald sterben wird. Auch nach der Todesnachricht scheint er das Leben aber zu genießen. Kann man sagen, dass Ihr Roman zwar vom Tod handelt, aber eigentlich vom Leben erzählt?
Mein Roman ist eine Hommage an das Leben. Der Tod gehört einfach dazu und macht das Leben so wunderschön. Ich glaube, würden wir ewig leben, würden wir uns für gar nichts begeistern. Wir würden stumpf und träge, es gäbe einfach keinen Fortschritt. Der Roman besingt das Leben. In jeder Form, auch in seiner hässlichsten, schwierigsten und schwersten Form, auch mitten im Tod. Darum ging es mir. Ich habe über etwas geschrieben, was ich gar nicht kenne. Ich weiß nicht, wie es sich anfühlt, krebskrank zu sein. Wenn man weiß, jetzt muss ich sterben und man die Zeit hat, zu realisieren, dass es jetzt zu Ende geht. Das ist ein Geschenk einerseits, man wächst trotzdem, etwas wächst in uns, in dem Fall Krebs (lacht) und man wächst mitten im Leben noch eine Handbreit.
Lewadski ist Ornithologe. Vögel spielen im gesamten Roman eine wichtige Rolle. Das Fachwissen haben Sie sich in Recherchearbeit angeeignet. Gehört das Recherchieren für Sie immer zum Schreibprozess?
Es ist einfach so, dass ich mit meinen Figuren wachsen will. Ich will auch etwas Neues erfahren, will mich weiterbilden. Ich mache mir selbst auch ein Geschenk, ja ich habe mir diese Vögel und die Begeisterung für die Natur einfach geschenkt, weil Lewadski mir diese Geschenke macht. Die Recherche ist ganz wichtig. Viele sagen, Recherche würde die Literatur töten. Das habe ich erst letzte Woche gehört, von einem Kollegen, alles Quatsch. Man kann doch nicht alles wissen. Wenn man allwissend ist, dann braucht man überhaupt keine Bücher zu schreiben. Ich glaube an die gute alte Recherche, die sehr poetisch sein kann. Diese wissenschaftlich anmutenden oder klingenden Namen von den ganzen verschiedenen Vögeln, auch in Lateinischer Sprache, sie klingen wie Poesie. Nach diesem Buch habe ich mich einfach zu einem anderen Menschen gemacht, ich habe mich verwandelt. Ich kann jetzt so viele Vögel auseinander halten, nicht alle, aber viele, sehr viele mitteleuropäische Vögel.
Wenn Sie also ein bestimmtes Interesse an etwas haben oder wecken wollen, beschäftigen Sie sich in ihrer Literatur damit? Erschaffen also beispielsweise einen Protagonisten, der sich für Vögel interessiert?
Ich bin ein Blatt Papier, für mich, in meiner Vorstellung, ein ganz weißes Blatt Papier, bevor es mit dem Buch losgeht. Und dann erschaffe ich mir selbst ein Interesse. Ich würde mich, glaube ich, freiwillig nicht für Turbinenbau interessieren, aber man weiß es nicht. Ich habe mich auch für Vögel gar nicht interessiert, weil es mir bis vor Kurzem so fremd war; die Natur, Tiere, das hat mich nie interessiert und dann habe ich einfach beschlossen, mich damit zu beschäftigen, mich für dieses Thema zu begeistern.
Sie haben die Entdeckung der deutschen Sprache einmal als eine Art Erweckungserlebnis beschrieben. Hatten Sie von Anfang an das Bedürfnis literarisch zu schreiben?
Ich habe zuerst die Sprache gelernt und dabei habe ich auch Gedichte und Kurzgeschichten geschrieben. Aber das war nichts Besonderes für mich, das war einfach ein Teil der Übung, so habe ich die Sprache gelernt und diesem Prozess fehlt jegliche Poesie. Da war nichts, womit ich die Literatur heutzutage verbinde, das war einfach eine Übung. Und dann irgendwann hatte ich das Gefühl, dass es unwahrscheinlich viel Spaß macht, etwas zu erfinden, was es gar nicht gibt, ein bisschen in diesen Welten zu verweilen und zu leben, zu wandern. Nach ein paar Jahren, als ich wirklich das Gefühl hatte, ich bin sattelfest und ich kann die Sprache, ich will mich in dieser Sprache ausdrücken, da empfand ich es als wunderbar, wenn man dann auch einen längeren Text schreibt. Das kam später, es kam nicht sofort.
Sie hatten aber nie das Bedürfnis, in Ihrer Muttersprache literarisch zu schreiben?
Nein. Ich habe mich als Teenager oder als Kind für gar nichts interessiert. Das war eine schrecklich unangenehme Zeit. Es war eine Zeit des Suchens und dann kam die deutsche Sprache wie gerufen. Ich war einfach völlig neben der Kappe, sagen wir mal so, ziemlich lange sogar, ich glaub drei, vier Jahre, die wirklich wichtig sind. Die habe ich einfach verträumt, was aber gut war. Im Nachhinein weiß ich, dass es gar nicht so schlecht war, dieses Rauschen, Funkstille… Dann kam einfach die Sprache auf mich zu. Es hätte auch Englisch oder Französisch sein können.
Die damit verbundene Kultur und Geschichte. Über die deutsche Sprache habe ich das Abendland kennengelernt und sie war mein Zugang zu Deutschland und dem 19. Jahrhundert. Zu diesem Problem der Nationalität und dann unserer Geschichte, auch unserer gemeinsamen Geschichte, dem Zweiten Weltkrieg, dem Ersten Weltkrieg. Es ist ein wichtiges Land für mich. Die Welt interessiert mich nicht so richtig, also ich will die Welt nie bereisen. Was mich interessiert, das ist die Sprache.
Ist dann trotzdem in Ihrer Literatur noch etwas Ukrainisches und kann das im Deutschen überhaupt ausgedrückt werden?
Natürlich, alles, ja. Vor allem das Kokette und das Lustige, das auch übertrieben wird. Ich übertreibe gern ein bisschen, nur weil ich weiß, dass es lustig ist. Das ist eigentlich eine richtig osteuropäische Attitüde, glaube ich. Ich wusste schon, dass es eine ukrainische Art oder Unart ist, dass man alles grotesk erscheinen lässt, auch die wichtigsten, die schönsten Dinge im Leben. Ich kann zum Beispiel nicht ernsthaft über die Liebe schreiben. Es ist so eine Art Zwang, dass man alles verdreht, dass man alles albern erscheinen lassen will. Da, wo es wirklich ernst wird und es um die Wurst geht, da muss ich albern sein. Ich weiß nicht, woher das kommt. Wenn ein Psychologe vor mir sitzen würde, könnte er mir erzählen, »okay Kind, du hast ein Trauma gehabt und dir fehlt die Liebe, es gibt für alles eine Erklärung.« Aber wenn ich mich selbst analysiere, weiß ich, dass ich ukrainisch bin, wenn ich nicht in der Lage bin, über die Liebe zu schreiben oder zu reden. Die Deutschen können das übrigens. Die sind zwar in meinen Augen nicht so lustig, was die Literatur angeht, können aber ganz groß über die Liebe und die ganz ernsten Dinge im Leben schreiben.
Wie war es, nach Deutschland zu kommen, war das eine große Umstellung? Den Deutschen wird ja beispielsweise eine kühle Mentalität nachgesagt.
Aber das weiß ich ja – (lacht) damit kann man mich nicht überraschen. Also das sind alles so Vorurteile, die ganz wichtig sind – sie bilden so eine Art Gerüst in den Augen der anderen. Vorurteile kann man nicht abschaffen, soll man gar nicht abschaffen. Sie sind Bausteine und damit kann man auch Brücken bauen. Man kann auch mit Bausteinen um sich werfen, man kann sie zerpulvern, alles Mögliche kann man mit ihnen machen.
Was meinen Sie, wenn Sie nicht Autorin geworden wären, wie wäre ihr Leben weiter verlaufen?
Als ich 14 war habe ich so einen Test gemacht, wofür ich eigentlich tauge, was für eine Art Beruf mir Spaß machen würde. Und der Computer hat mir zwei Optionen ausgespuckt. Also ich hab es irgendwo bei mir zuhause liegen – zwei Optionen: Floristin oder Kosmetikerin. Das wäre aus mir geworden (lacht) – wobei ich viel lieber Floristin geworden wäre. Ich mag Pflanzen, ich mag Bäume – ich wäre aber wahrscheinlich viel lieber Försterin oder Forstmanagerin geworden. Das wäre auch wirklich was für mich. Oder Schreinerin, etwas Handwerkliches. Etwas, was man selbst mit der Hand erschaffen kann, nicht nur mit dem Computer. Etwas, was übrig bleibt – so ein Stuhl zum Beispiel. Ein Stuhl ist für mich ein Phänomen.