Wie fühlt man sich als Fremder in einem fremden Land? Und wie als Fremder im eigenen Land? Shida Bazyar beschreibt diese eigenartige Konstellation in ihrem Debütroman Nachts ist es leise in Teheran. Die Figuren dieser Familiengeschichte stehen zwischen zwei Generationen, zwei Kulturen, zwei Ländern: Iran und Deutschland.
Von Laura Retmann
Erst Hoffnung, dann Verfolgung1979. In Iran kommt die Revolution gegen das verhasste Regierungssystem zu ihrem Höhepunkt. Der Schah wird gestürzt. Nun kämpft der junge Kommunist Behsad Hedayat an der Seite seiner Freunde und Gleichgesinnten für den Aufbau einer neuen, sozialistischen Staatsordnung. »Die Revolution wird jede Woche älter, und wir lieben dieses Land, mehr noch als zuvor.« Doch die religiösen Oppositionellen setzen sich durch. Unter Ayatollah Khomeini entsteht ein religiös fanatisches Regime, das in Behsads Augen noch mehr Unterdrückung und Verfolgung ausübt, als das bisherige. Kommunistische Kämpfer werden verhaftet, gefoltert, getötet. Behsad, der sich in seine schöne Mitstreiterin Nahid verliebt hat, gerät in Lebensgefahr.
Shida Bazyar versetzt sich gekonnt in die chaotische Zeit der Revolution und schildert detailliert und unaufgeregt den Zwiespalt von politischem Kampf und erster Liebe.
Der zweite Teil des Romans wird zehn Jahre später aus der Sicht von Nahid erzählt. Sie ist inzwischen mit Behsad und zwei kleinen Kindern ins Exil nach Deutschland geflohen und beschreibt das neue Leben, die ungewohnten Sitten und das Ankommen in der Fremde. Dabei sind ihre Bemühungen um ein Ankommen in diesem neuen Leben stets von dem Gedanken begleitet, bald wieder in den Iran zurückzukehren. Doch eine Rückkehr liegt in weiter Ferne. Nichts hat sich an der gefährlichen Lage in Iran verändert und die Kinder Laleh und Morad sind, anders als ihre Eltern, längst in Deutschland angekommen. Und während die deutschen Bekannten sich nach Tschernobyl Gedanken über Gemüse und gesunde Luft machen, erreichen die junge Familie Nachrichten aus Iran über verschwundene Freunde, Freunde, die verhaftet und in den Gefängnissen Teherans umgebracht werden.
Der letzte Teil des Buches spielt 2009 und wird von Sohn Morad erzählt. Etwas halbherzig beteiligt er sich an den Protesten der deutschen Studenten gegen Studiengebühren, während es eigentlich der Liebeskummer von Kumpel Tobi ist, der ihn beschäftigt. Aber auch die eigenen Eltern sind Gegenstand von Morads Gedanken. Er findet, dass sie inzwischen viel zu unkritisch und angepasst sind: »dass man mich am Bahnhof ständig angehalten und kontrolliert hat und dass Laleh in keine Clubs mehr wollte, weil sie die Einzige unter ihren Freundinnen war, deren Handtasche immer ausgeleert wurde, das fanden meine Eltern im Grunde auch in Ordnung. Weil es doch zur eigenen Sicherheit ist.« Die Revolution ist inzwischen im Zeitalter der Sozialen Medien angekommen. Als aus dem Iran von neuen Protestbewegungen zu hören ist, wird sein Interesse geweckt und er verfolgt die Entwicklungen auf Facebook und YouTube. Und während die friedlichen Demonstrationen scheitern, findet Morad auf Facebook seine ehemalige Schulfreundin Merle, an die er seit einiger Zeit wieder öfter denkt, und schreibt sie an.
Mit Stil und AktualitätDurch die vier unterschiedlichen Blickwinkel gelingt der Autorin die klare Darstellung einer vielschichtigen Familienkonstellation. Gleichzeitig entsteht ein komplexes Bild von Iran, immer aus der jungendlichen Perspektive der Personen geschildert. Shida Bazyar beschreibt mit guter Beobachtungsgabe, Einfühlungsvermögen und Liebe zum Detail. Sie schreibt nachdenklich, nicht sentimental aber doch gefühlvoll, »wie brutal es ist, dieses Land, von dem alle kaum mehr wissen, als dass es bei der Fußballweltmeisterschaft gegen die USA gewonnen hat«.