Weder Top noch Extra-Flop: Kristina Pfisters Debüt Die Kunst, einen Dinosaurier zu falten mangelt es an Originalität und sprachlichem Einfallsreichtum. Pluspunkte gibt es aber für den ungestauten Lesefluss und das erzählerische Tempo. In der Summe stellt sich die gute alte Geschmacksfrage.
Von Christoph von Borell
Aufwändig recherchierte Hintergrundinformationen, Trivia, Spezialwissen. Das trennt Fans von Eventpublikum und oberflächlichen TrittbrettleserInnen. Nun ist noch nicht klar, ob Die Kunst, einen Dinosaurier zu falten überhaupt zum Anhängerkult gereicht, aber ein bisschen Kontext schadet so oder so nicht. Damit soll es hier also losgehen.
Wir haben es mit einer Autorin zu tun, die bereits einen berühmten Namensvetter in der Branche hat: Markus Pfister, Schöpfer des Regenbogenfischs. Ihr Debüt erschien beim Tropen-Verlag. Außerdem aufgepasst, das Buch ist aktuell unter den möglichen Prämien, die den Abschluss eines Missy-Abonnements ergänzen (falls jemand zwei Fliegen mit einer Klatsche erledigen will). Umfang: 252 Seiten + Danksagung + Werbung. Worum geht es?
»Jeden Abend beobachtet Annika durch das Fenster ihres Apartments die junge Frau gegenüber. Ihr scheint all das zuzufliegen, wonach Annika sich sehnt: Freunde, Liebhaber, Geselligkeit. Als die geheimnisvolle Nachbarin eines Nachts an Annikas Tür klingelt, verändert sich für sie alles. Gemeinsam mit Marie-Louise stürzt sich Annika in einen furchtlosen Sommer […].« Dieser Teaser, sorgfältig abgetippt vom Buchrücken, gibt die Marschroute des Romans recht gut und in kitschig wieder. Es geht also um Annika, Ende Anfang zwanzig, Bachelor-Abschluss in Kulturwissenschaften. Man darf sie sich vorstellen wie ihre Namensvetterin aus Pippi Langstrumpf: Tendenziell ängstlich, schnarchig, brav – eine die (noch!) keine Narben am Körper trägt, die sie selbst verschuldet hat. Sie lebt allein in einem Studentenwohnheim und das Leben läuft nicht so wie es müsste. Das Grundmotiv des Romans: Marie-Louise und ihr konträres Naturell färben sich im Verlauf der Geschichte langsam aber stetig auf sie ab.
Annika und Marie-Louise werden erzählerisch gut ausgearbeitet und bekommen individuelle Konturen. Das erzeugt Empathie und eine gewisse Spannung, bravo. Die sympathische Strenge, mit der die Unzulänglichkeiten der Protagonistin eingehalten werden, ist Pfister hoch anzurechnen. Eine Hollywoodverwandlung vom hässlichen Entlein zum schönen Schwan brauchen die geneigten LeserInnen zum Glück nicht zu erwarten. Annikas Freundinnen Anja und Tessa, die hie und da in der Geschichte auftauchen, sind hingegen mit ungleich stumpferem Messer geschnitzt. Das Resultat: schablonenhafte Typisierungen und Dialoge, bei denen der Wolf nur einmal lau pusten muss, damit sie zu einem Haufen traurigen Reisigs zusammenfallen. Tessa, die Hübsche, Coole, Herablassende, bekommt Sachen in den Mund gelegt, die sie für ihre angestammte Rolle von Rechts wegen sofort disqualifizieren müssten. Anja wird dazu als eine derart besessene Karriere-Natter beschrieben, wie sie selbst die freie marktwirtschaftliche Wildbahn kaum zu produzieren weiß. Generell sind die Nebenpersonen derart überzeichnet, dass immer, wenn sie auftauchen, jedes Einfühlpotenzial in die Geschichte leider am Rande der Einsturzgefahr steht.
Auch sprachlich hat Kristina Pfister meist schnell was abgekurbelt und liegen gelassen, ohne vielleicht nochmal einen prüfenden Blick darauf geworfen zu haben. Zum Geschichtenerzählen reicht das, aber der fehlende sprachliche Einfallsreichtum gibt spätestens Abzug in der B-Note. Der Beginn der Erzählung hat mitunter aber auch einfallsreiche Elemente und Kristina Pfister sei gelobt, der Roman liest sich ratzfatz weg. Zwar fehlt es der Sprache an Finesse, aber das Tempo ist flott und der Sprachfluss wird nicht in übermäßig ausufernden Beschreibungen gestaut. Es passiert etwas.
Was da passiert, ist allerdings konzeptuell nichts Neues, da dürfte es keine zwei Meinungen geben. Pfister speist ihre Geschichte gütig aus Coming-of-Age-Abenteuern und der ersten großen Lebenskrise, Elemente, die derzeit die Blaupause für so viele Debüt-Romane bestimmen. Mit diesem Bauplan und tüchtig Rückenwind der Verlage haben junge AutorInnen in den letzten Jahren erfolgreich die Regale in den Buchhandlungen entstaubt und Pfister hängt ihr Fähnchen munter rein in den nur langsam abflauenden Luftstrom. Einerseits kann man dieser Wahl milde begegnen (soll sie doch ruhig ausprobieren bis wohin es sie bläst), andererseits braucht es im Detail dann zwingend auch mal ein paar neue Einfälle. Mit der folgenden Checkliste lässt sich Die Kunst, einen Dinosaurier zu falten schnell und praktisch auf hundertmal Gelesenes prüfen:
Welche der folgenden Aktivitäten kommen im Roman vor?
*zum Therapeuten gehen
*von zu viel Alkohol kotzen
*nackt in einen See rennen
*einen Joint rauchen
*nackt übers Kornfeld rennen
*spontaner Roadtrip mit dem Auto
*spontaner Roadtrip mit dem Zug
*Lagerfeuer machen
*Fotos mit einer Analogkamera schießen
*nachts und draußen im Kreis tanzen und irgendwas singen
*mit einem süßen Typen rummachen
Ups. Was sich liest wie eine Top 10 der gängigsten Abziehfantasien von Jugendlichkeit dürfte Pfisters Versuch darstellen, bei uns LeserInnen (und Protagonistin Annika) ein Knistern aus Freiheit und Abenteuer zu wecken. Aber wenig funktioniert ja bekanntlich besser, als ein mit neuer Verheißung aufgeladenes Leben, um den Therapeuten überflüssig zu machen.
Der Sog der Ereignisse ist also mit einem genre-typischen Hinterbau aus (pop-)kulturellen Referenzen versehen, der in diesem Roman allerdings eher einem einfach verputzten Schuppen gleicht. Wo andere Romane die Schatulle mit den Raritäten aus der Vitrine holen, gibt es bei Pfister vornehmlich Bezüge zum Mainstream. Das muss nicht bemängelt werden, denn es passt zur Konstellation der Hauptperson, aber es sei angemerkt, damit es nicht zu Enttäuschungen führt. Übersetzung ins Küchenlateinische: Die Autorin kocht nach einfachem aber bewährtem Rezept. Wenn Gäste kommen, stellt man aber was Anderes auf den Tisch (Metapher jetzt ausgenudelt). Vom intellektuellen Gehalt ist Die Kunst, einen Dinosaurier zu falten dann auch insgesamt magerer als Vergleichbares, wie etwa Wolfgang Herrndorfs In Plüschgewittern.
Letztlich stellt sich die gute alte Frage, worauf man gerade scharf ist. Wer Lust hat auf einen sommerlichen Coming-of-Age-Roman, sich aber für Titel wie Delphinsommer in der Öffentlichkeit geniert, bekommt hier ein locker-leichtes Pendant, das ein bis zwei Niveaustufen weiter oben rangiert und sich gut weg liest. Auf der Suche nach intellektuellem Fahrwasser sollte man hingegen woanders Halt machen. Kleiner Test: Wer den Klappentext nicht völlig schlimm findet, kommt auch mit dem Roman gut aus.