Fantasy oder Magischer Realismus? Markus Heitz, Bernhard Hennen und Kai Meyer lesen beim Göttinger Literaturherbst und diskutieren über ihre Anfänge, Einflüsse und Selbstbeschreibungen. Keine Verortung kommt dabei ohne Vergleich, ohne Distinktion aus.
Von Niels Penke
Fantasy erzählt nicht nur unentwegt von neuen Landen hinter versteckten Türen oder zwischen unscheinbaren Buchdeckeln, manchmal rückt sie selbst in solches Neuland ein. Am letzten Tag des Göttinger Literaturherbsts ist das Deutsche Theater dieses Neuland, das sich als vielleicht eine der letzten Bastionen der Hochkultur den populären »Giganten« Kai Meyer, Bernhard Hennen und Markus Heitz öffnet. Außerordentlich populär sogar, denn mehr Bestseller sitzen auf keinem Podium der insgesamt siebzig Literaturherbst-Veranstaltungen. Populär auch, weil das Deutsche Theater am letzten Tag des Festivals ausverkauft ist. Anlässlich des Spektakels sind Teile des Publikums sogar verkleidet – wann hat es das mal bei Martin Walser oder Ulla Hahn gegeben?
Es wäre eigentlich gar nicht notwendig, so sehr auf diesen – gerade in Göttingen – immer noch wertbesetzten Kategorien herumzureiten. Die Differenz von ›high‹ und ›low‹, E und U, Hochkultur und ihrem alltags- oder massenkulturellen Anderen wurden andernorts schon vor Jahrzehnten eingeebnet und durch neue Leitdifferenzen ersetzt. Allerdings treten diese im Gespräch der drei Autoren mit Moderator Hannes Riffel vom S. Fischer-Verlag wie auch in den anschließenden Fragen aus dem Publikum immer wieder in den Mittelpunkt. Auch für die Vergleiche und Selbstverortungen der drei Autoren sind sie nicht unbedeutend. Aber der Reihe nach. Denn zunächst wurde nach kurzer Anmoderation in alphabetischer Namensfolge gelesen.
Den Anfang macht der bekennend Pop- und anderweitig Szene-affine Markus Heitz. Kaum hat er zu lesen begonnen, erklärt er bereits ein verwendetes Manowar-Zitat und betont, dass mehr Personen verstehend gelacht hätten als auf dem Gothic-Festival M’era Luna. Darüber hinaus erprobt Heitz mit seiner jüngst veröffentlichten DOORS-Reihe ein neues erzählerisches Parallel-Verfahren, das bewusst von der konventionellen Serialität abweicht und nach einem identischen Beginn drei alternative Handlungsverläufe in drei verschiedenen Romanen anbietet. Anna-Lena, die junge Protagonistin seiner einleitenden Erzählung verschwindet, und wir können dreimal auf die Suche nach ihr gehen. Das ›Break On Through to the Other Side‹ der (Band-Paten) The Doors entführt uns wahlweise in ein matriarchales Mittelalter, ins Jahr 1944 oder eine nahe, dystopische Zukunft. Alternative Geschichtsentwürfe werden in allen dreien verhandelt.
Als zweiter liest Bernhard Hennen aus der deutschen Fantasy-Hauptstadt Krefeld (die Weltmarktführer in Sachen Fantasy Metal Blind Guardian stammen ebenfalls von dort). Nach Abschluss seiner Elfen-Serie entstehen nun parallel zu der mit Robert Corvus kollaborativ verfassten Phileasson Saga auch Die Chroniken von Azuhr, deren zweiten Band, Die Weiße Königin, Hennen vorstellt. Auch hier historisches Erzählen aus der Inselwelt Cilia, die einem spätmittelalterlichen Sizilien nicht unähnlich sei, wie Hennen beteuert. Der epische Entführungszauber scheint zu wirken, wenngleich die gelesenen Ausschnitte vornehmlich ereignislose Beobachtungs- und Reflexionsprosa enthalten, die im Hennen-Sound gut ankommen, in Adalbert Stifters Nachsommer vermutlich als langweilig abqualifiziert würden. Wer Hennen mag, weiß aber ohnehin was er*sie bekommt.
Kai Meyer betritt mit Der Pakt der Bücher weniger klassisches Fantasy-Terrain, sein Beitrag imaginiert die schwach Gaslicht-beleuchtete Buchladengasse Cecil Court im London der Jahrhundertwende und einen unbekannten Gast samt mysteriöser Briefübergabe. Ein Sujet, in dem Meyer bereits einige seiner Romane angesiedelt hat – bibliophil durch und durch, überbordend vor intertextuellen Bezügen.
Nachdem die drei aus ihren neuen Büchern gelesen haben, plaudern sie mit Riffel über ihr Schreiben, über Entstehungsgeschichten und ihre Einflüsse im Besonderen. Anders als bei anderen Lesungen, hört man nur wenig von autobiographischer Prägung (Autofiktionen hat keiner der drei Autoren anzubieten), allerdings von durchaus realweltlichen Einflüssen wie Fake News. Sie erinnern sich an die Anfänge ihres Lesens und Schreibens. Der Philologensohn Hennen bekam bereits mit drei oder vier Jahren Gustav Schwabs Sagen des klassischen Altertums in die Hände, begann zwanzig Jahre später als Autor mit Romanen aus der Welt des Schwarzen Auges. Kai Meyer, dessen eindrücklichste Lektüreerfahrung Bram Stokers Dracula gewesen ist, fing mit Fan Fiction zur Mythor-Serie und Jerry Cotton an, professionell zu schreiben. Die von Markus Heitz erwähnten Perry Rhodan (deutsch ausgesprochen) und Mark Brandis (englisch ausgesprochen) waren auch den anderen beiden wichtig, wenngleich er, Heitz, lieber Poe und Lovecraft als Vorbilder verstehen möchte. Hennen bringt schließlich den wohl unvermeidlichen J.R.R. Tolkien ins Gespräch. Dessen Herrn der Ringe bekam Hennen nicht nur zum Erstaunen seiner Kollegen einst vom Sportlehrer als Ferienlektüre mitgegeben, sie alle sind sich einig, dass sie ohne Tolkien wohl nicht dort auf der Bühne säßen. Die Herr der Ringe-Verfilmungen Peter Jacksons erscheinen allen gleichermaßen als Wendepunkt, mit dem Fantasy zum Synonym für Erfolg, Interessantheit und Coolness wurde. Von den vorher mitleidig beäugten Rollenspiel-Nerds und Nischen-Literaten avancierten sie nun als hinreichend legitimierte Elfen– und Zwerge-Autoren zu Bestsellern.
Differenzierung und Distinktion gehören jedoch weiterhin zu den zentralen Beobachtungen und Selbstbeschreibungen der drei. Die »Phantastik« insgesamt stehe immer noch in der literarischen »Schmuddelecke« (O-Ton Kai Meyer) gegenüber den »echten Literaten«, zum Beispiel Theodor Storm und Franz Kafka, wie Markus Heitz ergänzt. Die Diskussion dieser Kategorien und ihre Zuordnungsmechanismen werden auf die Zuständigkeit von Feuilleton und Buchhandel verkürzt, ohne dabei auch Verlagsstrategien sowie Gewohnheiten und Begehrnisse des Publikums miteinzubeziehen. Auch ein wenig holzschnittartig gerät daher die Unterscheidung von Fantasy und Magischem Realismus, der als Etikettierung Höherwertigkeit anzeige,
Ein kleiner Teil davon wartet währenddessen bereits auf das kauffreudige Fachpublikum, dem es, wie der abschließende Beifall verrät, gut gefallen zu haben scheint. Die Schlangen vor Bücher- wie Signiertisch schließlich sind lang. Wer glaubt, das Buch sei ein Auslaufmodell, kann sich on- wie offline in Fantasy-Kreisen vom Gegenteil überzeugen.