»Such a small volume on such a grand topic«, beschreibt Moderator Frank Kelleter begeistert das schmale Lyrikbändchen Ein Aquarium. Die Besonderheit dieses Aquariums: Es enthält alphabetisch sortierte Gedichte von A wie Abalone bis Z wie Zooxanthelle. Beim »Hausbesuch XIV« des Literarischen Zentrums in Göttingen kommt der Dichter Jeffrey Yang der Aufforderung von Kelleter nach: »Let’s talk about fish and other sea creatures!«
Von Jorid Engler
Hausbesuch in der Bunsenstraße: Der amerikanische Dichter Jeffrey Yang ist nach Göttingen gekommen, um seinen Gedichtband Ein Aquarium vorzustellen, der gerade ins Deutsche übersetzt wurde und als zweisprachige Ausgabe im Berenberg Verlag erschienen ist. Yang scheint in dem ausladenden Sofa zu versinken, wie er da zwischen Frank Kelleter, der den Abend moderiert, und seiner Übersetzerin Beatrice Faßbender eingeklemmt sitzt.
Die Zuhörer im Wohnzimmer lauschen gebannt, wie Jeffrey Yang in seinen Gedichten eine Unterwasserwelt nach eigenen Regeln erschafft. Doch ist es wirklich eine Unterwasserwelt oder spiegelt diese bloß unsere eigene Wirklichkeit, unsere Kultur, die Geschichte, die Gesellschaft, die Umweltzerstörung? Einzutauchen in dieses lyrische Aquarium, das bedeutet, sich auf eine tiefgründige Entdeckungstour zu begeben. Nicht nur bekannte Meeresbewohner wie Hai und Hummer wird man dort finden, auch weniger plakative Vertreter wie Foraminiferen und Dinoflagellate, bis hin zu Aristoteles und Google, »Wesen«, die normalerweise nicht mit dem Meer in Verbindung gebracht werden.
Anders als im Buch, das keine Erklärungen oder Anmerkungen enthält, beschreibt Yang für sein Publikum das Aussehen der Fische, bevor er ein Gedicht vorträgt. Im Gespräch knüpft Kelleter daran an: »The Aquarium is without notes, but more important in 2013 without links. You can’t go immediately to an explanation. I think this medium – the bound book – preserves a certain sense of original strangeness.« Fußnoten hätten mehr Arbeit für ihn bedeutet, witzelt Yang. Doch eigentlich steckt mehr dahinter. Die Gedichte stehen für sich und verweisen den Interessierten auf andere Werke. Viele Wissensgebiete zu verknüpfen, macht für Yang und den Leser den großen Reiz dieser Art von Dichtung aus.
Die USA, eine Garnele?Das kürzeste Gedicht Garnele besteht lediglich aus zwei Wörtern: »Siehe U.S.«. Das Gedicht U.S. wiederum erstreckt sich über eine Seite und ist eine Aufzählung von »Fischen«, die die USA repräsentieren könnten. »A fish with a circulatory system of black gold« (»Ein Fisch mit einem Kreislaufsystem aus schwarzem Gold«) oder doch »a Shiite Muslim fish with a Protestant upbringing« (»ein schiitisch muslimischer Fisch mit protestantischer Erziehung«)? Das Gedicht endet mit der Mutmaßung, dass es sich bei den USA vielleicht doch gar nicht um einen Fisch, sondern um eine Garnele handele. Während Faßbender und Yang abwechselnd Zeile um Zeile im Kanon vorlesen, Deutsch und Englisch ineinander übergehen und geradezu ergänzend scheinen, ertappt man so manch einen im Publikum, dem, wie erschlagen von der Assoziationsdichte, der Mund offen steht. Doch als er gefragt wird, wieso die USA auch eine Garnele sein könnten, lächelt Jeffrey Yang nur ein bisschen und sagt: »because of the shape!«
[…] Jorid Engler, Litlog.de, 12.7.2013 […]