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Flimmernde Zeichen

Vor 20 Jahren starb der als Exzentriker und Wüterich bekannte und geschätzte Schauspieler Klaus Kinski. Telse Wenzel nimmt das Jubiläum zum Anlass und wirft einen kritischen Blick auf einen seiner bekanntesten Filme, Aguirre, the Wrath of God, der 1972 unter der Regie von Werner Herzog entstanden ist.

Von Telse Wenzel

Eine Gruppe spanischer Eroberer bricht auf, um im Amazonas nach dem Eldorado zu suchen. Eine Irrfahrt beginnt, an deren Ende Aguirre, Verkörperung des imperialistischen Größenwahns, allein mit einem Affen spricht. Sein Floß ist verwahrlost. Die Frage »Who else is with me?« bleibt ohne Antwort.

Aguirre, the Wrath of God (Aguirre, der Zorn Gottes), 1972 unter der Regie Werner Herzogs entstanden, zählt zu Klaus Kinskis bekanntesten Filmen. Vor 20 Jahren, am 23.11.1991, starb der von manchen als bedeutender Charakterdarsteller gefeierte, von anderen als labiler Wüterich belächelte (und verkannte?) Schauspieler in seiner Wahlheimat Kalifornien. Den Film Aguirre taktieren diese Zuschreibungen nicht.

Die Kamera ist ganz nah dran an den Figuren, ständig blickt der Zuschauer in Nahsicht auf Kinskis Gesicht mit diesen großen fiebrigen Augen, gerät in den Bann des Charismatikers und Fanatikers Aguirre. Manche haben die Titelfigur in Zusammenhang mit Göbbels zu bringen versucht. Aber das ist nur eine der möglichen Lesarten. Ein enges Korsett stützt den Körper, ein Bein zieht Aguirre nach, der Rücken scheint irgendwie krumm – man denkt an Mephisto und King Richard III.

Und natürlich immer auch an Conrads Heart of Darkness. Die vermeintliche Fahrt zum Eldorado, den Fluss hinunter, wird wie bei der von Conrad geschilderten Reise den Kongo hinab zur Fahrt in die Leere. Denn nichts regt sich an den Ufern. Und das Floß wird nirgendwo ankommen, es steht im Grunde still. Das zeigt ganz zum Schluss eine grandiose Kamerafahrt, die wohl jedem im Gedächtnis geblieben ist, der den Film einmal gesehen hat: Plötzlich setzt eine rasante Bewegung ein, mit der sich jemand dem Floß nähert und es immer wieder umkreist, bis das Bild mit dem in sinnloser Herrscherpose erstarrten Aguirre ausgeblendet wird.

Typisch für Herzog: Er ergänzt das Geschehen um eine religiöse Bedeutungsebene. Nicht nur diese letzte Szene deutet die Präsenz eines überpersönlichen Beobachters an. Hoch oben in den Ästen eines Baums hat sich ein Schiff verhakt. Wie ist es da hingekommen? Nur eine sehr große Flut kann es dorthin gebracht haben: unheimliches (Vor-)Zeichen einer strafenden göttlichen Vernichtung. Ist es Aguirre, der diesen Zorn verkörpert? Er selbst behauptet es. »I am the Wrath of God. The earth I walk upon sees me and quakes.« Oder ist es die Hybris dieses Sterblichen und seinesgleichen, auf die die Wut eines unsichtbaren Gottes treffen wird?

Ästhetik des Stillstands

Unmöglich, dass Apocalypse Now von 1979 ohne die Kenntnis des Films von Werner Herzog entstanden ist. Der an Conrad angelehnte plot, die Fokussierung auf den entstellten Menschen, die Kameraführung und Übernahme einzelner Einstellungen und Bilder: Die Einflüsse sind zahlreich. Nur leider hat Aguirre nie diese ganz große Bekanntheit und Popularität erlangt wie Apocalypse Now, der ein Kultfilm und kommerziell erfolgreich zugleich wurde. Vielleicht auch, weil Martin Sheen damals ein weniger eigenwilliger Hauptdarsteller war als Klaus Kinski, jemand, der ein größeres Publikum erreichen konnte.

Auch das zurückgefahrene Tempo von Aguirre ist unkommerziell, heute beinahe schon eine Herausforderung für einen an Reizüberflutung gewöhnten Zuschauer. Viele Aufnahmen, in denen eigentlich gar nichts passiert, leere Gesichter, die vor sich hin blicken, regungsloser Himmel, regungslose Dschungelwand und größtenteils Stille. Vielmehr ist es eigentlich nicht, was man auf den ersten Blick zu sehen bekommt. Dazu weltferne Klänge von Popol Vuh. Und doch sind es grandiose Bilder der Verlorenheit, Fremdheit, einer leeren Wirklichkeit. Und Bilder des Stillstands. So wie in Conrads Text die imperialistische Politik der sich zivilisatorisch überlegen fühlenden Europäer als Rückschritt in die Barbarei ausgewiesen wird, so konterkariert auch Herzogs Regie den Glauben an Fortschritt und Errungenschaften. Die Schauspieler wirken leblos und wie Marionetten, aufgestellt auf einer Bühne, die gern Aguirre arrangiert hätte, denn er selbst sieht sich als allmächtigen Regisseur: »We will stage history as others stage plays.«

Aber es ist wohl doch ein anderer, der das Schauspiel aufführt. Vielleicht aber ist alles auch bloß eine Einbildung Aguirres, zurechtgelegte Wirklichkeit und (Alb-)Traum. Auch für diese Deutung gibt es im Film Signale. Die Zeichen changieren und flimmern. Aguirre knüpft an an erkenntniskritische Erzählverfahren aus der Moderne. Beim Versuch, zu einer einzigen Deutung zu gelangen, kreist man auf der Stelle wie das Floß in der letzten Szene.



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 Autor*in:
 Veröffentlicht am 8. Dezember 2011
 Kategorie: Misc.
 Karikaturzeichnung des Schauspielers Klaus Kinski. Quelle: Nachlass des Urhebers Hans Georg Pfannmüller. Via Wikipedia.
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