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Früher war weniger Lametta

Die Inszenierung von David Bowies und Enda Walshs Musical Lazarus am Deutschen Theater glitzert und funkelt, bietet aber außer der schönen Fassade nur wenig überzeugende Darstellungen und eine wirre Handlung. Anschauen und -hören kann man sie sich trotzdem.

Von Hanna Sellheim

Bevor es bei der Premiere von Lazarus im Deutschen Theater laut wird, ist es erst einmal ganz still. So still, dass das Publikum unruhig wird. In der linken Ecke der Bühne kauert Volker Muthmann, mit einer Bowie-mäßig verwuschelten Frisur und in einen langen Bademantel gehüllt, ein Lichtkegel ist auf ihn gerichtet, in vollkommener Stille richtet er sich langsam auf. Dann beginnt er zu singen und von da an ist das Stück ein einziger Rausch an Sinneseindrücken.

Unter der Regie von Moritz Beichl inszeniert das DT das Musical, das David Bowie zusammen mit dem Dramatiker Enda Walsh kurz vor seinem Tod schrieb. Um was es darin geht, weiß man auch hinterher nicht so ganz genau. Das Gerüst der Handlung besteht aus einer Hauptfigur namens Thomas Newton, einem auf der Erde festsitzenden Alien, der sich nach dem Tod seiner Frau in einer depressiven Phase befindet und zusammen mit einem vielleicht imaginierten Mädchen an einer Rakete bastelt. Drumherum gibt es lauter heterosexuelle, normkonforme Paarbeziehungen, die durch außerirdisch anmutende Gestalten wie die Amor-Figur Valentine gestört werden. Man wäre vielleicht schlauer, hätte man den Roman The Man Who Fell To Earth gelesen oder den gleichnamigen Film gesehen, dessen Fortsetzung das Musical darstellt, doch für sich allein genommen ist die Handlung wenig kohärent. Durchsetzt ist dieses Plot-Wirrwarr mit den Liedern David Bowies.

Dass oft kruder narrativer Mist dabei herauskommt, wenn man versucht, um das musikalische Oeuvre von bekannten Künstler*innen eine Story zu basteln, haben bereits Musicals wie Mamma Mia oder Across The Universe bewiesen. Lazarus steht dieser Tradition in nichts nach. Das ist sicherlich nicht die Schuld der Inszenierung und das Deutsche Theater bemüht sich redlich, das Beste aus dem dünnen Material zu machen. Man scheint sich dessen bewusst zu sein; beinahe apologetisch heißt es im Programmheft:

Natürlich gibt es eine Handlung, die sich an dem Protagonisten Thomas Jerome Newton orientiert. Aber darüber hinaus nutzt das Stück mit den Bowie-Songs den gestrandeten Außerirdischen in Menschengestalt, um auf poetische Weise Bilder und Emotionen, Begegnungen und Fantasien, Gedanken und Assoziationen zu Leben, Tod und Liebe miteinander zu verweben.

Pompöse Ausstattung, mäßige Performance

So geht es dann weniger um ein gut konstruiertes Drama als um das Spektakel, den Kostüm-Pomp, den Exzess in Glitter. Das ist in der Tat schön anzuschauen und Bowies Lieder sind dank ihrem Hang zum Schalala natürlich bestes Musical-Material – an Unterhaltungswert mangelt es der Inszenierung also nicht. Das tolle Bühnenbild von Valentin Baumeister ist zugleich überladen und minimalistisch, der Boden mit ein paar Zentimetern Wasser bedeckt, durch das die Schauspieler*innen auf hohen Hacken waten. Auf der gesamten Bühne hängen Lametta-Fäden, die in Regenbogen-Farben changieren und so beleuchtet werden, dass sich eine Illusion von Tiefe bis zur Unendlichkeit ergibt. In einigen Szenen wird der Lametta-Vorhang nach oben gezogen und der Bühnenraum öffnet sich, offenbart sich als das, was er ist, und gibt den Blick frei auf die Band. Diese – die den schönen Namen Minor Tom and all the Young Dudes trägt – spielt sich an diesem Abend gekonnt durch Bowie-Klassiker wie »The Man Who Sold the World«, »Life on Mars« oder »Heroes«.

Dagegen fallen die Leistungen der Darsteller*innen eher mau aus: Dorothée Neff singt an den meisten Tönen vorbei, Andrea Strube überspielt die Figur der Elly gnadenlos bis ins Parodische und Muthmann verleiht der Hauptrolle wenig Charakter. Allein Daniel Mühes Auftritte stechen hervor, er tanzt und singt mit Leidenschaft und gibt, mit schwarzen Flügeln von der Decke schwebend, Valentine als charmanten Bad Boy. Die Kostüme von Astrid Klein sind eine wahre Materialschlacht, mehrmals werden sie gewechselt, Pailletten, Ketten und wilde Muster glitzern, wohin man auch schaut.

Leid und Slapstick

Im Kontrast zu dieser entrückten Weltraum-Ästhetik steht das irdische Leid von Thomas Newton, das geprägt ist von Alkoholismus, Depression, Todessehnsucht. Bei der Suche nach Identität, auf der sich alle Figuren befinden, zeigt sich dennoch ein Hoffnungsschimmer: Die Wandelbarkeit des Ichs, sein Facettenreichtum entpuppen sich als Potenzial, das produktiv genutzt werden kann, um der normierten Langeweile des Alltags zu entkommen. Doch die schlaglichtartige Abfolge der Szenen, die nur lose aufeinander aufzubauen scheinen, bewirkt, dass sich diese Gedankengänge nicht konsequent weiterverfolgen lassen und bei recht basalen Ergebnissen stehen bleiben.

Das Credo fürs Lazaraus-Musical am DT: Glitzer geht immer.

In seiner erzählerischen Planlosigkeit erinnert das Ganze an Cats, in seiner Camp-Optik an eine weniger queere, weniger witzige, weniger intertextuell ausgeklügelte Version der Rocky Horror Show. Alles ist insgesamt seltsam humorlos dafür, dass mit so vielen Slapstick-Elementen gearbeitet wird. Der Meta-Humor (»Jetzt ist Szene 14, ich bin dran«) des Buffo-Pärchens Ben und Maemi strengt eher an als zu unterhalten, die Szene mit dem piepsenden Wecker, der nach dem Ausstellen immer wieder angeht, ist geradezu drollig in ihrer Ausgelutschtheit. Davon abgesehen aber nimmt sich das Stück sehr ernst, schließlich geht es hier um die wichtigen Fragen, um Leben und Tod, oder so ähnlich. Die großen Gedanken fallen dann doch eher klein aus, Konzepte von Liebe und Geschlecht werden bis auf zwei gleichgeschlechtliche Küsse kaum untergraben und die Überlegungen zu Tod, Erlösung und der Bürde der Unsterblichkeit muten doch arg christlich oder allenfalls buddhistisch an.

Nach der Pause erscheint der Saal ein wenig leerer, zum Schluss gibt es dann aber doch tosenden Applaus und Standing Ovations, und man weiß nicht so recht, wofür eigentlich. Vielleicht geht es dem Stück darum, eine neue Ästhetik zu formulieren, die sowohl diegetisch als auch inszenatorisch alte Normen durchbricht, seien sie geschlechtlich, sexuell oder kulturell. Vielleicht geht es hier aber zumindest teilweise auch darum, einen kommerziell erfolgreichen Künstler auch nach seinem Tod weiter profitabel zu nutzen und dafür in Unmengen mit der Allzweckwaffe Glitzer um sich zu schmeißen. Dieser Gedanke drängt sich zumindest auf angesichts der Tatsache, dass Lazarus in diesem Jahr in zahlreichen deutschen Städten inszeniert wird. Und warum auch nicht – dem elitären Ruf des Theaters kann es vielleicht nicht schaden, ab und zu mehr auf Show anstatt auf Tiefsinn zu setzen. So lohnt sich der Weg ins Deutsche Theater immerhin, um ein paar Bowie-Songs (wieder) zu entdecken und sich einzulassen auf den zweieinhalbstündigen Trip, der diese Inszenierung ist.



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 Veröffentlicht am 24. Juni 2019
 ©Birgit Hupfeld
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