Thomas Kunst hat sich von seiner mehrdeutigen Wortspielkunst abgewendet und bekennt sich zur Klarheit der Sprache. Wo andere Künstler ihre Inhalte überhöhen, rückt er die Dinge wieder zurück ins Kleine und poetisiert aufs Wunderbarste Alltäglichkeiten. Florian Pahlke liest Kunst. Gedichte 1984-2014.
Von Florian Pahlke
Es ist noch nicht all zu lange her, dass Thomas Böhm in der ZEIT die Idee aufwarf, Gedichte nicht mehr (nur) in Buchform zu präsentieren, sondern sie stattdessen wie bildende Kunst zu betrachten und einzeln ausgedruckt, großflächig als verschriftlichtes Kunstwerk in Szene zu setzen. Mit diesem Gedankenspiel im Hinterkopf gewinnen insbesondere Anthologien wie Thomas Kunsts Sammlung seiner Gedichte von 1984 bis 2014 einen ganz eigenen Reiz – und zeigen, wieso es doch gut ist, sie in gebündelter Form vorliegen zu haben.
Klarheit in SonettThomas Kunst, 1965 in Stralsund geboren, hat sich neben Lyrik und Prosa insbesondere der Musik und Tonkunst verschrieben. Das ergibt sich nicht nur aus der Tatsache, dass es seine Lyrik in Form von Hörbüchern gibt, auch in geschriebener Sprache lässt sich das erkennen. Kunsts Lyrik ist, das würde er selbst wohl kaum bestreiten, nicht bildgewaltig, nicht mystisch oder gar hermetisch. Von seiner anfänglichen Faszination Celans und Trakls ist nicht mehr viel übrig geblieben und so bezeichnet er selbst erst seine deutlich klareren und verständlicheren Gedichte ab 1985 als ernstzunehmend; womit auch die Auswahl der Texte in Kunst begründet ist, die vor allem aus den Bänden Der Schaum und die Zeichnung vom Pferd, Was wäre ich am Fenster ohne Wale, Estemaga und Legende vom Abholen stammen, die allesamt zwischen 1998 und 2011 erschienen sind. Nur spärlich vertreten sind hingegen Gedichte aus den ganz frühen Büchern Besorg noch für das Segel die Chaussee und Die Verteilung des Lächelns bei Gegenwehr sowie aus seinem neuestem Werk Die Arbeiterin auf dem Eis. Gemeinsam ist den Gedichten dabei ihre Einschränkung auf wenige Formen: Kunst schreibt fast nur in Langgedichten oder Sonetten.
Ich habe dich anscheinend nie beschissen
Genug behandelt, daß es für uns langte,
Mir war nicht klar, woran ich mehr erkrankte,
Am Tod oder am Handy unterm Kissen.
[aus: Du brauchst dich niemals mehr für mich zu schämen]
Die Konzentration des Sammelbandes auf einen schmalen Abschnitt im künstlerischen Schaffen und die Abkehr von verklausulierter und chiffrierter Lyrik ist auch inhaltlich weniger Eingeständnis, denn Erkenntnis der Stärke: Kunsts Texte leben mittlerweile von präzisen Beschreibungen der Alltäglichkeiten: Anstatt blumiger Worte erfährt man lakonische Bemerkungen, die dann am Ende – oftmals überraschend – einen fast schon zarten Ausklang nehmen.
[…] Wenn ich so, in meinem Leben, die Frauen
Durchgehe, die mir Cassetten überspielt haben,
Bleiben wirklich nur wenige übrig, von denen ich es,
Im Nachhinein, noch einmal fordern würde, aber du,
Du gehörst ganz ohne Zweifel zu denen,
Von denen ich das fordern muß, hoffentlich hast
Du das noch nicht vergessen, […]
[aus: Wenn in der ersten Phase des Verliebens einer stirbt]
Kunst beschränkt sich darauf, in seinen Gedichten um die Themen zu kreisen, die ihn persönlich berühren, die aus seinem Leben gewachsen sind – woraus er auch gar keinen Hehl macht. Prägende Themen sind dabei die DDR-Vergangenheit und neben seiner fortwährenden Verbindung zur Musik auch die Nähe zur See. Seine Lyrik atmet, meistens ungefiltert, die (Sehn-)Süchte der Arbeiter und gewöhnlichen Leute. In diesen Betrachtungen fehlt es dann auch nicht an pointierten Ausflügen in die überzeitlichen Themenfelder von Liebe, Tod und Sehnsucht. Es sind dabei aber immer der Alltag und all die kleinen Trivialitäten, die in diesem hervorstechen (sollten) und von Kunst besonders herausgehoben werden, ohne (sprachlich) an Bodenhaftung zu verlieren.
Hohekunst der LeichtigkeitACH WÄRE ICH NUR AN DER SEE GEBLIEBEN
Und hätte eine Frau an meinem Fenster
Am Strand die Hunde und die frechen Wänster:
Die habe ich schon länger abgeschrieben.Kein Haus am Strand und später ohne Gelder,
Nur eine Tonne voller Glut im Winter,
Mein ganzes Hab und Gut in einem Sprinter,
Für eine letzte Fuhre nach Den Helder.Wozu noch Bücher, es gibt Blumenzwiebeln
Das Pflegeheim Den Koogh und die Marine.
Die Sehnsucht, bald zu sterben, wird schon kleiner:Julianadorp aan Zee mit seinen Giebeln.
Die Zugehfrau kriegt eine Apfelsine,
weil sie Flaschenmüll entsorgt, sonst keiner.
Es ist gerade in solchen Gedichten vor allem Kunsts Sprache, die heraussticht. Fast wirkt es so, als ob die lyrischen Formen eher zufällig zugegen sind und sich an das Gesprochene anpassen – nicht andersherum. Das ergibt vor allem in der klassischen Sonettform ein interessantes Spiel, das zwischen der rigiden Form und der teils fast als lapidar einzustufenden Sprache ein Spannungsverhältnis hervorruft. Kunst kann in solchen Gedichten zeigen, wie versiert er mit Sprache und Formen umzugehen weiß: Die Alltäglichkeit wird hier erkennbar als Stilmittel gegenüber dem Hohe-Charakter der Versform eingesetzt. Kunst orientiert sich dabei durchaus an historischen Vorbildern und arrangiert den inhaltlichen Aufbau klassisch mit These/Antithese/Synthese – schafft es aber gerade hierbei, diese Vorgaben ironisch zu brechen. So gibt das (jambische) Versmaß dem Gedicht eine Leichtigkeit, die den Inhalt zwar nicht banalisiert, aber dennoch teilweise zu unterlaufen scheint. Es ist dann nur folgerichtig, dass es beispielsweise die Zugehfrau ist, die entlohnt wird, und das auch nur mit einer Apfelsine, nachdem zuvor noch der komplette Lebensentwurf des Protagonisten in Frage zu stehen scheint.
Wo andere Künstler ihre Inhalte überhöhen, rückt Kunst die Dinge wieder zurück ins Kleine. Selbst Überschriften würden dieses Gesamtbild stören, und so gibt es im gesamten Buch kaum mal ein Gedicht, welches nicht einfach den ersten Vers als Überschrift trägt. Wer sich auf Kunsts Lyrik einlässt, der wird an vielen Stellen entdecken, wie viel sich hinter solch vermeintlichen Kleinigkeiten verbirgt und wie bewusst Kunst mit diesen umgeht.
[…] Florian Pahlke, litlog.de, 20.1.2016 […]