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Poetikdozentin 2019
Gedichte, die der Rinck gefallen

Am ersten Abend ihrer Lichtenberg-Poetikdozentur hält Monika Rinck einen Vortrag, dessen Kreativität und Tempo für die Zuschauenden gleichermaßen beeindruckend wie überwältigend ist und auch sein soll. Dabei überrascht sie auch mit ungeahnt humorvollen Elementen.

Von Frederik Eicks

Am 30. Januar 2018 um ca. halb neun steht die renommierte Lyrikerin Monika Rinck hinter dem reich verzierten, erhöhten Pult der alten Universitätsaula am Wilhelmsplatz und beginnt den ersten Teil ihres Vortrags unter dem Titel Wirksame Fiktionen. Zwei Vorlesungen über Lyrik zwischen Fiction und Non-Fiction. Links neben ihr steht ein großer, durch seine kräftige orange Farbe in diesem prunkvollen Raum ein wenig deplatziert wirkender Aufsteller des Literarischen Zentrums, welches die Lichtenberg-Poetikvorlesungen Jahr für Jahr u.a. zusammen mit der Universität veranstaltet (siehe Infobox). Beinahe genauso deplatziert wirkt die Lyrikerin selbst, denn deren erste Worte sind verlegen, gar schüchtern. Es sei ja

Poetikvorlesung

Zum 18. Mal fand am 30. und 31. Januar 2019 in der Aula am Wilhelmsplatz die Lichtenberg-Poetikvorlesung statt. Sie wird ausgerichtet vom Literarischen Zentrum, gefördert von der Stiftung Niedersachsen und der AKB Stiftung und in Kooperation mit dem Wallstein Verlag und der Georg-August-Universität Göttingen organisiert und durchgeführt. Dieses Jahr wurde Monika Rinck mit der Dozentur geehrt.
Zu Teil II unserer Berichterstattung geht es hier.

 
 
schwierig, nach solchem Lob mit dem eigenen Vortrag zu beginnen. Dieses Lob wurde ihr durch den Laudator Christian Metz, seines Zeichens Literaturwissenschaftler und -kritiker, zuteil. Rincks Leitfrage für ihre Vorlesungen lautet: Trifft die Unterscheidung von Fiction und Non-Fiction, wie sie üblicherweise bei anderen Gattungsformen angewandt wird, auch auf die Lyrik zu?

Bevor ihre Vorlesung wie ein Feuerwerk, bestehend aus Thesen, Metaphern, Erzählungen, Zitaten, Gedichten und sicherlich einigem mehr, was zu flüchtig war, um es hier nun festzuhalten, explodiert – macht Rinck ein paar Bemerkungen. So sei zum Beispiel anzumerken, dass sie zwar von der Lyrik spreche, sich hiermit jedoch ausschließlich auf diejenigen Gedichte beziehen werde, die ihr gefielen. Weiter folgen die für dieses Thema notwendigen Definitionen, was überhaupt gemeint sei mit den Begriffen Fiction und Non-Fiction. Auch der Unterschied von fiktional und fiktiv sei wichtig, »aber den lass’ ich weg«.

Rinck legt los

Das war der einfache Teil, das harmlose Vorgeplänkel. Hier scheint nun der wirkliche Vortrag zu beginnen, welcher sich für den Durchschnitt literaturinteressierter Menschen kaum überblicken lässt. So zitiert Rinck beispielsweise die Lyrikerin Barbara Köhler, welche sich essayistisch mit der Etymologie des Wortes Poesie auseinandersetzt, oder auch ein Gedicht wie Horse Vision von Julian Talamantez Brolaski (in: New Poets of Native Nations 2018), welches gleich den anderen von Rinck angeführten Gedichten beispielhaft ihre zentrale These unterstreichen soll: Die Lyrik habe mehr mit dem Sachbuch gemeinsam als mit dem Roman.

Auf ein Gedicht folgt einer der vielen Erzählstränge, welche immer wieder geschickt in ihren Vortrag eingewoben werden. Relevant für die Unterscheidung Fiction/Non-Fiction in Bezug auf Lyrik sei die Los Angeles Public Library. Dort stünden die Gedichtbände in der Abteilung Non-Fiction. Unvermittelt beginnt Rinck von der Geschichte dieser öffentlichen Bücherei zu sprechen, zählt Fakten zum Bau auf und landet schließlich beim Brand der Bücherei im Jahr 1986, wahrscheinlich ausgelöst durch einen angehenden Schauspieler, welcher sich beim Verhör in immer neue Widersprüche verstrickt. Solche Widersprüche zu erzeugen, sei auch das Verfahren der Lyrik. Da stehe ein ›und‹, wo eigentlich ein ›entweder/oder‹ hingehöre: Der Verdächtige war in der Bibliothek und er war nicht in der Bibliothek.

Rinck verstehen

Das Verfahren ihrer Vorlesung selbst besitzt hingegen eine Eigenart, an unvorhergesehenen Punkten Verknüpfungen herzustellen. Überwältigend sind hierbei nicht nur die schiere thematische und sprachliche Vielfalt, sondern auch Rincks Tempo, mit welchem sie diese Kopplungen herstellt und die Dynamiken, die daraus entspringen. Auf einmal werden zwei Erzählungen zusammengeführt und eine Fahrt mit Ann Cotten im blauen Nissan führt Rinck an der brennenden Bücherei vorbei. Ebenso kunstvoll wie die Erzählstränge lässt Rinck einen erfrischend leichten, klugen Humor in ihren Vortrag hineinfließen, ohne dass der Fokus verschoben wird – im Gegenteil. Ein Zitat schließt sie zum Beispiel mit dem Kommentar »So Platon, der stets zu Scherzen aufgelegte, alte Grieche« oder sie zählt die scheinbar zahllosen in John Ashberys Langgedicht Girls on the Run erwähnten Figuren auf (Farrar, Straus and Giroux 1999). Hierbei erzeugt Rinck die Geschwindigkeit, die es einem kaum erlaubt, die Namen zu zählen.

Weder mitzählen noch überhaupt folgen zu können, ist dann aber gar nicht mehr schlimm, denn: Das Lachen gestattet den Zuhörer*innen für einen kurzen Moment, die Konzentration nicht mehr krampfhaft aufrechterhalten zu müssen; nicht mehr angestrengt zu versuchen, alles zu begreifen, sondern sich kurz zu entspannen und danach wieder ein bisschen besser lauschen, sich mitreißen lassen und wieder etwas verstehen zu können. Ein anderer Aspekt von Rincks Texten, welcher dieses Verstehen für hörende wie lesende Rezipienten erschwert, ist die Methode, »am äußersten Rand der Sprache« zu arbeiten, wie sie Metz in seiner Laudatio benennt. Dies gilt hier zwar für ihre Gedichte, doch da Metz gleichfalls ihre Essays als »poetisch durchwirkt« bezeichnet, lässt sich dieses Charakteristikum ohne großen argumentativen Aufwand auch auf ihre Vorlesung übertragen.

Den Anschein, poetisch durchwirkt zu sein, erzeugt leider auch Metz’ Rede selbst, welche wie der Versuch einer Nachahmung von Rincks charakteristischem Stil wirkt. Vielleicht ist das als eine Hommage zu verstehen – neben dem überschwänglichen Lob, Rincks Werke seien in vielerlei Hinsicht ein Glücksfall für die literarische Welt. Unter diesem Gesichtspunkt erfüllt die Laudatio ihren Zweck in vollem Maße. Allerdings hätte es sich gerade bei einer Autorin mit derart komplexen Texten angeboten, die Vorrede stärker darauf auszulegen, den Besucher*innen eine Erhellung der nachfolgenden Vorlesungen zu bieten. Trotz einiger klarer Thesen verfehlt die Laudatio dieses zweite Ziel weitestgehend und gebart sich ähnlich unverständlich wie Rincks Texte selbst. Im Gegensatz zu einer Lyrikerin ist es bei der Rede eines Literaturwissenschaftlers ein Problem, un- oder nur schwer verständlich zu sein.

Bei Rinck ist diese Art von Sprache dagegen geradezu zu erwarten: Wer Rincks Gedichtbände wie Honigprotokolle (kookbooks 2012) kennt und ihren Essay Risiko und Idiotie aus dem gleichnamigen Buch (kookbooks 2015) so verstanden hat, dass die Lyrikerin durchaus darauf abzielt, zunächst kaum bis gar nicht verstanden zu werden, der legt nämlich auf das Verstehen im Sinne des üblichen Sprachgebrauchs gar nicht so viel Wert. Zumindest bei den Texten von Monika Rinck. Die Verwirrung, welche sie so am ersten Tag der Dozentur stiftet, führt also auf unerwartetem Wege an die Grenze zwischen Fiction und Non-Fiction.



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 Veröffentlicht am 6. Februar 2019
 ©Literarisches Zentrum Göttingen
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