Zwischen schlechten Entscheidungen und neongrünen Netztops: vier junge New Yorkerinnen in einer Coming-of-Age-Story, die mit zynischem Blick auf sehr unterschiedliche Lebensentwürfe einige der gravierendsten Fragen anspricht, mit denen sich Millenials seit jeher auseinanderzusetzen versuchen.
Von Laura Marie Steinhaus
Eine junge Frau schlingt im Restaurant Pasta herunter, gegenüber sitzen ihre Eltern. Ihre Mutter fragt, ob sie sich nicht mehr Zeit mit dem Essen lassen könne. Die junge Frau antwortet: »I’m a growing girl.«
Dass dieser Satz sich als Quintessenz der Serie beweisen soll, stellt sich bald heraus. Girls wird seit gut fünf Jahren von HBO produziert und arbeitet sich, verborgen hinter dem schlichten Titel, an einem komplexen Themenfeld ab. Kreiert wurde die Serie von der im popkulturellen Kontext als moderne Feminismus-Ikone gefeierten Regisseurin, Autorin und Schauspielerin Lena Dunham. Girls stellt vier Protagonistinnen in den Vordergrund der Handlung – allen voran Hannah Horvath, gespielt von Lena Dunham höchstpersönlich. Vier herrlich verkorkste und liebenswürdige (halb)fiktive Charaktere, lebend im gegenwärtigen New York.
Die Serie spielt dabei die Lebensmodelle der jungen Frauen durch, die in fast allem Anfängerinnen sind: in Sachen Liebe, Job, Freundschaft und Finanzen. Gezeichnet wird ein Bild von Mitzwanzigerinnen, die sich mal früher und mal später dazu entscheiden, erwachsen zu werden und sich dabei mit den Widrigkeiten des Alltags herumschlagen, mal auf sich gestellt, mal mit Unterstützung des Freundeskreises. Spannend ist dabei vor allem, dass einige Episoden dezidiert einzelne Charaktere behandeln und ihnen damit die Möglichkeit bieten, sich abseits der Gruppendynamik individuell zu entfalten. Durch die nüchterne Erzählperspektive, die Figuren und Situationen nicht verschönt, wenn sie es nicht verdienen, wird den ZuschauerInnen die Möglichkeit zur eigenen Beurteilung des Ganzen gegeben.
Girls spielt ferner mit Auslassungen und Zeitsprüngen – zumeist zwischen zwei Staffeln –, sodass einige Figuren für einen bestimmten Zeitraum aus dem Sichtfeld verschwinden, um dann mit der Weiterentwicklung ihrer eigenen Geschichte, die nicht verfolgt werden konnte, wiederzukehren.
Hannah Horvarth aber ist allgegenwärtig. Gleich zu Beginn beschreibt sie sich selbst als dicken Baby-Engel, sie agiert als junge und aufstrebende Autorin, die zunächst verloren zu sein scheint in ihrem unbezahlten Praktikum und an der Grenze zur erzwungenen Selbstständigkeit, da ihre Eltern ihr im besagten Restaurant mitteilen, ihr den Geldhahn zuzudrehen. Eine (Un-)Konstante in Hannahs Leben ist Adam, ein abgehalfterter, irgendwie zu groß geratener junger Mann mit seltsamer Körperhaltung und einem Hang zur miesen Ausdrucksweise, der von Hannahs Freundinnen unlängst als Freak abgetan wurde. Dass Hannah selbst aber allerhand charakterliche Defekte aufweist, stellt sich bald heraus: Sie ist nicht nur selbstbezogen und unselbstständig, sondern leidet an psychischen Zwangsstörungen, die immer wieder eine Rolle spielen.
Zu Hannahs Freundinnen gehört allen voran Marnie Mikalson – klassische Schönheit und Mitbewohnerin von Hannah, die Marnie als Inkarnation eines Unterwäsche-Models für Victoria Secret bezeichnet. Marnie führt zunächst einen recht gefestigten Lebensstil: Job als Galeristin, feste Beziehung mit dem ansehnlichen Charlie. Aber: »His touch just feels like a weird uncle … putting his hand on my knee at Thanksgiving«, so teilt sie Hannah in der Badewanne mit. Und auch der Job in der Galerie hat ein Verfallsdatum. Marnie ist Hannah nicht unähnlich: Selbstverliebt und bevormundend macht sie sich oft mehrere Köpfe größer als ihre Freundinnen.
Dann wäre da noch Jessa, die unkonventionelle Weltenbummlerin, die weder über einen Facebook-Account verfügt, noch versteht, was ihre Freundinnen darin finden nach einem geregelten Job oder einer festen Beziehung zu streben. Ein tätowierter Körper und ein Drogenproblem vereinen sich in einer zutiefst unsicheren Persönlichkeit, die mit ihren massenhaften Reiseerzählungen und damit verbundenen Erfahrungen zu verdecken versucht, dass auch sie liebend gerne einen Platz in der Welt hätte. An Jessa zeigt die Serie immer wieder Sex als Erzählelement, was sie sehr stark in Kontrast zu ihrer Cousine Shoshanna setzt. Jessa ist ein Freigeist: Während sie zum einen den Mann heiratet, den sie ein paar Folgen zuvor augenscheinlich verabscheute, bringt sie in einer anderen Folge in einer Entzugsanstalt durch einen Kuss die homosexuelle Neigung einer Mitpatientin zum Vorschein und schläft mit einem Mann in einer Bar, nur um währenddessen zu bemerken, dass ihre Periode einsetzt und sie nicht – wie vermutet – schwanger ist. Zu guter Letzt verliebt sie sich dann in den Freund einer anderen um dann zu registrieren, wie selbstzerstörerisch Liebe sein kann.
Cousine Shoshanna hingegen ist pink und konservativ. Während zu Beginn der Serie zu ihren großen Vorbildern noch die Sex and the City-Girlscrew gehört und sie im Gegensatz zu Jessa als ewige Jungfrau inszeniert wird, entwickelt Shoshanna mit der Zeit eine Abneigung gegen ihre naive Lebenseinstellung, um dabei zur größten Kritikerin ihres eigenen Umfelds zu werden, dabei aber immer noch so fehlbar bleibt wie alle anderen Figuren der Serie auch. Als sie einen Job in Japan bekommt, erhält ihr Charakter eine spannende Wende: Im BDSM-Raum eines Clubs sehen wir, wie sie als Krankenschwester verkleidet eine Peitsche schwingt. Diese Kontrastierung zu ihrer vorherigen, sehr verhaltenden Einstellung zu Sex bleibt dabei eindrücklich. Was allen Hauptcharakteren schwer fällt, ist die Liebe, so hat denn auch Shoshanna einen Schwachpunkt, der sich Ray Ploshansky nennt. Der ewige Zyniker ist dabei fasziniert von der Eigensinnigkeit Shoshannas. Sie lernten sich kennen, als Shoshanna unwissentlich Crack rauchte und Ray – eher durch einen Zufall – zu ihrem eigenen »crack spirit guide« avancierte.
Auffällig ist bei Girls das Reduzierte, deutlich sichtbar speziell während der erste Sexszene. Nichts mit Schnörkeln, nichts Romantisches. Adam und Hannah wollen miteinander schlafen. Sie fragt, ob er ein Kondom holt, er antwortet, dass er darüber nachdenken wird. Unbeholfen liegt Hannah nun bäuchlings auf einem Sofa, das nicht gerade sauber wirkt, in einer Wohnung, die vollgestellter kaum sein könnte. Sie versucht in dieser Position ihre Strumpfhose auszuziehen, nichts daran ist besonders erotisch (oder um es mit den Worten der ZEIT-Autorin Heike Kunert zu sagen: Wenn Hannah Sex hat, dann wirkt dies so, »als ob eine Hummel auf eine unscheinbare Blüte plumpst«1).
Diese Anfangsszene steht symbolisch dafür, dass klassische Narrative aufgebrochen und umformuliert werden, auch wenn dabei traditionelle Themen wie Liebe und Freundschaft immer noch einen Platz finden. Girls zeichnet sich also nicht durch die Erfindung von noch nie Gesehenem aus, sondern durch die Neu-Interpretation schon bestehender Sujets. Die heteronormative Stigmatisierung der Frau als glattgebügeltes Wesen auf der Suche nach dem einen männlichen Retter wird ersetzt durch die Abbildung der Realität und verleiht somit dem Serien-Konzept den Schwung an Feminismus, der so dringend gebraucht wird. Girls lässt wenig aus und alles zu: Freizügiger Sex auch ohne angepassten BMI, ein väterliches Comingout, Geschlechtskrankheiten, Zukunftspanik, mehrere beziehungstechnische Fehlentscheidungen. Die Dialoge dabei sind so wahr, dass es wehtut. Girls erlaubt Konsequenzen aus miesen Handlungen. Und schmutzig, zynisch aber gleichzeitig auch wunderschön lässt die Serie daran glauben, dass wir es alle irgendwie da durch schaffen, durch´s Leben.