Der Lilienfeld Verlag hat Franz Hessels 20er Jahre-Roman Heimliches Berlin neu herausgebracht. Ein echtes Schmuckstück mit besonderen literarischen und buchgestalterischen Qualitäten.
Von Lilly Günthner
Ein »Märchenbuch der Großstadt« nannte ein zeitgenössischer Rezensent Franz Hessels 1927 erschienenen Roman Heimliches Berlin. Dieses »Märchenbuch«, dem Umfang und Buchformat nach wohl eher der Name Büchlein angemessen wäre, erschien damals bei Rowohlt. Kritiker der Zeit beachteten und lobten es viel und ließen Hessels Roman dennoch bald für einige Jahrzehnte in der Versenkung verschwinden. Erste Versuche, ihn wieder ins literarischen Gedächtnis zu rufen, wurden in den 80ern von Suhrkamp und von dem kleinen Igel-Verlag, der 1999 das Gesamtwerk Hessels herausgab, unternommen. Doch auch 2012 ist Hessel noch immer eher Geheimtipp als kanonisierter Autor und weitaus weniger bekannt als sein Sohn Stéphane, dessen Aufruf zur Empörung ein internationaler Bestseller wurde. Siebzig Jahre nach Hessels Tod sind die Rechte an seinem Werk wieder frei geworden. Ein berechtigter neuer Versuch also.
Diese Menage-à-trois, mit vergeistigtem Ehemann und jungem Liebhaber als Kontrahenten, ist nicht eigentliches Zentrum des Romangeschehens. Vielmehr sind es die Nebenhandlungen, all das, was nur Kulisse ist und den eigentlichen Plot umschmückt, wovon die nur 24 Stunden umfassende Handlung lebt. Die Beschreibungen der Stadt und des Lebensgefühls und die mehr oder weniger schillernden Figuren, denen Karola und Wendelin auf ihrer rastlosen Tour durch Berlin begegnen, fügen sich zu einer wunderschön melancholisch-heiteren Impression der Stadt zusammen. Immer wieder gibt es Binnenerzählungen, die in die schon fast szenische Darstellung dieser kurzen Episode eingeflochten werden und mehr über die Vergangenheit der Figuren preisgeben.
Hessel gelingt es, von all dem in einer schlichten und schönen Sprache zu erzählen und mit ihr ein eindrucksvolles Bild vom Berlin der 20er Jahre zu zeichnen. Die Auswirkungen der Inflation, die zunehmende Verarmung, das soziale Elend in der sich ständig wandelnden und wachsenden Metropole werden in den Schilderungen um Wendelin und seine Freunde abgebildet, gesellschaftliche und kulturelle Umbrüche der Zeit angerissen. »Unser Dasein bekommt etwas Vulkanisches durch all das beständig explodierende Benzin, das uns vorwärts rollt.«, kommentiert eine Figur die zunehmende Technisierung des Alltags. Zwischen Resignation und Erneuerungswillen treiben die Menschen durch die Eindrucksvielfalt der Stadt und fühlen sich bei aller Modernität und raschen Entwicklung doch zuweilen »alt und heimatlos«.
Dass der Autor Hessel hier seine eigene Wahrnehmung der Stadt literarisch verarbeitet ist naheliegend. Er wuchs selbst in Berlin auf und arbeitete hier in den 20er Jahren als Übersetzer und Lektor bei Rowohlt. In seinen Essays und Romanen spielt das Leben in Berlin häufig eine wichtige Rolle. Es sei nur auf sein großes Flaneursbuch Spazieren in Berlin von 1929 verwiesen. Neben Stadtimpressionen klingt in Heimliches Berlin auch die Verarbeitung autobiografischer Elemente an. Man kann den Roman durchaus als Schlüsselroman lesen: Die Dreiecksverbindung zwischen Wendelin, Karola und ihrem Mann Kestner hat deutlichen Bezug zu der realen Beziehung zwischen Hessel, seiner Frau Helen und dem Schriftsteller und Kunsthändler Henri-Pierre Roché. Letzterer verarbeitete die unglückliche Liebesgeschichte in seinem Roman Jules und Jim, der Truffauts gleichnamigem Filmklassiker als Vorlage diente.
Fest steht, dass Hessel ein schönes Stück Literatur gelungen ist, dessen Lektüre auch heute noch viel Vergnügen bereitet. Neben literarischer Qualität ist besonders die geschmackvolle und besonders schöne Einbandgestaltung des Buches erwähnenswert. Für diese Kombination aus originellerer Buchgestaltung und Wiederentdeckung literarischer Fundstücke ist der 2007 von Viola Eckelt und Axel von Ernstin in Düsseldorf gegründete Lilienfeld Verlag bekannt. In der Reihe Lilienfeldiana erschien neben Heimliches Berlin im Frühjahr 2012 auch der Roman Der Kramladen des Glücks von Franz Hessel. Die Reihe präsentiert »seltene literarische Entdeckungen in besonders schöner Ausstattung«, die Einbandgestaltung entsteht in Zusammenarbeit mit zeitgenössischen Künstlern. Der Verlag hat 2011 den Förderpreis der Kurt-Wolff-Stiftung erhalten. In der Begründung wird auch auf »die Sorgfalt in der Buchgestaltung und der Brückenschlag zur bildenden Kunst« sowie die »Melange aus Wiederentdeckungen und aktueller Literatur« verwiesen.
Ein sehr erfolgreiches Verlagsprojekt also. Vielleicht gelingt es ja, Hessels wirklich lesenswertem Roman wieder größere Aufmerksamkeit und Leserschaft zukommen zu lassen. Verdient hätte er es.