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Herrschaft der Poesie

Dietmar Dath ist nicht nur Autor seines neuen Romans Sämmtliche Gedichte, sondern darin zugleich Mitspieler, der aussieht wie ein seelenloses Seeungeheuer aus der Welt von H.P. Lovecraft. Hier koexistieren Twitter, antike Göttinnen, denkende Materie und YouPorn. Unter der Herrschaft der Poesie.

Von Christoph Hoffmann

Dietmar Dath, über den es unmöglich ist, in Artikeln nicht zu lesen, dass er Chefredakteur der Spex und Cheffeuilletonist der FAZ war, kann keine kleinen Brötchen backen. Mal schreibt er Science-Fiction-Märchen über die Zukunft, in der die Welt von klugen Tieren regiert wird, mal abgründige Liebeserklärungen an dubiose Mathematiker, mal über Verschwörungstheorien, mal über die Zombieapokalypse. Und nun also über den Versuch, ein neues Zeitalter einzuleiten, in dem es unter anderem um denkende Materie, die Zauberkraft der Semantik und Geburtenkontrolle durch Poesie geht. Puh.

Daths Roman Sämmtliche Gedichte fängt harmlos an. Adam Sladek, ehemaliger Soldat, jetzt erfolgreicher Dichter raucht und redet, Johanna Rauch, erfolgreiche Künstlerin, trinkt Wein und hört zu. Sie gibt sich keine Mühe zu verstehen, was Adam erzählt, sie mag nur die Wörter und die Melodie des Dahingeredeten. Es riecht nach Kerzen und Blutorangen, Ernsthaftigkeit ist ausgesperrt.

Buch-Info


Dietmar Dath
Sämmtliche Gedichte. Roman
Suhrkamp: Berlin 2009
283 Seiten, 22,80 €

 
 
Später geht Adam in einen höchst seltsamen Club, der fast unsichtbar im Wald liegt, in der Nähe vom schlechtfrequentiertesten McDonalds Deutschland. Es gibt alle Getränke, die man sich wünschen kann, das Publikum ist überaus bunt; Priester reden mit Models, Künstler reden über Pilzrisotto, eine nackte, mit seltsamer Flüssigkeit beschmierte Schottin sitzt an der Bar, im Hintergrund plaudern Wissenschaftler. Dietmar Dath, der nicht nur Autor dieses Buches ist, sondern selbst auch darin mitspielt, hat Adam hierher bestellt.

Eine wunderschöne Frau, die alle nur die Jägerin nennen, die vermutlich eine Irokesin und vielleicht auch eine Inkarnation der Göttin Artemis ist, holt Adam ab und fliegt ihn mit einem hochmodernen Fluggerät in eine wundersame Villa, womit die Geschichte anfängt, völlig abzuheben. In der Villa trifft er erst auf Dietmar Dath, der ihn an ein seelenloses Seeungeheuer aus der Welt von H.P. Lovecraft erinnert, später dann auf den Besitzer der Villa, den Milliardär Colin Kreuzer, den Adam für einen verkleideten Löwen hält.

Adam erfährt nach und nach, dass er Teil eines riesigen Experimentes ist, bei dem er gezielt mit Kultur und Informationen versorgt wird, um besondere Gedichte zu schreiben, die das eingangs geschilderte Zeitalter einleiten sollen. Die Figur Dietmar Dath erklärt alles ganz genau, lang und breit, in einem furiosen, undurchschaubaren Schwall aus Philosophie, Sprachwissenschaft, Popkultur und Bioethik. Ob das alles wissenschaftlich fundiert ist oder nicht, oder ob es sich dabei vielleicht auch nur um riesengroßen Quatsch handelt, spielt keine große Rolle. Das Ende mündet in einen kleinen, trotzdem apokalyptischen Krieg, ein Endspiel, für das es kein sinnvolles Ende gibt, wie der Autor Dietmar Dath sagt.

Dazwischen werden noch mehrere Liebesgeschichten erzählt, ein Luchs wird gejagt, wobei über Twitter nachgedacht wird, es wird über unbekannte Musiker, amerikanische Comiczeichner, japanische Finanzpolitiker und die Kameraführung bei YouPorn geredet, es gibt Sex und vielleicht wird jemand von einer Bärin angegriffen. Der Autor Dietmar Dath entfesselt einen derart reißenden Strom aus unüberschaubar vielen Elementen der Pop-, Alltags- und Kommunikationskultur, dass man mit dem Verstehen kaum nachkommen kann. Vielleicht ist die eingangs erwähnte Rezeptionshaltung von Adams Freundin Johanna Rauch die klügste: Gar nicht mehr den Sinn der Worte suchen. Was der Autor Dietmar Dath erzählt, klingt auch dann noch gut, wenn man nicht alles verstehen zu versucht.

Auch wenn die Ausführungen über die sprachwissenschaftsphilosophischen Neuerungen der Bioethik unverständlich und langatmig sind und die immer wieder den Textfluss unterbrechenden Gedichte über Hasen, Vergewaltigungen, antike Göttinnen und Sexualpolitik zu gewollt kryptisch sind und oft nur anstrengen, ist Sämmtliche Gedichte doch sehr unterhaltsam. Es wimmelt vor witzigen Anspielungen, das Spiel des Autors mit den Figuren, insbesondere das mit seiner eigenen, ist unglaublich clever und das fließende Mit-, Neben und Ineinander von Pop, Wissenschaft, Hochkultur und Quatsch mit Soße ist schlichtweg beeindruckend.



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 Veröffentlicht am 17. Januar 2011
 Kategorie: Belletristik
 Bild mit freundlicher Genehmigung von BenduKiwi via wikipedia.
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 Ein Kommentar
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Ein Kommentar
Kommentare
 Brigitte Kanzler
 29. Januar 2011, 13:25 Uhr

Ist das nun das Ergebnis der Rezension, dass es eigentlich um nichts geht und Dath nur ein paar lustige Sprachspiele entfaltet? Die Gedichte nur anstrengend? Was ist mit der interessanten Verbindung Amelia Earharts und der Göttin Artemis? Und wenn es schon nur um sprachliche Phänomene geht, warum kommen die Gedichte nicht überhaupt mehr in den Blick? Denn das erstaunlichste Ergebnis der Lektüre diese, zugegeben seltsamen, Romans ist doch, dass Dath auch Lyrik kann.

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