Holger Brüns’ Vierzehn Tage, geschrieben im lässigen Plauderton, beschreibt zwei Wochen aus dem Leben eines schwulen Berliners. Die Sommernovelle geht der Frage des Älterwerdens nach und schafft dabei puren Lesespaß inklusive nachdenklicher Momente.
Von Celestyna Urban
Langweilige Arbeit bei der Postsortierstelle, schwul, Mitte vierzig, Single… niemand wartet auf ihn. Er hat noch vierzehn Tage Urlaub und weiß nicht viel mit sich anzufangen. Klingt erstmal deprimierend, ist aber genau das Gegenteil. Die Sommernovelle, die im Mai 2019 im Verbrecher Verlag erschien, überrascht ihre Leser*innen auf 140 Seiten mit immer neuen Wendungen und hält unerwartete Spaßmomente bereit.
Wenn das Leben grau in grau erscheintEr hat seinen Ausweis und Geld in der Tasche. Er kann einfach gehen. Aber wohin? Und was passiert, wenn sein Urlaub zu Ende ist? Würde er heimkehren? Würde er den Job einfach hinschmeißen? Und wenn das Geld aufgebraucht ist? Unter einer Brücke schlafen? Nichts macht ihm Spaß. Ist das die Midlife-Crisis? Er schließt die Tür hinter sich, wirft den Schlüssel in den Briefkasten und irrt ohne einen Plan durch Berlin. Es ist Sommer und es ist heiß. Er trifft alte Freunde, fährt an den See, schlendert lustlos durch den Kiez, fährt für ein paar Tage aufs Land, lässt sein bisheriges Leben Revue passieren und versucht, sich an die glücklichen Momente seines Lebens zu erinnern. Er starrt in das Grau und wartet auf ein Zeichen des Schicksals. Und ehe er sich versieht, lernt er von einem Augenblick zum nächsten einen über 20 Jahre jüngeren, feurigen Spanier kennen, der für ein paar Tage nach Berlin gekommen ist und kein Deutsch spricht.
»What was so funny?, fragte der Namenlose.
»They say, you are too old for me. But I think, I am too young for you.«
»Yes, that is right, but not to go for a walk.«
Während die Hauptfigur ihr eingerostetes Englisch auffrischt, fühlt sie sich plötzlich wieder lebendig und jung und obwohl sie ihren Urlaub genießt, befasst sie sich mit Fragen wie: »Ist das die große Liebe oder doch nur eine Urlaubsaffäre?« oder »Ist der Altersunterschied nicht zu groß, die Lebensumstände und die Auffassungen nicht zu verschieden?«
Neue Ordnung für die alte WeltDer Berliner Autor Holger Brüns – selbst homosexuell – fängt sein Abenteuer mit dem Schreiben gerade erst an. Nach den beiden Reisebüchern Olfen – Reise ins internationale Freundschaftslager (2010) und Das Orderbruchbuch (2016) ist das Buch Vierzehn Tage sein fiktionales Debüt – eine kurze, sehr gut erzählte Novelle.
Vierzehn Tage lang begleiten die Leser*innen den Protagonisten durch das kosmopolitische Berlin der Gegenwart – schön und »schwulfreundlich«, aber längst nicht mehr so wild und frei, wie in der Vergangenheit. Während Brüns
»In all den Jahren, als es die DDR noch gab, war er selbst vielleicht zwei-, dreimal im Osten gewesen. Meist gab es für ihn keine Welt auf der anderen Seite der Mauer … Es war der 26. April 1986 gewesen. Weit hinter dieser Mauer war gerade ein Atomkraftwerk explodiert. Die Nachricht davon hatte den Westen zeitverzögert erreicht. Nicht nur ihn. In Ostberlin gab es in diesem Sommer Unmengen von frischem Salat und frischem Gemüse aus Polen. Es hätte sich wegen der Strahlenbelastung nicht mehr in Westberlin verkaufen lassen.«
Brüns Figur, von einem auktorialen Erzähler ins Leben gerufen, gewährt den Leser*innen Einblicke in die Gefühle eines stolzen schwulen Berliners und gibt dessen allergeheimste Gedanken an sie weiter. Die Dialoge, die wechselhaft in Englisch und Deutsch geführt werden, geben der Novelle eine besondere Machart. Angeregt durch lebhafte Erzählungen aus der Vergangenheit führt die Hauptfigur ihre neue Liebe durch die Stadt und erzählt von der Berliner Mauer und der Wiedervereinigung:
»I was so disappointed over the Wiedervereinigung… No, disappointed is not true. It was bullshit and it was the end of an illusion. The people in the West wanted no longer a different political system next to Bundesrepublik… Tatsächlich hatte er damals kurz geglaubt, es würde sich etwas Neues in der ehemaligen DDR entwickeln. Etwas, das sozialer und weniger kapitalistisch war als im Westen. Dass es anders kam, hatte ihn enttäuscht und seinen Glauben an die Veränderbarkeit politischer Systeme grundsätzlich erschüttert…« Viele, die diese Zeit miterlebt haben, können dem sicher beipflichten.
Mit Geschick stellt Brüns Hintergründe, Zusammenhänge und Wechselwirkungen dar und fängt so detailgetreu den Wandel Berlins ein. In der Zukunft wird man diese Novelle wie einen Schlüsseltext des Daseins und des Zeitgeistes in West-Berlin von dessen Anfangszeit bis zur deutschen Wiedervereinigung lesen können.
Berlin – du bist so wunderbar!Es geht oft Richtung Neukölln, aber auch Richtung Breitscheidplatz mit seinen Boutiquen, Kinos, Restaurants, markanten Gebäuden und den Kaufhäusern, wie dem Europa Center, einst der letzte Schrei, heute verstaubt und in die Jahre gekommen, das schon etliche Shoppingmonstren überdauerte und noch immer viele Besucher mit seinem Westberliner Charme lockt, das denkmalgeschützte Bikini-Haus und der legendäre Zoo mit dem Affenhaus, die ihr Comeback erleben.
»Ein bisschen Halbwissen konnte er gleich anbringen, als sie auf das Bikini-Haus zugingen. 1975 eröffnet, hieß es damals ›Zentrum am Zoo‹. Im zweiten Stock war ein offenes Luftgeschoss, welches eine Ladenzeile darunter von den vier Säulen getragenen Büroetagen darüber trennte. Und weil bei einem Bikini das Oberteil vom Unterteil ebenfalls durch einen Streifen Nichts getrennt wurde, hatte das Haus seinen Namen weg.«
Das Buch beschreibt die realistischen Orte so präzise, dass großartige Bilder vor den Augen der Leser*innen entstehen. Bei denjenigen, die Berlin kennen, rufen alle hier beschriebenen Örtlichkeiten viele schöne Erinnerungen wach.
Neuanfang oder Rückkehr zum Alltagstrott?Vierzehn Tage geht der Frage des Älterwerdens nach. Sie betrifft sicher alle, die mitten im Leben stehen. So kommt der Protagonist auch nicht umhin, die Vergangenheit und die Gegenwart gegeneinander aufzuwiegen. Die Frage bleibt: Schafft er es, sich durch diese Wendung des Schicksals neu zu erfinden oder holt ihn doch sein altes Leben wieder ein?
Holger Brüns Novelle, geschrieben im lässigen Plauderton und mit zahlreichen bildhaften Beschreibungen des alten und neuen Berlins mit seinen weltbekannten Boulevards, Promenaden, imposanten Bauwerken und zahlreichen historischen und modernen Sehenswürdigkeiten, schafft puren Lesespaß inklusive nachdenklicher Momente. Dieses unterhaltsame Buch ist ein Muss für all diejenigen, die Interesse daran haben, die menschliche Gefühlswelt besser zu verstehen.