Am Sonntag findet der erste Poetry Slam 2016 statt, Grund genug für uns, auf den letzten im Jahr 2015 zurückzublicken. Wie so oft blieb dabei kaum ein Auge trocken und kein Lachmuskel unbetätigt, einerseits wegen der überwiegend humoristischen Texte der WettbewerbsteilnehmerInnen, andererseits durch die tatkräftige Unterstützung von featured poet und Co- oder besser gesagt Haupt-Moderator Felix Lobrecht.
Von Theresa Schlote
Der letzte Poetry Slam des Jahres im Jungen Theater hatte mal wieder einiges zu bieten. Anstelle von Felix Römer, der üblicherweise an der Seite von Christopher Krauß den Abend moderiert, nahm ein anderer Felix dessen Platz ein, nämlich Herr Lobrecht aus Berlin. Dieser hatte sichtbar Spaß an der Sache, so dass Christopher mehr und mehr Mühe hatte, selbst zu Wort zu kommen. Wie so oft begann es mit der Frage, wer noch nie auf einem Poetry Slam war (Schande über ihre Häupter!), dem Erklären der Spielregeln (7 Minuten Redezeit, keine Kostüme und Requisiten) und natürlich der Ankündigung der Poeten, sowohl der geladenen als auch der Mutigen der offenen Liste.
Um die Menge aufzurütteln begann Felix Lobrecht mit einem Text über die letzte Studentenparty, die mit Ausnahme von ihm ausschließlich aus Humanbiologen bestand. Mit seiner trockenen, herablassenden Berliner-Art brachte er nicht nur das Publikum zum kochen, sondern hatte selbst so manches mal Schwierigkeiten, das Lachen zurückzuhalten. Zurecht wurde er zuletzt zum Gewinner des NDR Comedy Contests gekürt.
Veganer übernehmen WeltherrschaftDen Anfang des eigentlichen Wettbewerbs machte dann der laut der Moderatoren gefühlte vier Meter große Thorben Schulte mit einem Text, der als Reaktion zu einem Artikel in der Unizeitung Georgia Augusta entstand, in dem es um Veganismus ging. Einer der befragten Studenten kommentierte, dass Veganismus nicht nur lächerlich, sondern auch gefährlich wäre, da er ja zwangsläufig zur Überpopulation von Nutztieren führen würde! Dieser ernst gemeinte Kommentar inspirierte Thorben zu einer erschreckenden Zukunftsvision, in der jeder zum Veganer mutiert und sich Kühe immer weiter verbreiten und dem Menschen den Lebensraum nehmen. Wie sich herausstellt, so der Slammer besorgt, hat irgendein Trottel vergessen, die Tierzucht einzustellen!
Als nächstes kommt Eberhard, und es wird still im Zuschauerraum, als er in einer Art Ballade über die brandaktuelle Flüchtlingsproblematik spricht. Er nimmt hierbei verschiedene Perspektiven ein und erinnert u.a. daran, dass 1989 wir Deutschen die Flüchtlinge waren.
Darauf folgen Nils von der offenen Liste, der Wortbedeutungen auseinandernimmt, Hauke, der in seinem ersten Text den Schwerpunkt auf Dialekte setzt und das Publikum begeistert, und Joachim, ebenfalls von der offenen Liste, der über den Wunschtraum einer Ehe philosophiert, während diese in Wirklichkeit schon zerrüttet ist.
Der Poetry Slam in Göttingen findet im Jungen Theater statt. Der offene DichterInnenwettstreit arbeitet mit einem weiten Literaturbegriff: Lyrik, Prosa, Rap, Limmericks, Kurzgeschichten, Dialoge, Wahnsinn oder was auch immer sonst auf die Bühne kommt, Hauptsache die Texte sind selbstgeschrieben, passen in sieben Minuten und werden ohne Hilfsmittel dargeboten. Durch den Abend führen Felix Römer und Christopher Krauss. Wer selbst einmal auftreten will: mind. fünf Plätze werden per Los an DichterInnen aus der offenen Liste vergeben. Einfach abends kommen, Namen auf einen Zettel am Eingang schreiben und schon ist man dabei. Der Göttinger Poetry Slam ist Kooperationspartner von Litlog.
Lea-Melissa nimmt zum zweiten mal über die offene Liste teil und stimmt wieder leisere Töne an, spricht über Zukunft und die Angst, die den Gedanken daran so manches mal begleitet, über die Entscheidung zwischen Sicherheit und Risiko und wie diese Entscheidung ein ganzes Leben beeinflusst.
Aidins trägt einen intelligent-humoristischen Text vor, in dem er die verschiedensten Probleme mit seinem fremdartigen Nachnamen (Halimi Asl) erläutert. Da sich das Publikum und somit die Jury uneinig ist, dürfen, statt der üblichen zwei, drei Kandidaten einziehen: Hauke, Lea-Melissa und Aidin.
Bevor das Finale beginnt, tritt noch einmal Felix Lobrecht mit seinem Text über sein gut durchdachtes Weihnachtsgeschenk für seinen Vater auf, welches ganze vier Hunde beeinhaltet – falls mal einer kaputt geht. Diese und andere seiner Geschichten sind in seinem Buch »10 Minuten? Dit sind ja 20 Mark!« zu finden, welches er zusammen mit Malte Rosskopf geschrieben hat und das im Oktober 2015 im Satyr Verlag in Berlin erschien. .
Das letzte deutsche FernsehenIm Finale beginnt Lea-Melissa mit einem ähnlichen Text wie ihrem ersten, diesmal spricht sie über verpasste Chancen, das Suchen und nicht-Finden der Liebe durch mangelnden Mut und spätere Reue. Danach folgt Hauke mit »Ich bin jetzt mal da, wo du nicht bist«, einer Ode an Delmenhorst, seiner Heimatstadt, die nicht ganz so gut wegkommt, jedoch immer ein Teil von ihm bleibt. Zuletzt trägt Aidin seinen Tagesschau-Text vor, beginnend mit den Worten »Hier ist das letzte deutsche Fernsehen…« und mit den abstrusesten und denkwürdigsten Nachrichten, wie z.B. »IS führt Homo-Ehe ein«. Solch wunderbare Respektlosigkeit gefällt den Zuschauern, und Aidin wird zum Sieger gekürt, Lea-Melissa ist dafür Siegerin der offenen Liste und beide gewinnen ein Buch, wie es Tradition beim Göttinger Poetry Slam ist.
In den zehn Jahren, in dem der Poetry Slam in Göttingen existiert, war er bisher nur zehnmal nicht ausverkauft. Wer bisher noch keinen besucht hat, sollte das schleunigst nachholen, die nächste Gelegenheit bietet sich hierfür am Sonntag, den 31. Januar im Jungen Theater.