An den zwei Abenden der diesjährigen Lichtenberg-Poetikdozentur spricht Dietmar Dath über Kritik, über Populismus auf Twitter und vor allem über seine Schreiblehre. Dabei zeigt sich deutlich die Beharrlichkeit eines Autors, der als ein vom Schreiben Besessener erscheint.
Von Marek Sievers
»I don´t have talent, I have tenacity; I have discipline; I have focus. And I know without any illusion where I come from and what I can go back to.« Dieses Zitat von Henry Rollins schickt Dietmar Dath, der diesjährige Träger der Lichtenberg-Poetikdozentur, seinem Vortrag in der alten Aula der Universität vorweg. Die zitierte Hartnäckigkeit, die Disziplin und den Fokus kann man diesem Autor nun wahrlich nicht absprechen. Literaturwissenschaftler Niels Penke hatte es in seiner Laudatio zuvor bereits eröffnet: Das Œuvre Daths ist mit »umfangreich« nur unzureichend beschrieben.
Dass sich Dath das Talent nun selbst abspricht, mag zunächst nach Koketterie und falscher Bescheidenheit klingen, zieht sich aber wie ein roter Faden durch beide Vorlesungsabende. Es ist viel von »meinem Zeug« die Rede oder anderen Autor*innen die »das Alles so viel besser können als ich«. Das Tempo mit dem Dietmar Dath Roman an Roman reiht, schlägt sich dabei auch in seiner Vortragsweise nieder. Hier lässt Dath die Fokussiertheit ein wenig vermissen. Es ist teilweise schwer ihm zu folgen, wenn er mal in
Bezeichnenderweise eröffnet der Autor die Vorlesung dann auch am ersten Abend mit dem Vorlesen von Verrissen seiner Werke aus den einschlägigen Feuilletons. Auch wenn er wiederholt betont, dass er sich von denen, die ihn kritisieren, zumindest ernst genommen fühle, vernichtende Urteile wie »pseudo-philosophischer Scheiß« scheinen ihm dennoch nahezugehen. Gerade diesen Vorwurf an sein literarisches Schaffen wiederholt er mit einer Form von bitterer Ironie immer wieder. Das sorgt teils für auflockernde Lacher, verdeutlicht aber auch: Dieser Autor fürchtet sich davor, nicht verstanden zu werden, zu scheitern.
Von Oulipo zur »Schreiblehre«Er stehe bei seinem Schreiben stets als Zwerg auf den Schultern von Riesen, sei dabei jedoch nicht im Herder’schen Sinne größer als die Riesen selbst: »Es ist immer peinlich zu wissen, wie viel kleiner man ist als die Großen.« Ganz ähnlich hatte sich Elfriede Jelinek einmal über die österreichische Autorin Marianne Fritz geäußert. Letztere nennt auch Dath als verehrtes Vorbild in einer Reihe von Autor*innen, die er als zu Unrecht Gescheiterte einführt. Leider nuschelt er aber auch an dieser Stelle Namen und Zitate hastig ins Mikrofon. Das literarische Publikum könne mit all diesen Namen ohnehin nichts anfangen, stellt Dath nicht ohne Süffisanz fest. Da ist er wieder, der Gestus des Gekränkten, des Unverstandenen, der sich nicht eingliedern will in diese Reihe von Gescheiterten.
Beeinflusst sei sein Schreiben überdies vom Schaffen des französischen Autorenkreises Oulipo. Die Nähe zu dieser literarischen Bewegung des Frankreichs der 60er Jahre erscheint stimmig und auch das literarische Publikum kann aufatmen. Hatten sich diese Vertreter der französischen Avantgarde um François Le Lionnais und Raymond Queneau vor allem von formalen Zwängen – genannt sei hier als Beispiel der Roman La Disparition von Georges Perec, der auf die Verwendung des Buchstabens »e« verzichtet – leiten lassen, stellt Dath an die Stelle einer Poetologie das Konzept seiner auf, mehr oder weniger strengen, Regeln basierenden »Schreiblehre«.
Die Notwendigkeit einer solchen sich aus insgesamt fünf Regeln konstituierenden Schreiblehre begründet der Autor mit einer Anekdote aus seiner Schulzeit: Auf die Frage nach dem Grund für eine Ausnahme in den französischen Grammatikregeln habe sein Lehrer bloß mit überheblichem Achselzucken und einem schnoddrigen »Des isch halt so…« reagiert. Wer keine Regeln habe, so Dath, der müsse dann eben auch so reagieren. Für das literarische Schreiben aber sei eine solche Aussage nicht denkbar.
Der ersten Regel zufolge werde das literarische Schreiben von drei Faktoren bestimmt: dem Thema, dem Stoff und der Form. Das Besondere sei dabei, dass diese Attraktoren bestimmte Wörter und Zeichen ein- bzw. ausschließen. Die Arbeit an einem Science-Fiction Roman sei dabei naturgemäß von Grund auf anders als die an einem feuilletonistischen Beitrag. Auf ein bestimmtes Publikum werde nicht zugeschrieben.
»Die Überforderung als Stilmittel«?Das Publikum holt Dath dann über die zweite der fünf Regeln wieder mit ins Boot, wenn er behauptet, es sei bereits in den drei genannten Attraktoren enthalten: Formen, Themen und Stoffe »haben die Gesichter von Menschen.« Diese etwas konfuse Darstellung begründet schließlich die Relevanz seiner literarischen Texte. Obwohl sie kein dezidiertes Zielpublikum besäßen, seien sie dennoch für Leser*innen zumindest insofern relevant, als dass diese sich in den literarischen Texten wiederfinden könnten. Angesprochen auf diese etwas kontraintuitive Behauptung, verdeutlich der Autor es am zweiten Abend der Vorlesungsreihe noch einmal: Die Schreiblehre beziehe sich ausschließlich auf das Schreiben von literarischen Texten und gelte nicht für Liebesbriefe.
Durch den literarischen Text, könne ein Publikum vor allem dann erreicht werden, wenn es aus dem Schreib- und Arbeitsprozess als Adressat verdrängt werde. Dieses Credo könnte der Grund dafür sein, dass Dath im Feuilleton wiederholt vorgeworfen wurde, sein Publikum gezielt zu überfordern. Dath entgegnet dieser Darstellung seiner Poetologie, dass die Überforderung des Publikums bis zu einem gewissen Grad hingenommen werden müsse, denn der literarische Text wolle vor allem etwas ausdrücken, was nicht bereits als Gemeinplatz feststehe. Es sei ihm gerade deshalb im Rahmen der Poetikdozentur wichtig zu erklären, was er schreibe und warum er es tue. Man solle all dies im Wissen um seine Motive gern umso entschlossener von sich werfen, aber bitte doch nicht bloß aus dem Grund, dass man es nicht verstehe.
Von Twitter und PopulismusHier scheint auch Daths sonst so ungebrochener Technik- und Kulturoptimismus an seine Grenzen zu kommen. Verrisse seiner Werke in Kurzrezensionen auf Amazon, Facebook oder Twitter bärgen für ihn die Gefahr des Populismus. An Stelle von Raison und Reflexion treten laut Dath hier Emotionalität und insbesondere Wut, die in Windeseile in die Tasten getippt werden. Natürlich habe es diese Tendenzen in der Kritik auch schon zuvor gegeben – an dieser Stelle zitiert er giftige Verrisse über die Texte von Arno Schmidt – neu sei allerdings die Wut auf das Buch, welches man nicht versteht. Es sei doch die Frage erlaubt, ob dieses Nicht-Verstehen tatsächlich immer nur ein Problem des Buches sei.
Das Problem dieses Kulturpopulismus sei darüber hinaus vor allem ein Problem der Konformität: »Alle diese Menschen auf Twitter sind originell bis zum Explodieren, aber alle diese Originellen klingen einfach auch immer wie Twitter.« Saloppe Einschübe wie dieser lockern die Stimmung im Laufe der Vorträge wiederholt auf, klar bleibt aber auch, dass es dem Autor mit seinem Anliegen ernst ist. Sein Schreiben sei daher auch ein Schreiben gegen die johlende Menge, die schon bei Karl Kraus die Folter des Wiener Komponisten Anton Bruckner feierte, und die unter keinen Umständen vorschreiben dürfe, was denn nun eigentlich wirklich Kunst sei. Er habe daher auch keine Angst vor den eigentlichen Verrissen, viel mehr habe er Angst vor dieser Tendenz des Konformismus zum Populismus.
Ausnahmen bestätigen die Regel?Weitaus befreiender gestaltet sich hingegen die dritte von Daths Regeln, die dem Literaten wieder etwas mehr Freiraum zugesteht: Sollten einen die aufgestellten Regeln zu sehr einschränken, so sei es gestattet kleinere »Es-sei-denn-Regeln» einzuführen, um so Ausnahmen zu ermöglichen. Diese Relativierung erscheint problematisch, wenn man nicht nur die alte Binsenweisheit »Ausnahmen bestätigen die Regel« reproduzieren und bekräftigen möchte. Denn wenn jede Regel durch mehr und mehr Feinheiten ergänzt werden kann, wird sie dann nicht gleichzeitig mehr und mehr obsolet?
Viertens dürfe man als Erzähler*in niemals die Rolle der literarischen Moralinstanz einnehmen. Der Blick beim Schreiben dürfe nie zweckgerichtet sein. Vielmehr müsse man als schreibende Instanz die Rolle der negativen Intelligenz einnehmen, die der erzählten Welt zu schaffen macht. Beispielsweise solle in der Beschreibung einer Menschenverbrennung nicht das Verbrennen selbst als unmoralischer Akt reflektiert werden, im Vordergrund stehe die szenisch-literarische Umsetzung des selbigen, nicht das warum sondern das wie. Abschließend erklärt die fünfte Regel, der Literat oder die Literatin sollen sich in der Zeit, in der sie nicht schreiben, mit der Verbesserung des eigenen Schreibens beschäftigen. Jeder neue Text sei somit auch eine Verbesserung des vorherigen. Hartnäckigkeit, Disziplin und Fokus: Die Rollins’sche Trias rückt erneut in den Mittelpunkt.
So viel wird nach zwei unkonventionellen Abenden in der alten Aula klar: Dieser Autor scheint wie besessen vom Schreiben, sein literarisches Schaffen ist ein Dagegen-Anschreiben, getrieben von der Angst des Scheiterns. Es sei überhaupt Aufgabe der Kunst, Haltung anzunehmen, das literarische Schreiben ist bei Dath immer ein Mittel der Auf- und Erklärung. Der Science-Fiction-Literatur fällt dabei die nicht gerade triviale Aufgabe zu, Lösungsstrategien für unsere gegenwärtigen Probleme in einer fiktiven Zukunft zu entwickeln. Das Weltall bietet Dath dabei gerade genug Abstand, um das Treiben »dort unten« auf der Erde kritisch zu reflektieren. Aber wogegen genau schreibt Dath nun an? Eben gegen das unsägliche »Des isch halt so…«, denn es möge zwar sein, dass des gerade halt so isch, »aber vielleicht bleibt’s nicht so.«