Ein alter dunkelblauer Ford Escort, drei Freunde, die Straße, der drängende Wunsch nach Freiheit – dies alles klingt verdächtig nach dem Plot für ein Roadmovie. Rüdiger Brandis schaute sich Alter Ford Escort dunkelblau im DT an und erklärt, warum das Stück doch kein Roadmovie auf der Theaterbühne ist.
Von Rüdiger Brandis
Eine Landstraße. Schnurgerade zieht sie sich durch abgeerntete Felder auf denen lediglich noch die Stoppeln des Korns stehen. Gelegentlich kommt man an einem Dorf vorbei. Der Motor klingt, als würde er jeden Moment nicht mehr das tun, was von ihm verlangt wird. Musik scheppert aus den billigen Boxen, während die schwitzigen Hände am wackeligen Plastiklenkrad festkleben. Genauso fühlt es sich an mit einem Ford Escort Baujahr 1990 im Jahr 2011 durch die Straßen zu fahren, und mit diesem Gefühl startet das Stück Alter Ford Escort Dunkelblau, welches zur Zeit im Keller des Deutschen Theaters aufgeführt wird.
»Einmal raus aus’m Plattenbaudreck« heißt es in der Kurzbeschreibung des Stücks: Schorse, Paul und Boxer, drei Arbeitskollegen, beschließen auf dem Nachhauseweg von der Arbeit nach einem Streit mit Schorses Exfrau spontan nach Legoland zu fahren. Schorse sammelt seinen Sohn auf dem Schulweg auf, und los geht es in Richtung Dänemark in Schorses altem Ford mit ACDC in den Boxen. Alle drei treibt der Wunsch an, endlich aus ihren festgefügten Lebensumständen zu entkommen und Freiheit zu erleben. Jeder auf seine eigene Weise. Doch der Trip entwickelt sich nicht so wie vorgestellt.
Wenn der Dialog die Kulisse verschlingtDies alles klingt verdächtig nach dem Plot für ein Roadmovie. Ein altes Auto, drei Freunde, die Straße, der Wunsch nach Freiheit. Ein interessantes Konzept, um es auf die Bühne des Theaters zu transferieren. Der Problematik einer passenden Kulisse entfloh man, indem man diese so minimal wie möglich gestaltete. Lediglich einige leere Getränkekästen, Fahrer- und Beifahrersitz und eine Rückbank bilden das Bühnenbild. Rollen unter den Sitzen ermöglichen, das Arrangement jeder Zeit zu ändern. Dieser Minimalismus lässt jedoch den Charme der Straße vermissen. Der kalte Backstein im Hintergrund des DT Kellers verhindert, dass sich das dynamische Gefühl eines ständigen Ortswechsels einstellen kann.
Erzählt wird auf zwei Arten. Zum einen erzählen die Charaktere auf prosaische Art und Weise in der Form eines Erzählers Rahmenhandlungen und Kommentare zu bereits Geschehenem und noch Kommendem. Zum anderen gestalten sich die Dialoge sehr schlicht im Gewand der Alltagssprache. Nicht selten fühlt man sich in die Gespräche in Pulp Fiction versetzt. Dies verhilft dem Stück den Charme zurückzugewinnen, den es durch den Mangel an Kulisse verliert. Die Gespräche variieren zwischen Streitgesprächen um ACDC und Kommentaren über das Leben und die Freiheit. Und an dieser Stelle zeigt das Stück sein Potenzial. Die Kulisse ist vergessen, die Straße ist vergessen, zum Teil ist sogar das Auto vergessen, in dem doch das ganze Stück stattfindet. Man fühlt mit den Charakteren mit und ihren festgefahrenen Leben. Man versteht Pauls Schwierigkeiten mit seinem Vater, für den er arbeitet und dessen Einfluss er endlich entkommen möchte. Schorse will seinen Sohn sehen, und für ihn da sein, doch er scheitert dabei kläglich an sich selbst. Und Boxer steht zwischen all dem, er vermittelt, er braust auf, er ist mysteriös.
Und so ist Alter Ford Escort Dunkelblau dann doch kein Roadmovie auf der Bühne des Theaters. Das Auto und die Straße unter seinen Rädern ist lediglich das Symbol für die Freiheit, die hier nicht durch Kulisse, wie es im Film wesentlich deutlicher geschieht, sondern durch die eindringliche Sprache vermittelt wird. Ob das funktioniert? Schwer zu sagen, aber dieser Versuch ist es wert, gesehen zu werden!