20 Jahre nachdem Jostein Gaarder mit Sofie einen Welterfolg feierte, präsentiert der Autor eine neue, junge Romanheldin – Nora. Obwohl sich die beiden Mädchen gleichen, fällt die Geschichte um Noras Reise in eine dunkle und zerstörte Zukunft diesmal eher lau aus – trotz eines brandaktuellen Themas.
Von Magdalena Kersting
Kamelkarawanen ziehen durch Skandinavien und mit ihnen tausende von Klimaflüchtlingen. Die Erde hat sich im Jahr 2084 verändert, das polare Eis ist geschmolzen, der Meeresspiegel gestiegen und ganze Landstriche sind verödet. In Nordnorwegen macht ein Zug solcher Flüchtlinge aus den Arabischen Emiraten an einer ehemaligen Tankstelle Rast und im Haus nebenan wacht Nova zu dem penetranten Piepsen ihres Tablets auf. Per App lässt sich das junge Mädchen im Liveticker mitteilen, welche Tierart gerade unwiderruflich ausgestorben und für immer von der Erdoberfläche verschwunden ist.
72 Jahre zuvor wacht im gleichen Zimmer Nora auf. Nora ist Novas Uroma und Nora ist auch Nova selbst. Denn Nova existiert nur in Noras Träumen, die so realistisch anmuten, dass die 16-jährige mit der blühenden Fantasie oft nicht unterscheiden kann, was eigentlich real ist und was nicht. Dafür weiß Nora eines ganz sicher: Der Planet Erde schwebt in Gefahr. Gefahr in Form des drohenden Klimawandels, der ihr Angst macht und den außer ihr niemand ernst zu nehmen scheint. Um aktiv zu werden, gründet Nora eine Umweltorganisation. Aber reicht das aus, um das dunkle Zukunftsszenario ihrer Träume verhindern zu können? Und welche Rolle spielt dabei dieser orientalische Rubinring, das Erbstück ihrer Großtante? Schließlich taucht der geheimnisvolle Ring immer wieder in ihren Zukunftsvisionen auf…
Faktenholz, lieblos verpacktNur wenige Seiten müssen in Josteins Gaarders neuem Buch 2084 – Noras Welt gelesen werden, bevor sich der Leser inmitten einer literarischen Spielwiese wiederfindet. Eine Spielwiese, auf der der Autor gewohnt Elemente der Fiktion und Wirklichkeit miteinander verwebt und die Grenzen zwischen Traum und Realität verwischt: Vor 20 Jahren schickte Gaarder die neugierige Sofie auf eine geheimnisvolle Reise durch die Philosophiegeschichte und landete damit einen Welterfolg. In Noras Welt (der Titel spielt nur in der deutschen Übersetzung plump auf Gaarders größten Erfolg an, auf Norwegisch heißt das Buch schlicht Anna) ist es nun Nora, die sich auf eine Reise in die Zukunft begibt und deren Mission nicht weniger kosmisch ist: Sie möchte den Klimawandel stoppen und damit den gesamten Globus retten:
»Je mehr CO2 sich in der Atmosphäre ansammelt, desto wärmer wird es auf der Erde. Dann schmelzen Eis und Gletscher, und alles wird noch schlimmer, weil Eis und Schnee viel mehr Sonnenlicht und damit Wärme reflektieren als das Meer und die Berge, also wird die Erde noch mal wärmer…«
»’Verstärkende Rückkopplung’ sagen die Fachleute dazu…«
»…bis sogar der Bodenfrost in der Tundra verschwindet. Von dort werden dann Methan und wieder Kohlendioxid in die Atmosphäre abgegeben. Methan ist noch so ein starkes Treibhausgas, und die Erde wird noch weiter erwärmt. Es gibt immer mehr Wärmedampf in der Atmosphäre, und schon ist es wieder ein Stück wärmer. Als Nächstes kommt das Grönlandeis an die Reihe und danach vielleicht das Eis in der Antarktis…«
Ist es nicht Nora selbst, die seitenweise über den Klimawandel referiert, so darf sich der Leser durch Zeitungsartikel zum Thema durchkämpfen oder auch den vorwurfsvollen Klagen der Enkelin Nova lauschen, die die Menschen der heutigen Zeit verantwortlich macht für die unwirtliche Welt, in der sie in Noras Träumen aufwachsen muss.
Gaarder vermag die Auswirkungen des Klimawandels mit Tinte in dunklem Schwarz zu zeichnen, doch das ändert nichts daran, dass diese Zukunft trotzdem fremd bleibt, ja fast altmodisch wirkt. Nora möchte den Globus retten und das möchte Jostein Gaarder auch. Dass das besser mit einer glaubwürdigen und mitreißenden Geschichte gelingt als mit dem pädagogisch stur erhobenem Zeigefinger, hätte der Autor allerdings in Betracht ziehen sollen: Gelungene und fantasievolle Jugendliteratur sieht anders aus.