Workaholic, Kontrollfreak und »Cola-light-Pegeltrinker«: Diese Zuschreibungen passen zum Image von Karl Lagerfeld. Aber ihn als den letzten lebenden Philosophen zu betrachten, ist ein gewagtes Unterfangen. John von Düffel versieht den berühmten Modemacher in seinem aktuellen Prosatext mit weiteren überraschenden Attributen. In KL – Gespräch über die Unsterblichkeit fingiert er ein Interview mit dem Modezar und thematisiert die Ikonen unserer Zeit und das Dichten. Abgesehen von einzelnen, zu verkopften Passagen, ist das schmale Buch amüsant und lesenswert.
Von Lena Lang
Dunkle Sonnenbrille, hoher Hemdkragen und ein zur Maske erstarrtes Gesicht: Das ist Karl Lagerfeld, so wie er leibt und lebt. Aber lebt er überhaupt noch oder ist er längst ins Zeitlose entrückt und unsterblich? Diese Frage stellt sich ein namenloser Ich-Erzähler in KL – Gespräch über die Unsterblichkeit und beschließt, ein philosophisches Interview mit dem Modeschöpfer zu führen; ein Interview, das sich um ihn und seine Unsterblichkeit drehen soll:
Eigentlich sind Sie der letzte lebende Philosoph, und es wird höchste Zeit, dass Ihnen jemand die richtigen Fragen stellt, keine journalistischen oder persönlichen – was heutzutage auf dasselbe hinausläuft – , sondern philosophische.
Die Ausgangssituation, die John von Düffel hier konstruiert, ist reizvoll. Er fingiert ein Gespräch mit einem Menschen, der jedem bekannt ist und über den man doch gar nichts weiß. Die Markenzeichen Lagerfelds greift er persiflierend auf und kontextualisiert sie neu. Und das gelingt ihm!
Wer versteckt sich hinter der schwarzen Sonnenbrille?Karl Lagerfeld (KL) ist so stets das, was aus ihm gemacht wird. »Der Blick des Betrachters bestimmt«. Von Düffel erklärt ihn nicht nur zum Philosophen, sondern auch zum Kommunisten und Pädagogen Rousseauscher Prägung, der mühelos mit dessen Natur-Kultur-Dialektik hantiert. Dann konfrontiert er den Modemacher mit theologischen Themengebieten und lässt ihn ein Glaubensbekenntnis vom allgegenwärtigen »Blick der Mutter« ablegen, so dass er zugleich ins Freudianische hinübertriftet.
Bereits in früheren Arbeiten hat er über das Dichten geschrieben, etwa in dem Theatertext Missing Müller (1997), in den Essays Wasser und andere Welten: Geschichten vom Schwimmen und Schreiben (2002) oder in dem Roman Goethe ruft an (2011). Auch in KL nutzt er die Ikone Lagerfeld letztlich zur Selbstbespiegelung. Schade ist allerdings, dass er die Textsorte Interview nicht als Form adaptiert, sondern sie lediglich zum Thema seiner Erzählung macht und als Arbeitsgrundlage nutzt. Das Fiktions-Spiel ließe sich aber in dieser journalistischen Gattung besonders spannungsreich entfalten, da sie Authentizität suggeriert und daher zur Erzeugung von Irritationsmomenten prädestiniert ist.
Promi-Zirkus und Ikonen-TheaterNeben Karl Lagerfeld widmet John von Düffel auch dem Fernsehstar Barbara Schöneberger (BS) und der ehemaligen Politikerin Heide Simonis (HS) eigene Kapitel. Sie begegnen dem Erzähler zufällig auf seinen Bahnreisen. Der Abschnitt über Schöneberger ist leider wenig originell. Von Düffel will hier eindeutig zu viel und begibt sich auf eine gefährliche Gratwanderung zwischen Prominenten-Satire und medienkritischem Aufklärungsversuch. Die für ihren ›üppigen‹ Körper bekannte Fernsehmoderatorin wird dem Leser als schlanke Salat-Esserin präsentiert, nach dem Motto: Das Fernsehbild verzerrt die Wirklichkeit. Diese Art der Medienreflexion wirkt aber eher platt als erhellend. Dagegen erweitert der Fall Simonis den Text um eine politische Perspektive. Bei diesem zweiten ›Zwischenspiel‹ ist der Autor und Dramaturg John von Düffel wieder ganz in seinem Metier, nämlich am Theater.
Zur Debatte stellt er, ob die Ex-Ministerpräsidentin Schleswig-Holsteins, die 2005 unerwartet wegen einer fehlenden Stimme aus ihrem Amt ausscheiden musste und danach in Fernsehshows wie Let’s Dance (RTL) auftritt, als eine tragische oder komische Figur zu begreifen sei. Also: Peinliche Politikerin, ja oder nein? Mehr als komisch ist dabei die Dramatisierung des Falls. Heide Simonis wird in einem Brecht’schen Lehrstück zur »Landesmutter Simonis« erklärt, mit Shakespeare als »Heide Simonis – ein Königinnen-Drama« gedacht oder gar in die griechische Antike als »Simonis« von Sophokles versetzt, was sich dann so anhört:
[D]ie nach Meinung der meisten Männer und Götter zu hoch aufgestiegene Machthaberin wird vom Schicksal unbarmherzig in die Schranken gewiesen. Durch einen Verrat, den niemand begangen haben will, kommt sie zu Fall und wird unter den Flüchen des Medienorakels von Delphi in die TV-Unterwelt verbannt…
KL überzeugt vor allem durch solche Passagen, in denen bekannte Geschichten unserer Alltagskultur auf ihr künstlerisches Potential hin abgeklopft werden. Der Aufbau eines Images ist schließlich selbst ein schöpferischer Akt und die Erschaffung eines Mythos, der parasitär vereinnahmt werden kann. Mit seinem urkomischen Theatertext Missing Müller (1997) hat von Düffel bereits bewiesen, dass er von der Persiflage auf Personen des öffentlichen Lebens etwas versteht. In diesem Stück spielt die Theater-Ikone Heiner Müller beispielsweise mit ihren Figuren Hitler und Stalin im Sterbebett eine letzte Runde (Bauern-)Skat. Dagegen wünscht man sich in dem aktuellen Prosatext zuweilen etwas weniger krampfhafte Reflexionen zum Sujet der Gegenwartsikonen und noch viel mehr komische Gedankenspiele und groteske Verzerrungen. Zu Gute halten muss man von Düffel aber, dass er gekonnt aus den großen Imaginationspotentialen unserer Alltagskultur schöpft und dabei einen erheiternden Lobgesang auf die Fiktion anstimmt. Mit den Worten KLs gesagt: »Nichts auf der Welt ist ohne Folgen, schon gar nicht das Erfundene.«