Wir schreiben das Jahr 2020: Nachdem der Lebensquellcode vor einigen Jahren zur Freeware erklärt wurde, arbeiten nun freiwillige Coder*innen an Apps und Updates, die unser Leben effizienter gestalten. Die Resultate sprechen dabei für sich, ach du schöne neue Welt!
Von Oke-Lukas Möller
Was ist das Leben? Puh, ähm, vieles: Theater, vielleicht ein Wunder, eine Schachtel Pralinen und … ein Code, den es zu knacken gilt?! Diese letzte Option suggerieren unzählige Onlineartikel und YouTube-Videos, die sich sogenannten »Life-Hacks« widmen. Analog zu Computerprogrammen, die auf Quellcodes basieren, unterstellen »Life-Hacks«, dass das Leben ebenfalls auf einem Code beruhe, den es zu überlisten gelte.
Besonders potent erscheint in diesem Zusammenhang das sonst recht unauffällige Natronpulver, von dem lange nicht ganz klar war, wozu es eigentlich im Schrank steht. Dieses Rätsel ist nun endlich »gecrackt« worden: Man kann es sich unter die Achseln schmieren, in müffelnden Schuhen deponieren, in den verstopften Abfluss geben, in die Haare kneten (Essig nicht vergessen!) und zum Backen verwenden. Jemand noch ein paar Muffins?
Es ist anzunehmen, dass solche Alltagstipps früher mündlich weitergegeben wurden. Heutzutage scheut man solch triviale Gesprächsthemen hingegen. Es bedarf daher des futuristisch-anmutenden Labels »Life-Hack«, um sie wieder salonfähig zu machen, denn das moderne Individuum bevorzugt den »Shortcut« über den Lebensquellcode, wie gerissen ist das denn?
Geht so, denn anstatt sich im privaten Umfeld zu erkundigen, werden Video-Compilations zu Rate gezogen, in denen zu belanglosester Stock-Music in Warteschleifenqualität »Alltagsinnovationen« vorgeführt werden. Auf
Es spricht natürlich gar nichts gegen gute Haushaltstipps. Fragwürdig bleibt allerdings das Weltbild, das den »Life-Hacks« zugrunde liegt: In englischer Aussprache bezeichnet das eingedeutschte Wort »hacken« das Entschlüsseln eines Computercodes mit dem Ziel, sich Zugang zu Computersystemen wie etwa Websites und damit zu sensiblen Informationen zu verschaffen. Die Art und Weise, wie Hacker*innen die erbeuteten Daten auswerten, ermöglicht es, sie in zwei Gruppen aufzuteilen: Es gibt diejenigen, die Computersysteme kapern, um Missstände aufzudecken (Szenario 1), und diejenigen, die Computersysteme kapern, um sich zu bereichern (Szenario 2). Es lässt sich leicht prüfen, zu welcher Gruppe das vorliegende Phänomen gehört:
1. Sind Life-Hacks Resultate akribischer und aufopfernder journalistischer Tätigkeit? Auf keinen Fall.
2. Dienen Life-Hacks der Selbstbereicherung? Auf jeden Fall!
Sie ermöglichen es Online-Plattformen und »Content-Creator*innen«, aberwitzige Klickzahlen zu generieren, ohne auch nur eine*n Journalisten*in einstellen zu müssen. Wenn man im Umkehrschluss nun die Implikationen des ersten Szenarios auf »Life-Hacks« anwendet, dann wird deutlich, wie unpassend dieser Vergleich ist, denn im Gegensatz zum Cyber-Hacking wird beim Life-Hacking nie Bahnbrechendes geleakt. Trotzdem scheint der subversive Mythos des Hackings auf die trivialen Alltagstricks abzufärben. Die Verfechter*innen der Life-Hacks werden so zu Ikonen der digitalen Subkultur, die heroisch Bugs aus dem Quellcode des Lebens herausschreiben und alle Zeichen auf Code- und »Search Engine Optimization« stellen. Doch welchen Unwägbarkeiten und Zumutungen des Lebens widmen sich Life-Hacks eigentlich?
Ein Paradebeispiel für beliebte Life-Hacks ist die zu einer Saugglocke zweckentfremdete PET-Flasche. Dieser Hack wird insbesondere zum gezielten Absaugen von Eigelb angewandt. Ähnlich problemfrei verhält es sich bei dem Hack, Teller in Klarsichtfolie einzuwickeln, damit man nach dem Essen keinen Abwasch und nur ein bisschen Müll hat. Diese Beispiele machen deutlich, dass Life-Hacks selten Probleme lösen, sondern in aller Regel zunächst welche erfinden. Das steht in einem starken Missverhältnis zur großtrabenden Bezeichnung »Life-Hack«.
Das Leben besitzt keinen Quellcode und kann daher auch nicht gehackt werden. Es ist genauso wenig eine Software wie ein Warenhaus ein »Fulfillment Center«. Wer so zynisch ist, das zu behaupten, dem seien fair bezahlte Cyber-Hacking-Whistleblower*innen gegönnt, die sich den wirklich drängenden Problemen des Lebens widmen.