Bastian Sicks Reihe Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod feiert in diesem Jahr ihren nunmehr zehnten Geburtstag, wirkt aber nicht minder kontrovers angesichts ihres sprachpflegerischen Anliegens. Somit ist es an der Zeit, der Frage nachzugehen, was dem Sick sein Buch uns eigentlich bringt. Eine Sprachkritik-Kritik von der schottischen Komparatistikstudentin Annie Rutherford.
Von Annie Rutherford
In einer Szene des englischen Films An Education (UK, Lone Scherfig, 2009) erhält die unglückliche Protagonistin zum 17. Geburtstag zwei Lateinwörterbücher. Eines vom Vater und eines von einem Freund, der gerne mehr als nur ein Freund wäre. Manchmal geht es der ausländischen Germanistin ähnlich. Einen schönen, bunten Duden hat sie schon vor Jahren zum Geburtstag bekommen, einen Thesaurus besitzt sie längst. Und dieses Jahr war dann Bastian Sicks Artikelsammlung Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod von 2004 an der Reihe.
Nicht, dass man sich nicht freuen würde. Schließlich wird der Titel häufig zitiert (vor allem von Fremden in Bars, die aus irgendeinem Grund über Spracherwerb reden wollen, wenn man doch eigentlich nur tanzen möchte). Dann ist es auch mal nett, lässig zu antworten, »Ach ja, den Bastian Sick habe ich auch im Regal stehen.« Und dann geht man alleine auf die Tanzfläche.
Irgendwann hören die Sprachkurse auf, auch wenn man immer noch nicht begriffen hat, wieso es »am Donnerstag, den 21. November« heißt (es sollte doch »dem« heißen, oder? Müssten die Fälle einander nicht gleichen?). Wer bei den Endungen nicht ständig schummeln will, der macht sich auf die Suche nach Weiterbildungsmöglichkeiten. Da sind Grammatikbücher für verwirrte Deutsche nicht so schlecht.
Geschenkte Klarheit?Sicks Artikelsammlung hat hier den Vorteil, dass sie relativ kurz ist. Die eigene gute Absicht, das neue Buch bis zum Ende zu lesen und dabei Notizen zu machen, realisiert sich ja nie. Deswegen ist es gut für das Gewissen, wenn man ein Viertel des Buches problemlos runterlesen kann, bevor man sich entscheidet, statt Grammatik wieder Gitarre zu lernen. Hilfreich ist auch, dass man kein trockenes Lehrbuch mit unverständlichen Diagrammen in der Hand hat. Sick schreibt kurz, knapp und unterhaltsam. Zugegeben, das kann ein zweifelhaftes Vergnügen sein. Wie viele Journalisten verwechselt Sick manchmal das unterhaltsame Schreiben mit der Anhäufung von Redewendungen – und das trotz eines Kapitels, das das Phänomen von Phrasen wie »Licht am Ende des sturmverhangenen Horizonts« missbilligt. So ein Schreibstil kann ja super sein, wenn man wieder in einer Phase steckt, in der man gerne Listen von deutschen Sprichwörtern anfertigt. Aber auf die Dauer geht es einem auf die Nerven. (Sorry…)
Was den Spracherwerb angeht, lassen sich die Kapitel in drei Kategorien der Nützlichkeit einstufen. Erstens gibt es die »Ach so, das wusste ich nicht! Bzw. das hatte ich vergessen…«-Kategorie. Sicks Exkurse durch den Irrgarten der deutschen Sprache sind teilweise wirklich sehr hilfreich. Seine Vorliebe für Tabellen und seine systematischen Erklärungen sind vor allem für diejenigen unter uns praktisch, die es nie fertig gebracht haben, die Präpositionen zu lernen, denen der Genitiv folgt (Also mal ehrlich, wann braucht man in der Alltagsprache das Wort »seitens«?). Dabei weckt das Buch fast nostalgische Erinnerungen an die Deutschstunde in der Schule. Man erinnert sich daran, wieso die Sprache einen damals reizte: Sie ist logisch. Es gibt eine Regel, die muss man lernen, und dann kann man reden. Fertig, aus.
Trotz Überlegenheitsgefühlen (ja, da soll der Genitiv stehen. Sick zum Trotz.) weiß man wahrscheinlich doch etwas mehr als vorher, nachdem man ein paar Mal in Der Dativ ist dem Genetiv sein Tod geblättert hat. Im allerschlimmsten Fall weiß man zumindest, dass die Deutschen oft nicht weniger verwirrt sind als man selbst.
In dem Moment, wenn die enttäuschte Protagonistin in An Education versucht, so auszusehen, als ob sie mit ihren Wörterbüchern zufrieden sei, kommt der romantische Held des Films an. Er trägt einen ganzen Stapel von bunten Geschenken und lädt sie gleich für ein Wochenende nach Paris ein. Vielleicht sollte man nächstes Jahr aber lieber auf den zweiten Band Sicks als Geschenk verzichten. Irgendwann wird der Dativ auch der ausländischen Studentin ein Tod.
Der Start einer Kolumne? 🙂