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Nordisches Grauen

In Der skandinavische Horrorfilm. Kultur- und ästhetikgeschichtliche Perspektiven versammelt Herausgeber Niels Penke zwölf Autoren, die sich in ebenso vielen Beiträgen nicht nur anschicken, Trivialitätsvorwürfe auszuräumen, sondern den Leser auch auf eine Zeitreise durch das nordische Horrorkino mitzunehmen.

Von Rashid Ben Dhiab

Versucht man, kulturelle Erzeugnisse aus Skandinavien aufzuzählen, dürften die Gedanken zunächst zu diversen Musikern und Bands sowie Kriminalromanen wandern. Bereits seit Jahren überfluten unsere Nachbarn aus dem kalten Norden die Bestsellerlisten mit einzigartig düsterer Spannungsliteratur und die Musikcharts mit Rock und Metal. Auch das TV wird aktuell bereits zum zweiten Mal mit der schwedischen Serie Real Humans (Matador Film, seit 2012) international erobert, womit eindrucksvoll gezeigt wird, dass Science Fiction auch mit Tiefgang und exzellenter Charakterzeichnung anstelle von brachialer Action und visuellem Computerpomp begeistern kann. Nicht minder herausragende Leistungen aus skandinavischen Landen finden sich in einem anderen cineastischen Feld, das leider nur allzu häufig und gern als trivialer Schund abgetan wird.

In Der skandinavische Horrorfilm. Kultur- und ästhetikgeschichtliche Perspektiven, erschienen 2012 im transcript-Verlag, versammelt der Göttinger Literaturwissenschaftler und Herausgeber – Dr. Niels Penke zwölf Autoren, die sich in ebenso vielen Beiträgen auf 312 Seiten nicht nur anschicken, diese Vorurteile auszuräumen, sondern auch den geneigten Leser auf eine Zeitreise durch das nordische Horrorkino mitzunehmen.

Schreckliche Vielfalt

Ausgehend von den Stummfilmen der 1920er Jahre, schreiten die Autoren durch die Jahrzehnte – allerdings nicht auf einem linearen Pfad. Immer wieder wird auf der Zeitleiste vor- oder zurückgegriffen. Möglich ist das durch die vielen Überschneidungspunkte zwischen den einzelnen Texten. Besonders die Vampire scheinen einen gewichtigen Platz einzunehmen. Neben Carl Theodor Dryers Vampyr – Der Traum des Allan Gray (Tobis, 1931) werden später auch So finster die Nacht (Efti, 2008) und dessen US-Remake Let Me In (Overture Films, 2010) analysiert. Dabei wird Dryers Werk als eines der ersten, das Vampire thematisierte und neben Murnaus Nosferatu (Prana-Film, 1922) zu den wichtigsten Filmen dieser Subsparte gezählt werden kann, immer wieder herangezogen.

Das Genre des Horrorfilms zeigt sich allerdings noch deutlich abwechslungsreicher und von verschiedensten Seiten. Von den tiefgründigen Vampirfilmen führt der Weg auch über blutige Slasherstreifen mit solch vollmundigen Titeln wie Reykjavík Whale Watching Massacre (Solar-Films, 2009) und die Zombie-Splatterkomödie mit Nazi-Anstrich Dead Snow (Barentsfilm, 2009). Dazwischen finden sich noch Perlen wie die Mini-TV-Serie Geister (1994, 1997) von Lars von Trier oder die Genreparodie Evil Ed (Smart Egg Pictures, 1995).

Buch-Info


Niels Penke (Hg.)
Der skandinavische Horrorfilm
Kultur- und ästhetikgeschichtliche Perspektiven

transcript Verlag: Bielefeld,
312 Seiten, 32,80€
E-Book: 31,99€

 

Der Herausgeber

Dr. Niels Penke ist seit 2009 Lehrbeauftragter am Skandinavischen Seminar und seit 2011 am Zentrum für Komparatistische Studien der Universität Göttingen. Er wurde 2011 mit einer Arbeit über Ernst Jünger promoviert. Seine Forschungsschwerpunkte sind Horror und Phantastik, Literatur der klassischen Moderne sowie deutsch-skandinavische Kulturbeziehungen.
 
 
Ebenso vielfältig sind die Herangehensweisen der Autoren an die jeweiligen Werke. Denn wer ein paar unterhaltsame Filmbesprechungen erwartet, wird leider enttäuscht. Zwar sind die einzelnen Texte nicht bar jeglichen Vergnügens, doch handelt es sich bei ihnen um wissenschaftliche Aufsätze, für die die Filme eine Forschungsgrundlage darstellen. Anhand dieser wird nicht nur die Entwicklungsgeschichte des skandinavischen Horrorfilms von seinen Anfängen als schauriger Stummfilm und der folgenden Auffächerung in unterschiedliche Subgenres beleuchtet, sondern auch ein Einblick in die (Film-)Kultur Skandinaviens gewährt.

Neben historischen Aspekten, wie Bezügen der besprochenen Filme zur Vergangenheit ihrer Entstehungsländer, enthalten die Aufsätze u.a. Informationen über die Stellung skandinavischer Horrorproduktionen auf dem globalen Markt, interskandinavische Beziehungen, oder die Mittel, mit denen sie dem Zuschauer das ganze Wirkungsspektrum vom Unwohlsein bis zum tiefen Schrecken einflößen. So zeigt beispielsweise Dr. Niels Penke anhand von Dead Snow die nicht aufgearbeitete Vergangenheit Norwegens während der NS-Besatzung im Zweiten Weltkrieg. Zuweilen lösen sich die Autoren aber auch von der historischen Ebene und konzentrieren sich auf teils gänzlich andere Bereiche wie staatliche Zensur, Gender-Studies oder Remakes.

Beschneidungen, Gender-Vampire und neue Aufgüsse

Vor allem die leidgeprüften Horrorfreunde aus Deutschland dürften den Beitrag von Hauke Seven zur Parodie Evil Ed mit Interesse und einem Schmunzeln lesen, nehmen doch sowohl Film als auch Text die schwedischen Zensurbehörden ins Visier, die ähnlich rigoros vorgehen wie in Deutschland. Seven beleuchtet, sichtlich amüsiert, die teils abstrusen Kürzungen, die im Namen des Jugendschutzes durch unkundige Beamte vorgenommen werden und so einem Werk die Aussage nehmen oder sich sogar unfreiwillig selbst parodieren.

Um Beschneidungen, im weitesten Sinne, kümmert sich auch Benjamin Ryan Schwartz, der in seinem Beitrag (De-)Konstruktion von Rollenbildern anhand von schwedischen Vampiren Geschlechterrollen dekonstruiert. Dem Vampirkind Eli aus So finster die Nacht, dem bei seiner Verwandlung sämtliche primären Geschlechtsmerkmale genommen wurden und das so nicht mehr klar in das duale Geschlechterschema eingeordnet werden kann, stellt Schwartz die Figur des metrosexuellen Eric Northman aus der US-Serie True Blood (Home Box Office, seit 2008) gegenüber, der sich durch den Kontrast zwischen eindeutig maskulinem Aussehen und teils weiblich konnotierten Verhaltensweisen ebenfalls aus dem Geschlechterkorsett befreit.

Interessant ist Schwartz’ Beitrag auch dadurch, dass zwei unterschiedliche Kulturkreise aufeinander bezogen werden, die Petra Schrackmann in ihrem Aufsatz über skandinavische Horrorfilme und deren US-Remakes noch einmal gelungen aufgreift. Dankbarerweise trampelt Schrackmann nicht auf den vermeintlich schlechteren Versionen aus Hollywood herum. Stattdessen räumt sie mit den Vorurteilen gegenüber diesen auf und macht klar, dass sie keinesfalls die Originale ersetzen sollen, sondern tatsächlich größtenteils Neuinterpretationen durch andere Regisseure darstellen; ähnlich eines Musikstücks, das von unterschiedlichen Künstlern interpretiert wird – oder vom gleichen Künstler mit anderen Akzentuierungen.

Unterhaltsame Wissenschaft

Man sollte annehmen, dass eine Sammlung von Aufsätzen verschiedener Autoren qualitativ von Höhen und Tiefen durchzogen wäre, ist es doch nicht selbstverständlich, dass sich alle auf demselben Niveau bewegen. In Der skandinavische Horrorfilm ist das allerdings zum Glück (fast) nicht der Fall. Nur der Start gestaltet sich etwas schleppend, folgt doch nach der gelungenen Einleitung leider ein Beitrag, der die Begeisterung allein dadurch dämpft, dass, teils ausgesprochen umfangreiche, fremdsprachige Zitate ohne Übersetzung in den Text eingebunden wurden und somit Lesern, die keiner skandinavischen Sprache mächtig sind, das Verständnis erschweren und recht schnell Frust aufkommen lassen. In den darauffolgenden Beiträgen wurde die sprachliche Hürde aber glücklicherweise bedacht. Hat man sich also durch den Anfang gearbeitet, steht einem ungetrübten Lesevergnügen nichts mehr im Wege. Denn obwohl es sich bei den Texten ausnahmslos um wissenschaftliche Arbeiten handelt, sind sie doch durchgehend so flüssig und unterhaltsam zu lesen wie Feuilletonartikel. Noch dazu entsteht durch die bereits angesprochenen Überschneidungspunkte und Ergänzungen zwischen den Beiträgen der Eindruck eines roten Fadens, der sich kontinuierlich bis zum Ende durchzieht und dem man mühelos folgen kann.

Der Skandinavische Horrorfilm zeichnet auf diese Weise ein umfassendes, interessantes und informatives Bild seines Titelthemas und zeigt, dass sich selbst in trivial erscheinenden Werken eine Tiefe verbergen kann, die sie, wenn offengelegt, in ein gänzlich anderes Licht rückt.



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 Autor*in:
 Veröffentlicht am 17. Juni 2014
 Kategorie: Wissenschaft
 Bild Horror still von Christman w/a K via Flickr
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